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Deutsche Kinder und Jugendliche gehen besonders ungern zur Schule

Für die „The Children’s Worlds"-Studie der britischen York Universität und der Schweizer Jacobs Stiftung wurden insgesamt 56.000 Kinder in 16 Ländern verschiedener Kontinente befragt

Traurig: Mobbing-Opfer sind oft allein mit ihrem Kummer. | © dpa

17.02.2016 | 17.02.2016, 14:12

Berlin (dpa). Mehr Leistungsdruck, weniger Spaß: Einer Studie zufolge sind deutsche Kinder und Jugendliche in einem weltweiten Vergleich besonders schlecht auf die Schule zu sprechen. „Die Belastung für die Schüler steigt", sagt der Berliner Schulpsychologe Klaus Seifried. Er warnt jedoch davor, das Umfrageergebnis zu verallgemeinern. „Es gibt auch viele Kinder, die jeden Tag mit einem Leuchten in den Augen in die Schule gehen." Entscheidend sei das soziale Klima.

Für die „The Children’s Worlds"-Studie der britischen York Universität und der Schweizer Jacobs Stiftung wurden insgesamt 56.000 Kinder in 16 Ländern verschiedener Kontinente befragt. „Es gibt Länder, wo die Belastung deutlich höher ist als in Deutschland", sagt Seifried. Zum Beispiel in Südkorea oder in Frankreich. In der Studie gaben die Schüler aus Südkorea ebenfalls an, ungern die Schule zu besuchen. Kinder und Jugendliche aus Algerien und Äthiopien mochten demnach den Schulbesuch am liebsten.

Leistungsdruck und Mobbing könnten Gründe für den Verdruss sein, sagt Schulpsychologe Seifried. Die Qualifikationsanforderungen der Gesellschaft seien höher geworden. Heute bräuchten Jugendliche einen Realschulabschluss, um beispielsweise Kfz-Mechaniker zu werden – früher sei das auch mit einem Hauptschulabschluss möglich gewesen. Auch die Zulassungsvoraussetzungen für viele Studiengänge seien deutlich gestiegen.

Dunkelziffer bei Mobbing sehr hoch

Über Erfahrung mit Gewalt in der Schule berichten deutsche Schüler neben denen aus Estland und England in der Studie am häufigsten. Die Dunkelziffer sei bei Mobbing-Fällen immer noch sehr hoch, sagt Psychologe Seifried. „Es werden nur etwa 30 Prozent der Fälle bekannt." Die Belastung der Kinder kann psychosomatische Folgen haben. „Sie flüchten sich in Krankheiten wie Bauch- und Kopfschmerzen", sagt Seifried. Das kann bewusst oder teilbewusst passieren.

Die länderübergreifende Studie erforscht über mehrere Jahre hinweg das Wohlbefinden von Kindern von acht bis zwölf Jahren. Neben der Schule wurden sie unter anderem zu Themen wie Freundschaft und Familie und befragt. Die Forscher fragten ebenso nach materieller Zufriedenheit. In dem Punkt geht es deutschen Kindern und Jugendlichen neben denen aus Südkorea besonders gut: Weniger als zehn Prozent machen sich Sorgen um Finanzielles.

Kommentar

Leistung steht im Vordergrund

Es dreht sich nur noch um Noten – kein Wunder also, dass viele Kinder und Jugendliche keine Lust haben, zur Schule zu gehen. Zwar war es schon immer so, dass nicht jedes Kind mit einem Leuchten in den Augen und einem strahlenden Lächeln im Gesicht sich morgens auf den Unterricht freut – und das wird wohl auch so bleiben. Aber der Schulalltag sollte doch möglichst freudvoll gestaltet sein.

Kinder bringen unterschiedliche Talente mit: Ein Grundverständnis für Zahlen entscheidet oft über Spaß oder Langeweile im Matheunterricht. Entsprechend ihren Fähigkeiten sollten Kinder in der Schule gefördert werden. Gleichzeitig sollten sie Raum zum Ausprobieren bekommen, fernab von Leistungsdruck und Erwartungen.

Die Realität sieht oft anders aus: Volle Stundenpläne und Berge von Hausaufgaben – das Prinzip Leistung steht in vielen Schulen im Vordergrund. Noten spielen für den Werdegang eine wichtige Rolle, das wissen nicht nur die Eltern und Lehrer, sondern auch die Schüler. Dadurch wird schon früh ein enormer Leistungsdruck aufgebaut.

Die Angst davor wächst, keine Ausbildungsstelle oder keinen Studienplatz zu bekommen. In so einer Situation wirken schlechte Noten kaum noch als Ansporn zum Lernen. Ganz im Gegenteil: Viele Schüler resignieren, weil sie glauben den Stoff eh nicht mehr aufholen zu können.
Scheitern muss auch gelernt werden. Ganz klar. Aber in Maßen. Wenn schlechte oder gar mittelmäßige Noten zu Zukunftsängsten führen, würde ich auch nicht gerne zur Schule gehen wollen.

Kontakt zur Kommentatorin Viktoria Bartsch