Das "Schweinesystem" steht vor Veränderungen

Gütersloh. Die Coronakrise hat Veränderungsdruck in die Fleischbranche gebracht. &bdquo;Wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen", sagt der westfälische Bauernpräsident Hubertus Beringmeier. Zwar stehen die Schlachthöfe wegen der erschreckenden Infektionswellen im Vordergrund, aber Beringmeier weiß, dass auch die Landwirte und die Bedingungen der Tierhaltung im Visier aufgebrachter Verbraucher stehen, die das &bdquo;Schweinesystem" anprangern. Mehr Tierwohl und Verbesserungen für die Beschäftigten in der Fleischindustrie seien aber nicht umsonst zu haben, betont Beringmeier: &bdquo;Wenn wir uns eine andere Tierhaltung wünschen, müssen die Verbraucher am Ende auch dafür bezahlen." Sollte die Zahlungsbereitschaft nicht wachsen, würden verschärfte gesetzliche Vorschriften dazu führen, dass die Tierhaltung ins Ausland abwandert: &bdquo;Dann stehen die Ställe weit im Osten und wir importieren nur noch", warnt Beringmeier. Die Frage lautet: Welche Lehren sollten die Land- und Ernährungswirtschaft, aber auch die Verbraucher aus der zur &bdquo;Fleischkrise" ausgewachsenen Coronakrise ziehen? Die Landwirte: Bioproduktion ist teuerEin Schwein, das einmal zu Schnitzel oder Salami verarbeitet werden will, kommt gut 112 Tage nach der Besamung beim Ferkelerzeuger zur Welt und verbringt 28 Tage bei der Sau. Nach 9 bis 10 Wochen zieht das Ferkel mit 25 bis 30 Kilo auf den Rippen zum Mäster um und soll sich dort in 125 Tagen ein Schlachtgewicht von 108 bis 130 Kilo anfuttern. Tierschützer und kritische Verbraucher monieren vor allem die Enge der Ställe (angefangen bei den umstrittenen Kastenständen für trächtige Sauen), die Beschaffenheit der Böden und den Mangel an Auslauf. &bdquo;Wir unterstützen die Vorschläge der Borchert-Kommission voll", sagt Beringmeier mit Blick auf die Ziele bis 2040 – und er plädiert für die anvisierte Tierwohl-Abgabe von etwa 40 Cent pro Kilo. Auf Bio-Niveau erhöhtes Tierwohl durch noch mehr Bewegungsfreiheit, Auslauf ins Freie und besseres Futter sei aber ein Kostenfaktor, weiß Antonius Tillmann, der OWL-Vorsitzende des Bauernverbandes, der selbst auch Schweine mästet. Der Preis für ein Kilo Bio-Schweinefleisch müsste etwa 3,80 Euro kosten, rechnet er – mehr als das doppelte des Preises für konventionelles Fleisch, dessen Preis unter die Marke von 1,50 Euro gerutscht ist. Denn Biohaltung erfordere Investitionen in die Ställe, eine längere Mastzeit und mehr Futtereinsatz. Die Schlachthöfe: Bessere Arbeitsbedingungen unstrittigAuf allen Stufen der Schweinefleisch-Produktion findet Konzentration statt, aber bei den Schlachtern und Zerlegern ist der Trend zur Effizienzsteigerung besonders brutal – das nun vor der Abschaffung stehende Werkvertrags-System ist nur ein Teil davon. &bdquo;2005 gab es bundesweit rund 1.000 Schlachthöfe, heute nur noch 132", sagt Hugo Gödde, Aufsichtsrat der Neuland Fleischvertrieb GmbH, die Produkte aus artgerechter Tierhaltung zertifiziert. Die Marke wurde jüngst kritisiert, weil sie Schlachtdienste von Tönnies in Anspruch nahm, um bei Aldi ins Sortiment zu kommen. Gödde und alle anderen Beteiligten hoffen, dass die Zahl der Schlachthöfe nicht noch weiter schrumpft. Dass nicht nur die Lüftungssysteme der Fabriken, sondern vor allem die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten verbessert werden müssen, scheint unstrittig. Die Branche habe Akzeptanzprobleme, warnt Armin Wiese von der Gewerkschaft NGG. &bdquo;Wir brauchen gute Arbeitsplätze, aber auch regionale Strukturen." Und selbstverständlich ist er auch für höhere Löhne: &bdquo;Wenn die Menschen mehr Geld haben, können sie auch bessere Produkte kaufen." Die Logistik: Weniger lange LebendtransporteEin große Rolle spielt im modernen Schweinezyklus die Logistik. Tagelange Lebend-Transporte durch halb Europa müssen ein Ende haben, fordern nicht nur Tierschützer. Eine Begrenzung von Tiertransporten auf acht oder sechs Stunden würde einer Regionalisierung Vorschub leisten. &bdquo;Und natürlich gilt es auch hier, die Beschäftigten besser zu behandeln", fordert Wiese. Die Wursthersteller: Mehr FleischersatzprodukteMittelständische Fleischwarenfirmen, die Salami, Würstchen oder Schinken herstellen, sind in einer Sandwich-Position: Einerseits das Oligopol der Schlachter (wenige Firmen wie Wiltmann in Versmold haben eine eigene Zerlegung), auf der anderen marktbeherrschende Handelsketten. Die Existenz vieler Wursthersteller sei bedroht, fürchtet Gödde: &bdquo;Ein Fabrikant sagte mir, Wurst sei die Zigarette von morgen". Er setze nun stärker auf Fleisch-Ersatzprodukte. Der Handel: Schluss mit den PreisschlachtenEine Schlüsselposition für den Systemwandel hat der Handel: Hier müssten nötige Preiserhöhungen für Schnitzel und Gulasch durchgesetzt und eine Tierwohl-Abgabe einkassiert werden. &bdquo;Der Handel hat die Verbraucher zu Billigeinkäufern erzogen", erinnert Wiese an die Marktmacht von Aldi, Edeka und Co. Deutsche Lebensmittel sind zu billig, findet er. &bdquo;Aber es gibt kein Menschenrecht auf Billigfleisch", betont Gödde. Klasse statt Masse soll nun die Devise sein.

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