Unternehmensberatung

Berater reloaded

Der Ur-Bielefelder Jan-Henrik Thomas ist Vorstand des Unternehmens „e&Co. AG“ und setzt sich für mehr Menschlichkeit in der Unternehmensberatung ein

28.10.2020 | 28.10.2020, 00:00

Bemüht man die Klischees, dann scheint ein Leben als Unternehmensberater ähnlich wie das eines Spielfilmagenten ablaufen zu können: Gerade hatte man auf dem Rückweg von einer Produktionsstätte nahe Transsilvanien noch das Lederlenkrad eines Wagens gestreichelt, dessen Haube kaum genug Platz für die Zahl der Pferdestärken darunter bot, schon empfing einen eine freundliche lächelnde Stewardess einer internationalen Airline zum Flug ins „Headquarter" auf einem anderen Kontinent. Dabei trägt der Klischeeberater aus dem Bilderbuch Maßanzüge am jugendlich gestählten Körper, der seine Figur diversen Hotelfitnessstudios dieser Welt zu verdanken hat. Dazu passen die Designersonnenbrille, das Headset am Ohr und sein ständiger Verfolger: der Rollkoffer.

Vielleicht läuft in dem ein oder anderen Ohr bei dieser Vorstellung bereits die Titelmusik von James Bond ab. Demjenigen oder derjenigen dürfte aber auch die Kehrseite von auf den ersten Blick überaus cool wirkenden und spielfilmtauglichen Berufsbildern einfallen: James zum Beispiel, erzählt immer wieder, dass er wurzellos, heimatlos und schon lange elternlos ist. Und so mancher Zuschauer wünscht ihm immer wieder eins: dass er endlich sein Leben und damit sein Glück findet.

Tausche Vagabundenleben gegen Gesamt-Glück
Nun ist Jan-Henrik Thomas aus Bielefeld kein Spielfilmregisseur. Er ist viel mehr: Ein Regisseur im realen Leben, der mit seiner Unternehmensberatung „e&Co. AG" dafür kämpft, Unternehmensberatung endlich aus diesem „Elfenbeinturm" des Überheblichen zu befreien und den Beraterberuf zu einem normalen Job zu machen. Einem Job, den Männer und Frauen, die dort ähnlich selten zu finden sind wie Spielfilmagentinnen in der Hauptrolle, ein Berufsleben lang ausüben können. „Durch das Vagabundenleben aus dem Koffer und den Raubbau am Körper gibt es in aller Regel irgendwann einen Knall. 80 Prozent steigen irgendwann aus dem Beraterberuf aus und tauchen ihn gegen einen Nine-to-five-Job im Konzern."

Die Zeiten stehen gut für seine Mission. Denn die Auswirkungen von Corona haben in der Beratungsbranche für neue Regeln gesorgt. „Früher galt für einen Berater die Drei-Vier-Fünf-Regel." Soll heißen: Jede Woche drei Nächte weg, vier Tage beim Kunden und der fünfte Tag war der klassische Office-Day. Dadurch, dass in Corona-Zeiten für viele Menschen das ortsunabhängige Zusammenarbeiten (Remote) normal geworden ist, wird für die Beratungsbranche plötzlich eine „Zwei-Drei"-Regel salonfähig. Heißt: Zwei Nächte weg, drei Tage beim Kunden und insgesamt viel mehr Akzeptanz für flexibles Arbeiten.

Das spiegelt auch die Auslastung von e&Co. wider, was kurz für Entrepreneurs und Consultants – übersetzt Unternehmer und Berater – steht. „Wir haben mit Beginn der Corona-Krise zunächst für alle Mitarbeiter zu einem Teil Kurzarbeit in Anspruch genommen. Seit September sind wir komplett wieder raus. Aktuell stoßen wir sogar an unsere Kapazitätsgrenzen." Das sei auch der Unternehmenskultur zu verdanken, die alles andere als klischeekonform sein dürfte.

Die „Kapazitäten", das sind bei Jan-Henrik Thomas die Mitarbeiter. „Sie sind unser Kapital." Derzeit sind es gut 50 Kollegen, die auch schon vor Corona in aus Branchensicht „unnormalen" Verhältnissen arbeiteten. Denn eigentlich läuft es anders ab, als Jan-Henrik Thomas es sich wünscht: „Beratungsleistungen werden von vielen Unternehmen noch heute wie Schrauben eingekauft. Das heißt: Zeit gegen Geld." Im Prinzip seien Berater oft „ziemlich teure Leiharbeiter". Von denen sich viele Vertreter des nicht geschützten Berufsbildes entsprechend klischeekonform benehmen. Beispiele dafür sind, dass sie in abgetrennten Büros ihr geheimes Süppchen kochen und nicht gemeinsam mit den Mitarbeitern der Kunden arbeiten. In Sprache, Auftreten und Verhalten dürften sie auf viele distanziert und irgendwie insgesamt „drüber" wirken – um im Bild des Elfenbeinturms zu bleiben.

Verantwortung gegen Geld statt Zeit gegen Geld
Auf dem Weg vom Schein zum Sein verfolgt Thomas ein ganz klares Ziel: „Bei uns zählt der Mitverantwortungsgedanke. Bei uns gibt es keine Zeit gegen Geld, sondern Verantwortung gegen Geld." Dazu gehört beispielsweise, dass die Berater mit den Mitarbeitern im Kundenunternehmen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, sich nicht in abgetrennten Büros verstecken und dort einfach als Mensch statt als „Beratungsmaschine" auftreten.

„Beratung neu zu denken, heißt bei uns, Führung neu zu denken." Jan-Henrik Thomas und seine Vorstandskollegen setzen dabei auf die Förderung des Einzelnen, die die Kraft des Ganzen hervorbringt. Es geht um die Ecken und Kanten, die sie zugunsten eines authentischen und menschlichen Auftretens bewusst hervor bringen wollen. Statt die Eigenschaften wie in der Branche oft üblich „abzuschleifen", um aalglatte Beratertypen hervorzubringen.

Eine Sache, die auch die Berater bei „e&Co." gemeinsam haben, ist eine Leitfrage für ihr Handeln: „Was würdet ihr tun, wenn es hier um euer Geld ginge?"

Und das ist nicht nur eine Floskel, sondern es geht wirklich auch ums Geld der Mitarbeiter, die Aktien am Unternehmen erwerben können. „Unser Ziel, langfristig Mitverantwortung zu übernehmen und beständige Partnerschaften aufzubauen, hat auch neue Beteiligungs- und Bezahlmodelle hervorgebracht." Zum Unternehmensportfolio gehören neben Beratung daher auch Unternehmensbeteiligungen. Anders als in der Branche üblich, ist es bei e& Co. auch nichts Ungewöhnliches, dass anstelle eines Honorars eine Umsatzbeteiligung an die Beratung gezahlt werde.

Eine Stellschraube einer neu gedachten Unternehmens- und Führungskultur, bei der ganz klar die Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen: Die Kollegen stark zu machen, heißt für Jan-Henrik Thomas, für sie da zu sein, ihnen zuzuhören. Sie bei der Entwicklung zu unterstützen, ihnen Spaß an der Arbeit vorzuleben und eine langfristige Perspektive zu geben. „Ich spiele verschiedene Rollen", erklärt der 32-Jährige. „Mal stehe ich hinter den Kollegen und stütze sie – oder treibe sie an. Mal stehe ich neben ihnen und halte die Hand. Manchmal stehe ich auch davor und ziehe sie mit – oder fange eine Kugel ab." Und manchmal ist er selbst der Kollege, der einem Projektleiter aus dem Team zuarbeitet.

Currywurst essen mit dem Chef reicht nicht mehr
Er setzt auf den Erfolg selbst steuernder Teams, die als wichtigste Qualifikation über eine soziale Intelligenz verfügen. „Die Zeiten, in denen es gereicht hat, mit dem Chef eine Currywurst essen zu können und gut Wetter zu machen, sind vorbei."

Durch sein Handeln will er auch den Konkurrenzdruck unter den Kollegen senken. „In unserer Kultur sind die Ellenbogen zum Einhaken da und nicht zum Wegstoßen." Werte, die von jedem Mitarbeiter überall auf der Welt und auch an den Bürostandorten Berlin, München, Wolfsburg und Seoul gelebt werden. Dabei sind viele der Werte eigentlich nicht neu. Sondern stammen mitten aus dem Herzen Ostwestfalens.

„Zum Berufsstart habe ich ein duales Studium bei Bertelsmann gemacht. Das Netzwerken, das Vertrauen, die Werteorientierung und auch die Beteiligungskultur prägen mein Handeln bis heute." Jan-Henrik Thomas ist deshalb überzeugt: „Glück hat mit Freiheit zu tun. Und das Glück wird zunehmen." Mit diesen Aussichten hat das Leben im Beraterberuf verglichen mit dem Spielfilmagenten definitiv bessere Chancen auf ein Happy End.


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