Das Homeoffice kann den Zusammenhalt in Belegschaften bedrohen

Bielefeld. Das Homeoffice gehört zu den großen &bdquo;Entdeckungen" in der Corona-Krise. Lange war es in Firmen und Behörden eher verpönt. Jetzt sind es bald neun Monate, die mancher im selbstgezimmerten Büro verbracht hat. Heftig diskutiert werden seither die Vor- und Nachteile für Betriebe und Arbeitnehmer. Was passiert mit den Belegschaften, wenn Kollegen sich nur noch auf dem Bildschirm sehen? Was macht es mit Zusammenhalt und Identifikation, wenn jeder mit jedem digital vernetzt ist, aber physisch weitab vom Schuss? Genau weiß es keiner, denn eine solche gegenseitige Abschottung hat es nie für so lange Zeit gegeben, selbst in Krisen und Kriegen nicht. Als besonders gefährdet gelten Mitarbeiter, die im Homeoffice ganz allein sitzen – weil sie keine Familie haben, Singles sind oder für einen neuen Job in eine fremde Stadt gezogen sind. Ihnen droht im Homeoffice schlicht Vereinsamung und die Gefahr, vorzeitig krank zu werden. "Damit es uns gut geht, brauchen wir soziale Kontakte" Meldungen von Krankenkassen wie der AOK, denen zufolge der Anteil von Depressionen und anderen psychischen Störungen als Grund für Krankschreibungen gestiegen ist, scheinen die Sorgen zu bestätigen. Corona könnte dazu beitragen, dass mehr Menschen wegen psychischer Probleme berufsunfähig werden. &bdquo;Wir sind alle soziale Wesen, damit es uns gut geht, brauchen wir soziale Kontakte", sagt Uta Walter von der Geschäftsstelle für Betriebliches Gesundheitsmanagement im Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung an der Uni Bielefeld. Das menschliche Bedürfnis, die Mitmenschen mit allen Sinnen wahrnehmen zu können, werde online auf Dauer nicht befriedigt, warnt sie. Zwar könne im gut organisierten Homeoffice-Betrieb der nötige Informationsaustausch funktionieren – es leide aber die soziale Kontaktpflege, zu der etwa das &bdquo;kleine Gespräch ohne Anlass" gehöre. Der Schnack auf dem Flur, das Klönen in der Küche. Längerfristig seien negative Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit zumindest denkbar. Arbeitgeber zunehmend von Vorteilen der Heimarbeit überzeugt Erste Untersuchungen deuten Uta Walter zufolge darauf hin, dass Teams, die vor der Coronakrise gut zusammengearbeitet haben, weiterhin gut funktionieren. &bdquo;Aber da, wo es vorher bereits Schwierigkeiten gab, hat Corona die Probleme noch verschärft", sagt sie. Andreas Blume, Arbeitswissenschaftler und Hochschullehrer in Bielefeld und Bochum, betont die Zweischneidigkeit des Homeoffice. Tatsächlich fühlten sich viele Menschen am häuslichen Schreibtisch weniger gestresst als im Büro, sagt Blume mit Verweis auf eine Studie der Krankenkasse DAK. Zugleich gebe es viele, denen die Angst vor Ansteckung und hygienische Bedenken die Rückkehr in den Betrieb verleiden. Viele Arbeitgeber seien zunehmend von den Vorteilen des Homeoffices überzeugt, 55 Prozent wollten auch nach der Corona-Krise verstärkt auf Heimarbeit setzen, sagt Blume. Eine schon jetzt zu beobachtende Folge: Der Bedarf an Büroräumen sinkt. Viele neigen im Homeoffice zur Selbstausbeutung Allerdings gebe es Problemfelder und offene Fragen. So habe die Arbeitsstättenverordnung für provisorische Homeoffices keine Geltung, und mangels Regulierung gebe es keine formale Verantwortlichkeit des Arbeitgebers und keine adäquate Kontrolle. Dabei zeigt sich durchaus Handlungsbedarf. Eine YouGov-Studie ergab: 29 Prozent der Befragten beklagen, dass ihre technische Ausstattung zu Hause deutlich schlechter sei als im Büro. Die Mängelliste reiche von kleineren Bildschirmen bis zu schlechteren Internetverbindungen, so Blume. Ziemlich klar sei, dass die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen (sprich: Betriebsratsarbeit) schwieriger werde, wenn ständig 50 oder 60 Prozent der Belegschaft im Homeoffice sitzen. Dies sei ein Problem, zumal viele Menschen im Homeoffice dazu neigten, sich selbst auszubeuten und vier bis sieben Stunden pro Woche mehr zu arbeiten als gewöhnlich, wie eine Umfrage eines Fraunhofer-Instituts und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ergeben habe. &bdquo;Diese Mitarbeiter sind aber oft trotzdem zufrieden", sagt Blume. "Führungskräfte müssen für Kommunikation sorgen" Überhaupt sei das Erleben der Arbeit im Homeoffice individuell sehr unterschiedlich, abhängig von persönlichen Eigenschaften wie Selbstdisziplin und Technikaffinität. Manche &bdquo;Nerds" seien es ohnehin gewohnt, allein und für sich zu arbeiten – andere Bürobeschäftigte litten gegebenenfalls unter Isolation. Um zu verhindern, dass Belegschaften auseinanderfallen und die Identifikation mit dem Arbeitgeber sinkt (&bdquo;das könnte theoretisch eine Folge der Arbeit im Homeoffice sein"), seien die Vorgesetzten gefragt, mahnt Blume: &bdquo;Führungskräfte müssen für Kommunikation und klares soziales Gefüge sorgen." Weil die Herstellung von Kontakten kaum noch spontan erfolge und die Kommunikation technischer und umständlicher werde, müssten soziale Beziehungen und die nötige Technik gezielt organisiert werden: &bdquo;Teamleiter müssen dafür sorgen, dass es Face-to-Face-Veranstaltungen und Gelegenheiten zu informeller Kommunikation gibt", rät der Experte, der in Bochum die Personalmanagement-Beratung HR&C führt. &bdquo;Es läuft auf Hybridmodelle hinaus", denkt Blume: Ein Teil der Arbeitszeit wird im Büro geleistet, ein anderer im Homeoffice. Schwierigere Aufgaben, die am besten mit enger Abstimmung zu lösen sind, blieben klassischen Büros vorbehalten: &bdquo;Hier stößt Digitalisierung an Grenzen."

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