Amazon wächst in OWL - mit Folgen für Kunden und Einzelhandel

Bielefeld. Sein erstes Logistikzentrum in Nordrhein-Westfalen eröffnete Amazon 2010 in Werne im Kreis Unna. Ein paar Hundert Mitarbeiter beschäftigte der US-Versand-Riese damals in dem Bundesland. Heute, gerade einmal zehn Jahre später, arbeiten dem Unternehmen zufolge in NRW über 10.000 Menschen an mehr als 17 Standorten des US-Konzerns. Der Online-Händler verdichtet sein Standorte-Netz massiv, auch in Ostwestfalen-Lippe. In Bielefeld und in Paderborn eröffneten kürzlich Verteilzentren, zwischen Oelde und Rheda-Wiedenbrück betreibt der Konzern seit Juli sein nunmehr fünftes Logistikzentrum in NRW. Das Unternehmen hat sich NRW nicht ohne Grund ausgesucht, sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsführung im Kölner Institut für Handelsforschung."NRW ist für Amazon sehr attraktiv: Das bevölkerungsreichste Bundesland mit einer dichten Besiedelung. Bei eigenen Aktivitäten erreichen sie auf kurzen Wegen so sehr viele Menschen." Das passt zur unternehmenseigenen Strategie, mit dem es dem US-Riesen gelungen ist, einen riesigen Kundenstamm aufzubauen und Milliardengewinne einzufahren: der radikalen Kundenorientierung. Stüber erklärt das so: "Alle Prozesse bei Amazon sind auf die Kunden und Kundinnen fokussiert. Kein anderes Unternehmen ist bei der Kundenzentriertheit so radikal und konsequent." So gehe es bei der Einführung eines neuen Prozesses nicht zuallererst um Wirtschaftlichkeit, sondern um den Mehrwert für die Kundinnen und Kunden. Diese Zufriedenheit werde am Ende mehr Umsatz generieren. "Das Unternehmen denkt aus der Sicht von Kunden und Kundinnen – in allen Bereichen. Eine beliebte Anekdote ist, dass bei Meetings immer ein Stuhl leer bleibt, der für die Kundinnen und Kunden steht, damit diese immer bedacht werden", so Stüber. Eigener Lieferdienst im Einsatz Auch in OWL werden Kunden diese Fokussierung zu spüren bekommen. Wer bei Amazon kauft, wird in und rund um Bielefeld künftig zunehmend von Lieferanten des hauseigenen Logistikteams beliefert werden, sagt Amazon-Sprecher Thorsten Schwindhammer. Das Unternehmen kooperiere zwar weiter auch mit anderen Dienstleistern wie DHL und Hermes. Doch das reiche nicht. "Wir brauchen Amazon Logistics als eigenen Lieferdienst, um der steigenden Kundennachfrage gerecht zu werden und um Kunden schnellere und flexiblere Lieferoptionen anzubieten", so Schwindhammer. Eine Lieferung noch am selben Tag der Bestellung, wie es sie in anderen NRW-Städten bereits gibt, sei auch für OWL "sicherlich Ziel". Teile des Einzelhandels in OWL wird das Wachstum von Online-Riesen wie Amazon weiter unter Druck setzen. Hier liegt der Fokus derzeit auf den Folgen der Corona-Krise. Denn die sind gewaltig. Das zuletzt vermeldete leichte Plus in den Gesamtzahlen täusche über die herben Umsatzverluste in bestimmten Branchen hinweg, sagt Thomas Kunz, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Ostwestfalen-Lippe. Während etwa der Zweiradhandel die Verluste aus der vorübergehenden Schließung der Läden im Frühjahr aufholen und sogar ein Plus melden konnte, leidet zum Beispiel der Textilhandel unter bis zu 30 Prozent weniger Umsatz im Vergleich zum Vorjahr. Nun kommen die steigenden Infektionszahlen hinzu. Weniger Menschen gehen bummeln und kaufen auch mal was spontan. Corona-Pandemie wirkt als Verstärker Die Corona-Pandemie treibt im Handel eine Entwicklung, die schon lange vorher begonnen hat. Laut Statistischem Bundesamt ist der Online- und Versandhandel "klarer Gewinner der Corona-Krise": Allein im August steigerte die Branche ihre Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat um 22,9 Prozent. Von April bis Juni lag der reale Umsatzzuwachs im Vergleich zum Vorjahresquartal sogar bei 32 Prozent. Vor der Krise legte die Branche bereits kräftig zu: Von 1999 bis 2019 konnte sie die Umsätze mehr als verdoppeln. Wie sollen sich Einzelhändler gegen große Onlinehändler wie Amazon behaupten, die ihre Waren mit eigenen Lieferdiensten verteilen? "Hier ist die Gleichheit nicht hergestellt", ärgert sich Kunz. "Wir kämpfen um verkaufsoffene Sonntage, während der Online-Handel sieben Tage in der Woche verkaufen darf. Da müsste man regulierend eingreifen." Um den Einzelhandelhandel in OWL digital zu stärken, berät seit etwas über einem Jahr ein durch Landesmittel geförderter Digitalcoach hiesige Händler. "Amazonisierte Welt mit neuen Gesetzmäßigkeiten" Stüber sagt: "Letztendlich dürfen Einzelhändler sich nicht im 1:1-Wettbewerb zu Amazon sehen, sondern müssen verinnerlichen, dass eine amazonisierte Welt mit neuen Gesetzmäßigkeiten vorherrscht." Ein klassisches Produktangebot wie früher könne daher nicht mehr erfolgreich sein. Schon alleine die Anforderungen der Kundinnen und Kunden hinsichtlich Bequemlichkeit seien ganz andere. Es gehe immer mehr vom Produktverkauf in Richtung Angebot von Dienstleistungen, so Stüber. "Das einfachste Beispiel: Warum ein Auto kaufen, wenn die Mobilität das Entscheidende ist. In urbanen Gegenden sind Carsharing und Onlinevermittlungen von Fahrservices daher sehr gefragt. Diese Entwicklung ist auch für den Handel relevant: Richtung Beratung und Service." Produkte anzubieten, die es überall zu kaufen gibt, könne kein Geschäftsmodell für den stationären Handel sein. "Auch über das Produktsortiment ist eine Differenzierung möglich. Besondere Produkte oder Marken, die nicht weit verbreitet sind, können den Unterschied machen." Der Einzelhandel wird weiter kämpfen müssen - auch nach der Corona-Pandemie. In der Zwischenzeit baut Amazon weiter aus, auch in OWL. Im lippischen Belle will der Konzern einen weiteren Standort aufbauen.

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