
Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Dresden die Berliner Republik bewegt. Doch nach dem Pfingstwochenende ist genau das geschehen. „Staatsanwaltschaft Dresden führt Ermittlungsverfahren gegen Dr. Robert Habeck, MdB“, lautete die Überschrift der „Medieninformation“.
Verschickt hat sie die sächsische Strafverfolgungsbehörde am Dienstag. Sie sorgte für viel Aufregung – und für noch mehr Spekulationen.
Worum es bei dem Fall geht, was die Beteiligten sagen und wie das weitere Vorgehen ist, fassen wir in der folgenden Übersicht für Sie zusammen.
Was wirft die Staatsanwaltschaft Habeck vor?
Es geht um eine Wahlkampfrede, die der damalige Vizekanzler am 30. August 2024 in einem Dresdner Kino gehalten hat. Darin soll Habeck laut Medienberichten gesagt haben, jeder wisse, dass AfD und BSW von Moskau bezahlt würden. Außerdem soll er beiden Parteien unterstellt haben, dass sie „Trollarmeen aufbauen“ und „Stimmen kaufen“.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat wegen dieser Äußerungen Strafanzeige erstattet. Die Dresdner Staatsanwaltschaft sieht den Anfangsverdacht der Verleumdung gegen politische Personen (Paragraf 188, Absatz 2, Strafgesetzbuch) erfüllt und hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Zusätzlich haben die Strafverfolger versucht, gegen Habeck auch wegen übler Nachrede gegen Politiker (Paragraf 188, Absatz 1) zu ermitteln.
Sind Abgeordnete nicht durch Immunität vor Strafverfolgung geschützt?
Grundsätzlich genießen Bundestagsabgeordnete Immunität vor Strafverfolgung. Die Parlamentarier sollen sich frei und ohne Angst vor Konsequenzen äußern dürfen. Auch soll die Immunität sie vor politisch motivierter Verfolgung schützen.
Abgeordnete stehen deshalb aber nicht über dem Gesetz. Beim Verdacht auf Straftaten können Staatsanwaltschaften die Aufhebung der Immunität beantragen. Entsprechende Anträge berät der Immunitätsausschuss des Bundestages. Das Gremium gibt eine Empfehlung ab, über die das gesamte Parlament abstimmt. Für gewöhnlich folgen die Abgeordneten den Empfehlungen des Ausschusses.
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Muss jede Ermittlung gegen einen Abgeordneten durch den Bundestag gesondert genehmigt werden?
Nein. Um Verfahren zu erleichtern, hat der Bundestag in Anlage sechs seiner Geschäftsordnung festgelegt, dass Ermittlungen gegen Parlamentarier grundsätzlich möglich sind, wenn das Parlamentspräsidium vorab mit einer Frist von 48 Stunden informiert wird. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen von dieser Regel: Für Exekutivmaßnahmen wie Klageerhebung, Antrag auf einen Strafbefehl oder Verhaftung brauchen Strafverfolger immer eine Genehmigung des Parlaments. Das Gleiche gilt für Verfahren wegen politischer Beleidigungen.

Wurde Robert Habecks Immunität aufgehoben?
Nein, im Gegenteil. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Verleumdung von Personen des politischen Lebens darf die Staatsanwaltschaft ohne Genehmigung des Bundestages führen, weil der entsprechende Paragraf (188, Absatz 2 StGB) unter die pauschale Aufhebung der Immunität fällt. Bei den Ermittlungen wegen übler Nachrede sieht die Sache anders aus. Hier ist eine Aufhebung der Immunität durch den Bundestag nötig, und dieser wurde in der Parlamentssitzung am 5. Juni auf Empfehlung des Immunitätsausschusses abgelehnt. Die Unterlagen dazu sind auf der Webseite des Parlaments öffentlich einsehbar. Es hat auch Medienberichte über das abgelehnte Strafverfahren gegeben.
Warum hat die Staatsanwaltschaft den Fall jetzt öffentlich gemacht?
Ein Sprecher begründete das auf Anfrage dieser Redaktion mit Transparenz, die man herstellen wolle, wenn das den Ermittlungserfolg nicht gefährde. Grünen-Abgeordnete hingegen vermuten, dass die Strafverfolger nicht einverstanden mit der Blockade des Verfahrens durch den Bundestag waren und nun versuchten, politischen Druck auszuüben.
Dafür spricht aus Sicht der Abgeordneten, dass es in der Dresdner Mitteilung wörtlich heißt: „Eine Entscheidung des Deutschen Bundestages zur beantragten Aufhebung der Immunität von Dr. Robert Habeck wegen des Verdachts der üblen Nachrede wurde der Staatsanwaltschaft Dresden vom Deutschen Bundestag noch nicht übermittelt“ – dabei war die Entscheidung bereits 5 Tage vor Veröffentlichung der Medieninformation gefallen.
Wie begründet die Staatsanwaltschaft den Satz?
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft legt Wert auf die Feststellung, dass bislang keine Zuleitung der Bundestagsentscheidung erfolgt sei. Der Satz in der Mitteilung sei deshalb zutreffend. Einen anderen als den offiziellen Kommunikationsweg gebe es nicht, so der Strafverfolger. Zu Spekulationen aus der Politik wollte er sich nicht äußern.
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Kannte die Staatsanwaltschaft den Bundestagsbeschluss tatsächlich nicht?
Das wissen wir nicht. Laut Informationen dieser Redaktion hat die Bundestagsverwaltung zwar eine Information an die Behörde geschickt, es wäre aber zumindest denkbar, dass diese wegen der Pfingstfeiertage ihren Empfänger noch nicht erreicht hat. Von der öffentlich kommunizierten Entscheidung des Parlaments hätten die Ermittler allerdings durchaus Kenntnis erlangen können.
Ist Robert Habeck damit aus dem Schneider?
Nein, das Verfahren wegen Verleumdung politischer Personen läuft weiter. Zu ermitteln gibt es nicht viel, die Sachlage ist eindeutig. Sollte sich die Staatsanwaltschaft entscheiden, Anklage zu erheben oder einen Strafbefehl erwirken zu wollen, muss sie allerdings erneut eine Aufhebung der Immunität beantragen – und der Bundestag könnte diese erneut ablehnen. Damit wäre das Verfahren gegen Habeck erledigt. Würde der Bundestag einer Anklageerhebung zustimmen und käme es zu einer Verurteilung, droht dem Grünen-Politiker eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Dass es dazu kommt, ist allerdings unwahrscheinlich.
Was sagt Robert Habeck zu der Angelegenheit?
Habeck wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion zu dem Ermittlungsverfahren nicht äußern. Sein Bundestagsbüro verwies auf eine Erklärung seiner Verteidiger, wonach seine Sätze eine strafrechtlich zulässige kritische Meinungsäußerung seien. In einem zivilrechtlichen Verfahren hatte der damalige Vizekanzler allerdings bereits Ende September 2024 eine Unterlassungserklärung abgegeben, wie der „Tagesspiegel“ berichtete. Habeck habe auf der Wahlkampfveranstaltung „etwas zu sehr zugespitzt“ formuliert, räumte eine Sprecherin der Grünen seinerzeit ein.
Was sagt Sahra Wagenknecht?
Die BSW-Gründerin wirft dem Grünen-Politiker vor, „wissentlich Lügen über einen politischen Konkurrenten verbreitet“ zu haben, gegen die man sich juristisch zur Wehr setze. In einer Stellungnahme, aus der der „Spiegel“ zitierte, wies Wagenknecht außerdem darauf hin, dass Habeck selbst Hunderte Bürger angezeigt habe, die im Internet „ihre Wut über seine schlechte Politik geäußert“ hätten.
Habeck hatte während seiner Zeit als Minister mehr als 800 Strafanträge wegen Beleidigungen gestellt. Schlagzeilen hatte der Fall eines damals 64-jährigen Mannes aus Bayern gemacht, der Habeck im Netz in Anspielung auf eine Haarpflege-Marke als „Schwachkopf Professional“ bezeichnet hatte, und dessen Haus daraufhin von Ermittlern durchsucht worden war. Kritiker werteten den Fall als Indiz für ein überhartes Vorgehen politischer Entscheidungsträger gegen Kritik.