Kanzler konkretisiert Aussage

Merz reagiert auf Kritik an «Stadtbild»-Äußerung

Erst schaltete sich Klingbeil in Debatte ein, dann erklärte sich Merz. | © Christoph Soeder/dpa

22.10.2025 | 22.10.2025, 20:47

Nach heftiger Kritik an seiner Äußerung zu Problemen im «Stadtbild» hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erstmals genauer erklärt, was er damit meint. Bei einem Besuch in London betonte er, dass Deutschland auch in Zukunft Einwanderung vor allem für den Arbeitsmarkt brauche. Er benannte aber auch, wer ihn im öffentlichen Bild deutscher Städte stört: Migranten ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten. Kurz zuvor hatte ihm auch Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) Kontra gegeben.

Migranten «unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes»

«Ja, wir brauchen auch in Zukunft Einwanderung. Das gilt für Deutschland wie für alle Länder der Europäischen Union. Wir brauchen sie auch und vor allem für unsere Arbeitsmärkte», sagte der Kanzler am Rande des Westbalkan-Gipfels in der britischen Hauptstadt.

Merz konkretisierte seinen Aussagen bei einer Pressekonferenz in London. - © Chris Ratcliffe/PA Wire/Pool/dpa
Merz konkretisierte seinen Aussagen bei einer Pressekonferenz in London. | © Chris Ratcliffe/PA Wire/Pool/dpa

Schon heute seien Menschen mit Migrationshintergrund «unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes». «Wir können auf sie eben gar nicht mehr verzichten, ganz gleich, wo sie herkommen, welcher Hautfarbe sie sind und ganz gleich, ob sie erst in erster, zweiter, dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und arbeiten.»

Bahnhöfe, U-Bahnen, bestimmte Parkanlagen, ganze Stadtteile

Probleme würden aber diejenigen Migranten bereiten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, die nicht arbeiteten und die sich auch nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten. «Viele von diesen bestimmen auch das öffentliche Bild in unseren Städten. Deshalb haben mittlerweile so viele Menschen in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union – das gilt nicht nur für Deutschland – einfach Angst, sich im öffentlichen Raum zu bewegen», sagte der Kanzler. Das betreffe Bahnhöfe, das betreffe U-Bahnen, das betreffe bestimmte Parkanlagen. «Das bestimmt ganze Stadtteile, die auch unserer Polizei große Probleme machen.»

Die Ursachen dieser Probleme müssten gelöst werden. «Die müssen wir und können wir auch nur gemeinsam in Europa lösen.» Das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat müsse wiederhergestellt werden, wo es in den letzten Jahren verloren gegangen sei.

Erst das Stadtbild, dann die Töchter

Ausgangspunkt für die Debatte war eine Aussage des Kanzlers zur Migrationspolitik in der vergangenen Woche in Potsdam. Man korrigiere frühere Versäumnisse und mache Fortschritte, sagte er dort. «Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.»

Die Frage, wie er die Aussage gemeint habe, beantwortete er Anfang dieser Woche auf einer Pressekonferenz mit den Worten: «Fragen Sie mal Ihre Töchter.» Die würden eine klare Antwort geben. Am Dienstag wollte er sich dann in Stuttgart auf Nachfrage nicht mehr zu der von ihm – gewollt oder ungewollt – angestoßenen Debatte äußern. Es sei «deutlich geklärt», was er gemeint habe.

Klingbeil: «Nicht Menschen verlieren, die dazugehören»

Merz hatte in den vergangenen Tagen viel Kritik vor allem aus der Opposition, aber auch vom Koalitionspartner SPD und selbst aus der eigenen Partei einstecken müssen. Vor seinem Statement in London schaltet sich sein Vizekanzler Lars Klingbeil ein. «Ich möchte in einem Land leben, in dem Politik Brücken baut und Gesellschaft zusammenführt, statt mit Sprache zu spalten», hielt der SPD-Chef dem CDU-Vorsitzenden auf einem Gewerkschaftskongress in Hannover entgegen. «Und ich sage euch auch: Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht.»

Man müsse in der Politik «höllisch aufpassen, welche Diskussion wir anstoßen, wenn wir auf einmal wieder in "wir" und "die" unterteilen, in Menschen mit Migrationsgeschichte und ohne». Bei einem Bürgergespräch in Potsdam ergänzte er: «Wir müssen aufpassen, dass wir an dieser Stelle nicht Menschen verlieren, die dazugehören.» Der SPD-Chef sagte: «Ich würde dem Kanzler nie was Schlechtes unterstellen, weil ich ihn kenne. (...) Aber trotzdem sage ich als SPD-Vorsitzender meine Meinung.»

Demonstrationen gehen weiter: 1.500 Teilnehmer in Kiel

Die Demonstrationen als Reaktion auf die Äußerungen des Kanzlers gingen unterdessen weiter. Nach einer Kundgebung in Berlin am Dienstag unter dem Motto «Wir sind die Töchter!» mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern demonstrierten am Mittwoch in Kiel 1.500 Menschen. In Köln ist am Donnerstag eine weitere Demonstration geplant.

Außerdem stieß die Initiative «Radikale Töchter» eine Online-Petition an, die nach Angaben der Plattform innn.it innerhalb von 24 Stunden von etwa 100.000 Menschen unterzeichnet wurde. In dem Aufruf heißt es: «Wir sind die Töchter, die keine Angst vor Vielfalt haben – aber vor Ihrer Politik. Wir sind die Töchter, die sich für Ihren Rassismus nicht einspannen lassen.»

Politische Forderungen: Videoüberwachung und Frauenhäuser

Inzwischen gibt es auch eine Diskussion über konkrete politische Konsequenzen. Der CDU-Landeschef in Rheinland-Pfalz, Gordon Schnieder, sprach von «Angsträumen» in den Städten. Er meine damit öffentliche Plätze, über die gerade Frauen nicht mehr alleine bei Dunkelheit laufen möchten, wie er der «Rheinpfalz» sagte. Um das Problem in den Griff zu bekommen, sprach er sich für eine KI-gestützte Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen aus.

Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek sagte dagegen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, der gefährlichste Ort für Frauen sei ihr eigenes Zuhause. Ginge es Merz um den Schutz von Frauen vor Gewalt, müsste er die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen sichern und in Gewaltprävention investieren.