Genitalverstümmelung: Nailah S. flieht aus Ägypten nach Bielefeld

Bielefeld/Witten. Weibliche Genitalverstümmelung ist in vielen Ländern Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens grausamer Alltag. Weltweit leiden 200 Millionen Mädchen und Frauen an den Folgen. Mit dem Flüchtlingszustrom leben seit 2015 auch immer mehr Opfer in Deutschland. Frauen wie Nailah S., die mit der Flucht nach Deutschland die Genitalverstümmelung ihrer Tochter in Ägypten verhindern konnte. Doch die 28-Jährige fürchtet auch in ihrer neuen Heimat Bielefeld um die Sicherheit ihrer Tochter, weil die muslimische Community auf eine Genitalverstümmelung während der NRW-Schulferien in Ägypten drängt. Nailah S. (Name von der Redaktion geändert) möchte ihren Namen und ihr Gesicht nicht öffentlich zeigen, zu groß sind die Scham und die Angst vor Repressalien, aber sie möchte ihre Geschichte erzählen, um Mädchen wie ihre Tochter zu schützen. &bdquo;Trotz Verboten und Kampagnen zählt die weibliche Genitalverstümmelung in Ägypten und vielen anderen Ländern zum Leben als Frau", erklärt Nailah S. Laut einer UNICEF-Studie sind 91 Prozent der Ägypterinnen genital verstümmelt. In keinem anderen Land ist die weibliche Genitalverstümmelung so weit verbreitet und hält sich trotz des Verbots und Kampagnen so beharrlich wie in Ägypten. &bdquo;In der Regel werden Mädchen in Ägypten im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren genital verstümmelt", sagt Nailah S. &bdquo;Auch meine Schwestern und ich waren zwölf Jahre alt, als die Hebamme mit der Rasierklinge kam." Die Familie von Nailah S. lebt in sehr einfachen Verhältnissen im Süden Ägyptens. In der Region ist die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung besonders brutal. &bdquo;Die Hebamme hat mir meine Klitoris und Schamlippe herausgeschnitten und zusätzlich meine Vagina bis auf eine kleine Öffnung zugenäht", erklärt Nailah S. &bdquo;Ich erinnere mich noch gut an den Tag. Meine Mutter sagte mir, dass ich zur Frau werde." Nailah S. weiß damals nicht, was auf sie zukommt. &bdquo;Ich hatte Todesangst und habe seitdem unglaubliche Schmerzen." »Viele Gynäkologen erkennen Zeichen der Verstümmelung nicht« Um ihre Tochter vor der Genitalverstümmelung zu schützen, flüchtet Nailah S. 2015 über das Mittelmeer nach Europa. &bdquo;Ich habe alles hinter mir gelassen und bin über Nacht von zu Hause geflohen." Nailah S. schafft es nach Berlin und wird als Asylbewerberin anerkannt. 2016 wird sie NRW zugewiesen und lebt seitdem mit ihrer Tochter in Bielefeld. &bdquo;Ich habe mittlerweile einen Job und lebe mit meiner Tochter in einer kleinen Wohnung. Ich hatte allerdings lange ausschließlich Kontakt zu anderen Flüchtlingen, vor allem zu Frauen aus Ägypten, die mit ihren Familien schon länger in der Stadt leben." Die Frauen freunden sich an, doch je mehr Nailah S. über ihre Flucht erzählt, desto größer wird der Druck auf sie, weil sie ihre Tochter nicht genital verstümmeln lassen will. &bdquo;In der muslimischen Community mischten sich immer mehr Menschen in mein Leben ein und drängten mich zu einem Besuch in Ägypten, damit meine Tochter während der Schulferien in NRW genital verstümmelt werden kann." Nailah S. fürchtet um das Wohlergehen ihrer Tochter, bricht den Kontakt ab und sucht Unterstützung bei einer Hilfsorganisation. &bdquo;Das war sehr schwer, aber ich kenne viele Beispiele für die sogenannten Ferienbeschneidungen." Nailah S. sucht mit ihrer Geschichte die Öffentlichkeit, weil sie verhindern möchte, dass Mädchen genital verstümmelt werden. &bdquo;Wir sollten mehr über diese Grausamkeit sprechen und vor allem Mediziner und Lehrer sensibilisieren, damit Mädchen nicht leiden." In Deutschland leben 50.000 Opfer und 5.700 bedrohte Mädchen Nach ihrer Ankunft in Deutschland sucht Nailah S. 2015 nach einem Mediziner in Berlin, der ihr die Schmerzen nehmen kann. Die Suche empfindet Nailah S. als langwierig und erniedrigend, weil sie immer wieder auf Ärzte trifft, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt haben. &bdquo;Mit der Unterstützung einer Hilfsorganisation habe ich in Berlin eine Fachklinik gefunden, in der ich behandelt wurde." Nailah S. möchte mit ihrer Geschichte auch dafür sorgen, dass sich die medizinische Versorgung für Opfer in Deutschland verbessert, denn nur wenige Gynäkologen wissen, wie sie betroffenen Mädchen und Frauen helfen können. Dabei ist Nailah S. kein Einzelfall. 50.000 Mädchen und Frauen in Deutschland sind nach Angaben des Bundesfrauenministeriums genital verstümmelt und 5.700 Mädchen davon bedroht. Mit dem Flüchtlingszustrom ist die Zahl deutlich gestiegen. Nach deutschem Recht ist die weibliche Genitalverstümmelung auch im Ausland strafbar. &bdquo;Doch Anzeigen gibt es nicht, weil häufig die Beweise fehlen und Frauen oft nicht bereit sind gegen ihre Eltern auszusagen", erklärt Gynäkologe Christoph Zerm aus Witten, der seit 2005 eine Sprechstunde für Opfer der Genitalverstümmelung anbietet. Die Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung hängen von dem Ausmaß des Eingriffs ab. &bdquo;Es gibt Frauen, die keine Beschwerden haben, aber auch Opfer, die nicht zehn Minuten lang auf einem Stuhl sitzen können, weil die Schmerzen zu groß sind." Opfer wie Nailah S. leiden wegen der Verengung der Vaginalöffnung besonders. &bdquo;Wasserlassen ist in solchen Fällen sehr schmerzhaft und dauert zwischen 30 und 40 Minuten. Ebenso problematisch ist die Menstruationsblutung", erklärt Zerm. Zudem sei Geschlechtsverkehr extrem schmerzhaft. &bdquo;Hinzu kommen die seelischen Belastungen durch die Misshandlungen", sagt Zerm, der 400 Gutachten über Opfer der weiblichen Genitalverstümmelung geschrieben hat. Zerm ist einer der wenigen Gynäkologen, der Opfer weiblicher Genitalverstümmelung aktiv unterstützt. &bdquo;Ich gebe regelmäßig Fortbildungen, aber das Interesse in der Ärzteschaft ist gering." Immer wieder liest Zerm Gutachten aus anderen Praxen, die bei Opfern keine Anzeichen einer Genitalverstümmelung erkennen können. &bdquo;Kürzlich lag mir ein Gutachten eines Bielefelder Gynäkologen vor, der trotz der Entfernung der Klitoris keine Anzeichen für eine Verstümmelung erkennen konnte." Um falsche Gutachten zu verhindern und um Betroffenen zu helfen, arbeitet Zerm seit vielen Jahren mit Hilfsorganisationen zusammen, die Opfer an Experten vermitteln.

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