Ein grelles Licht erleuchtet den Nachthimmel über dem Nordmeer, etwa 300 Kilometer nördlich des Polarkreises vor der Küste Norwegens. Auf dem Deck der Fregatte «Bayern» schießt eine Rakete des Typs «NSSM» senkrecht nach oben. Sekunden später fliegt ein weiterer Flugkörper durch die dichte Wolkendecke. Das Ziel: eine Drohne, die einen simulierten Angriff auf das Schiff fliegt. Nur wenige Momente später hallt ein dumpfer Knall über das Wasser – die Drohne wurde erfolgreich außer Gefecht gesetzt.
Bis zu 54 Flugkörper sollen abgefeuert werden
Die Deutsche Marine probt derzeit in einer großangelegten Übung mit scharfen Schüssen für den Ernstfall. Bei der diesjährigen «Maritime Firing Exercise» (MFE) handelt es sich um die größte Schießübung der Marine mit Lenkflugkörpern seit 30 Jahren. Bis zu 54 Flugkörper sollen in der zweiwöchigen Übung namens Andøya laut Marine abgefeuert werden, aber auch Torpedo- und Artillerieschüsse stehen auf dem Programm.
Etwa 1.300 Soldatinnen und Soldaten sowie zehn Einheiten der Marine nehmen daran teil, darunter Fregatten, Korvetten, Versorger, Bordhubschrauber und ein U-Boot. Die Korvetten «Braunschweig», «Magdeburg» und «Erfurt» kommen allesamt aus Warnemünde. Der Tender «Donau» ist aus Kiel, das U-Boot «U 32» ist in Eckernförde beheimatet, ebenso wie der Tender «Main».
Neben Marine-Soldaten sind auch Spezialisten des Heeres und der Luftwaffe am Flugkörperschießen beteiligt. Zudem ist laut Marine die temporäre Teilnahme eines norwegischen Aufklärungsflugzeugs geplant.
Verteidigung gegen angreifende Luftziele
«Wir trainieren die Verteidigung der Einheiten gegen angreifende Luftziele und auch Flugkörperschießen gegen Ziele auf See und an Land», sagte der Kapitän zur See und Kommandeur der Übung, Florian Feld, der Deutschen Presse-Agentur kurz vor Beginn der Übung. Andøya diene dazu, die komplexen Waffensysteme und die Verfahrensabläufe zu trainieren, eben unter realen Bedingungen.

Für den erfolgreichen Einsatz der Waffensysteme sei das regelmäßige Üben der jeweiligen Funktionsketten maßgeblich, sagte Feld. Den Übungen gingen monatelange Planungen voraus, um den Ablauf des nächtlichen Schießens möglichst reibungslos zu gestalten.
Auch Drohnenabwehr wird geübt
Die eingesetzten Drohnen werden von einem Kontrollzentrum auf dem Festland aus gesteuert. «Diese Drohnen simulieren anfliegende Flugkörper, die unsere Schiffe angreifen würden», so Feld. Bei der Übung kämen verschiedene Drohnen-Typen zum Einsatz. Diese variieren demnach beispielsweise in Größe und Agilität. Einige der unbemannten Luftfahrzeuge erreichen Geschwindigkeiten im Überschallbereich.
Auch die eigentliche Drohnenabwehr ist Teil der Großübung. Die Bekämpfung gegen diese ist laut Feld teilweise gleich wie bei der Verteidigung gegen Luftziele. «Es gibt aber noch eine ganze Reihe von Maßnahmen im elektronischen Spektrum, die wir auch zur Drohnenabwehr einsetzen können», sagte Feld. Dies sei aber nur ein Nebenaspekt der Übung, betonte er. Der Fokus liege auf dem Seekrieg in den verschiedenen Dimensionen über und unter Wasser sowie in der Luft.
Erstmaliger Einsatz von Iris-T auf einem Schiff
Erstmalig auf See kam auch das Luftverteidigungssystem Iris-T an Bord der Fregatte «Baden-Württemberg» erfolgreich zum Einsatz. Das Waffensystem des deutschen Herstellers Diehl Defence ist ein Flugabwehrraketensystem zur Abwehr von Angriffen aus der Luft. Es bekämpft feindliche Flugzeuge, Hubschrauber, Marschflugkörper und Lenkwaffen, einschließlich ballistischer Kurzstreckenraketen.
Das Flugabwehrraketensystem war bisher nur am Boden eingesetzt worden, nun wurde ein entsprechendes Waffensystem für die Marine entwickelt. Das Waffensystem erfüllte alle gesetzten Test- und Erprobungsziele, wie Diehl mitteilte. Der Weg für die Serieneinführung des Luftverteidigungssystems für die Marine sei damit gegeben, hieß es.
Die Marine hat ein festgelegtes Zeitfenster zwischen 21.00 Uhr und 4.00 Uhr für die Schießübungen. Auf der Brücke des Tenders «Donau», ein Versorgungsschiff, herrscht Hochbetrieb zu dieser Zeit. Die Besatzung arbeitet konzentriert und unter Spannung, reagiert auf spontane Probleme und steht im stetigen Funkkontakt zu den anderen Einheiten, um den gemeinsamen Kurs abzustimmen.
Regelmäßiges Flugkörperschießen im Nordmeer
Das Schießgebiet Andøya wird von der Deutschen Marine seit 2016 regelmäßig für Übungs- und Erprobungsschießen genutzt. Es befindet sich fernab ziviler Schifffahrtsrouten und ermöglicht Training unter nahezu realen Einsatzbedingungen, ohne dabei Unbeteiligte zu gefährden.
Die Deutsche Marine führt jährlich Flugkörperschießen im Nordmeer durch – entweder im Frühjahr oder im Herbst. Alle zwei Jahre findet im Nordmeer gemeinsam mit anderen Nationen die Übung «Mjolner» statt. In diesem Jahr beschränkt sich die Übung auf deutsche Streitkräfte.