Kindheitstraum: Mit dem Rosinenbomber im Regenwald

Bogota. Bis eben galt unsere ganze Aufmerksamkeit den möglichen Schlangen und Spinnen, die uns hier in der kniehohen Vegetation ihre Aufwartung machen könnten. Jetzt aber konzentrieren wir uns nur noch auf das sonore Brummen, das den Himmel erfüllt. &bdquo;Da kommt sie", ruft mein Bruder und zeigt auf die kleine Silhouette eines Flugzeugs, die über den Bäumen sichtbar wird. Wir bringen uns in Position. Sekunden später donnert in fünf Metern Höhe eine alte DC-3 über unsere Köpfe hinweg. Zwei Tage zuvor: Ich habe mich mit meinem Bruder in die südlich von Bogota gelegene Stadt Villavicencio begeben. Der Grund unseres Besuchs: Seit meiner Kindheit träume ich davon, mit einer DC-3 zu fliegen, jenem legendären und wunderschönen Flugzeug, das vor genau 70 Jahren als &bdquo;Rosinenbomber" zum Hauptpfeiler der Berliner Luftbrücke wurde. Es sollte aber kein touristischer Rundflug sein, das war mir nicht authentisch genug. In Villavicencio, so hatte ich erfahren, haben diverse kolumbianische Klein-Airlines ihren Stützpunkt, die mit den unverwüstlichen Oldtimern bis heute unterwegs sind und von der Außenwelt abgeschiedene Gegenden in den Anden und im Amazonasbecken ansteuern. Also auf nach Villavicencio! "So würde ein Kind ein Flugzeug malen" Am kleinen Flughafen der schwül-warmen 500.000-Einwohnerstadt dauert es gar nicht lange, da haben wir schon ein winziges Büro der Gesellschaft &bdquo;Air Colombia" entdeckt. Der staatstragende Name täuscht – die Firma hat gerade mal eine Handvoll Flugzeuge im Einsatz, alle auf Transport spezialisiert. Bei Bedarf dürfen aber auch Passagiere mitfliegen. &bdquo;Wo wollt ihr denn hin?", fragt der etwas verschwitzte Mann, der hinter seinem Schreibtisch und unter einem großen Ventilator auf einem Plastikstuhl sitzt. &bdquo;Egal", ist unsere Antwort. &bdquo;Hauptsache, wir fliegen mit der DC-3." Der Mann lacht. &bdquo;Okay", sagt er. &bdquo;Morgen geht ein Flug nach Mitú, das liegt am Rand des Amazonasbeckens – da ist noch Platz." Abgemacht. Am nächsten Tag geht’s los. Als wir auf dem Rollfeld stehen und die DC-3 auf uns zukommt, bekomme ich feuchte Augen. Der satte Sound der beiden Sternmotoren, die in der Sonne glänzende Außenhülle, dieses Design mit den vielen Rundungen – herrlich. &bdquo;So würde ein Kind ein Flugzeug malen", geht es mir durch den Kopf. Die große Tür – Einstieg und Ladeluke zugleich – öffnet sich, über eine ausgeklappte Leiter besteigen wir den Flieger. Pilot Juan Carlos Cortés Guarín stellt sich und sein Flugzeug persönlich vor: &bdquo;Diese DC-3 ist das älteste noch fliegende Flugzeug in ganz Kolumbien, Baujahr 1936", sagt er nicht ohne Stolz. Verzicht auf überflüssigen Schnickschnack Überflüssigen Schnickschnack sucht man im Laderaum vergeblich, die Kabine ist nicht mal verkleidet. &bdquo;Gewicht sparen", lautet die einleuchtende Erklärung des Piloten. Die DC-3 ist vollgestopft mit Eiern in Kartons, Limo-Flaschen und Matratzen – Dinge, die einige Ladenbesitzer in Mitú bestellt haben. Wir setzen uns auf zwei Klappsitze. Andere Passagiere gibt’s nicht. Außer uns ist nur noch Flugzeugmechaniker José Caballero mit an Bord. Wie immer. Man weiß ja nie... Schwarzer Qualm kommt aus den Auspuff-Rohren, als der Pilot die Propeller anwirft. Der Rauch wird weiß, dann verschwindet er ganz. Wir rollen zur Startbahn, die Motoren werden noch lauter, es rumpelt und rattert – und schon sind wir in der Luft und fliegen mit knapp 200 Kilometern pro Stunde gen Süden. Schon nach kurzer Zeit befinden wir uns überm Regenwald. In etwa 2.000 Metern Höhe ist es ganz schön frisch, durch die zahlreichen undichten Stellen an Fenstern und Ladeluke zieht der Wind. Mein Bruder und ich sehen uns an und lachen. Unterhalten können wir uns kaum, dafür ist es zu laut. Unten die &bdquo;grüne Hölle", am Himmel eine DC-3. Fehlen nur noch die aufgeregt gackernden Hühner – und schon könnte man ein Remake der &bdquo;Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle" drehen. Der Klamauk mit Bud Spencer und Terence Hill ist von 1972, die DC-3 war damals schon ein Sinnbild für &bdquo;alte Klapperkiste" – fast 50 Jahre später verrichtet sie immer noch zuverlässig ihren Dienst. Nach gut zweistündigem Flug setzen wir auf der Landepiste des 30.000-Einwohner-Städtchens Mitú auf. Hier wollen wir zwei Tage bleiben. Abends in einer ziemlich dunklen Kaschemme Abends sitzen wir im &bdquo;Negrito de la Salsa", einer ziemlich dunklen Kaschemme am Ufer des Rio Vaupés. Wir trinken Bier mit dem Flugkapitän. Seit rund 30 Jahren fliegt der 51-Jährige die DC-3. Den Arbeitgeber hat er schon häufig gewechselt, einmal hat es ihn sogar nach Kenia verschlagen, &bdquo;Skyways" hieß die Airline, für die er das alte Flugzeug von 1996 bis 1998 durch den Himmel dirigierte. In Afrika hat er als Pilot auch seinen gefährlichsten Moment durchlebt. &bdquo;Das war auf einem Flug vom Sudan nach Kenia", sagt er und nimmt einen Schluck Bier. &bdquo;Es gab Probleme mit einem Motor. Ich musste ihn abstellen, um Schlimmeres zu verhindern – das kommt schon mal vor", sagt er. &bdquo;Als ich den vier Passagieren sagte, dass wir nun aus Sicherheitsgründen einen Zwischenstopp auf einem nahegelegenen Flughafen einlegen, zog einer ein Messer aus seinem Turban und hielt es mir an den Hals – der vorgesehene Landeplatz befand sich offenbar im Feindesland", erzählt Cortés. &bdquo;Also bin ich mit einem Motor bis nach Kenia weitergeflogen." Bevor wir uns verabschieden, fragt Cortés: &bdquo;Wollt ihr morgen vielleicht mit nach Teresita fliegen? Ist ein 200-Seelen-Dorf an der brasilianischen Grenze, eine halbe Flugstunde von hier entfernt. Ich muss dort ein paar Zementsäcke und Eisenstangen abliefern. " Das lassen wir uns nicht zweimal anbieten. Im Cockpit, im Stehen Den kurzen Flug nach Teresita verbringen wir im Cockpit, im Stehen. Unter uns nichts als Bäume und Flüsse, Cortés fliegt mit offenem Fenster und lässig aufgelegtem Arm, das Motorengeräusch ist ohnehin kaum steigerungsfähig. Die Landung auf der kurzen und unbefestigten Piste in Teresita ist rumpelig, sofort wird die Maschine von den indigenen Dorfbewohnern umringt. Beim Entladen gilt das Motto &bdquo;viele Hände, schnelles Ende" – ruckzuck sind Zementsäcke und Eisenstangen draußen. Cortés steht mit seinem Co-Piloten David Gomez und einigen &bdquo;höhergestellten" Dorfbewohnern im Schatten der Tragfläche, auf der anderen Seite tun es ihnen einige Kinder gleich. &bdquo;Alle anderen Flugzeuge hatten hier schon Probleme mit der Landung, besonders in der Regenzeit, wenn die Landebahn matschig ist – nur auf die DC-3 ist Verlass", erzählt Pablo Giménez, eine Art Ortsvorsteher. "Dann könnt ihr die Maschine in der Luft fotografieren" Unser Pilot macht einen Vorschlag: &bdquo;Wenn ihr wollt, könnt ihr hier im Busch bleiben und auf mich warten. Ich komme in ein paar Stunden zurück. Dann könnt ihr die Maschine in der Luft fotografieren. Und später nehme ich euch wieder mit in die Stadt." Vorschlag angenommen. &bdquo;Wenn ich wiederkomme, stellt ihr euch dort oben an den Anfang der Piste, da könnt ihr die besten Fotos von der Landung machen", sagt uns Cortés noch. &bdquo;Und beim Start auch." Nachdem die DC-3 in der Ferne verschwunden ist, gehen wir an den Rio Papurí, der sich malerisch durchs Dorf schlängelt und die natürliche Grenze zu Brasilien bildet. Zeitig machen wir uns wieder auf den Weg zur Piste. Vis-a-vis mit einer DC-3 im Landeanflug – das wollen wir auf keinen Fall verpassen. &bdquo;War das nicht genial?", rufe ich meinem Bruder zu, als die DC-3 auf der Landebahn aufsetzt eine rote Staubwolke aufwirbelt. Mein Bruder nickt: &bdquo;Das ist nicht mehr zu toppen." Im Scherz fügt er hinzu: &bdquo;Es sei denn, wir dürfen auf dem Rückweg selbst fliegen." Auf dem Rückflug nach Mitú holt uns Juan Carlos Cortés Guarín wieder ins Cockpit. &bdquo;Wollt ihr vielleicht mal kurz ans Steuer?", fragt er. Südamerika – der Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten. Und der endlich erfüllten Kinderträume.

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