Interview mit neuem Finanzminister: Wie viel Geld fehlt Ihnen im Haushalt, Herr Klingbeil?

Lars Klingbeil eilt in das Büro im Bundestag. Gerade hat er seine erste Rede als Finanzminister gehalten. Jetzt folgt das erste Interview in diesem Amt. Wir begrüßen ihn mit &bdquo;Herr Minister“. Der 47-jährige Niedersachse winkt ab. Er will erst einmal einen Kaffee. Was seine politische Karriere angeht, will er aber offenbar noch viel mehr, wie das Gespräch zeigt. Herr Klingbeil, Sie sind der erste Bundesfinanzminister, der fast unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung hat, weil die Schuldenregeln aufgeweicht wurden. Sie sprechen aber vom &bdquo;Konsolidierungsbedarf“ – ergo Sparen. Wie viel Geld fehlt im Haushalt? Durch die Grundgesetzänderung haben wir Spielräume geschaffen, um in die Zukunft unseres Landes zu investieren. Das ist nach vorn gerichtet, um Deutschland stark zu machen, nicht um im Haushalt Löcher zu stopfen. Wir wollen, dass Züge pünktlicher kommen, Brücken saniert werden und in Schulen und Wohnraum investiert wird. Hätten wir in der Ampel diese Möglichkeit gehabt, wäre sie nicht an drei fehlenden Milliarden Euro gescheitert. Gleichzeitig ist aber auch klar: Wir müssen an anderen Stellen sparen. Noch einmal: Wie groß ist das Loch im laufenden Haushalt, wo muss gespart werden? Ich will den Haushaltsentwurf für 2025 am 25. Juni im Kabinett beschließen lassen. Als Finanzminister werde ich darauf drängen, dass jedes Ministerium Einsparungen vorbringt. Sich zurückzulehnen, weil wir das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur haben und die Verteidigungsausgaben jetzt von der Schuldenbremse ausgenommen sind, geht nicht. Ich will am Ende einen Etat vorlegen, der durchgerechnet und in sich konsistent ist. Absehbar ist eine drastische Erhöhung der Sozialbeiträge, verursacht durch steigende Kosten für Gesundheit und Pflege. Werden Sie mit Steuermitteln aushelfen? Es ist völlig klar, dass wir bei den Beiträgen in der Krankenversicherung, in der Pflege und bei der Rente gegensteuern müssen. Das ist eine riesige Herausforderung. Deshalb haben wir auch gesagt: keine Schnellschüsse im Koalitionsvertrag. Stattdessen werden wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten grundlegende und mutige Strukturreformen erarbeiten. Haben Sie so viel Zeit? Die Pflege steht zum Beispiel wieder kurz vor der Pleite. Wir sind uns darüber im Klaren, dass in der Pflege- und der Krankenversicherung eine schwierige Situation besteht und wir hier stabilisieren müssen. Aber wir können die Probleme nicht dauerhaft einfach nur mit immer mehr Steuergeld kitten. Trotzdem sollen sich die Fleißigen in diesem Land auf einen starken Sozialstaat verlassen können. Deshalb sollten wir ein bisschen kreativer sein, als nur zu fordern, dass die Menschen einfach länger arbeiten oder Leistungen im Gesundheitswesen gestrichen werden. Probleme nicht dauerhaft mit Steuergeld kitten Ist es mutig und kreativ, Beamte in die Rentenversicherung aufzunehmen, wie es SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas gefordert hat? Ich finde persönlich auch, wir können darüber reden, wer alles und wer wie viel in die Rentenkasse einzahlt. Das ist eine wichtige Debatte, und diese Offenheit brauchen wir. Mehr dazu: Beamte in die Rentenversicherung: Warum das weniger bringt, als viele denken Für die geplante Reform der Schuldenbremse braucht die Koalition die Zustimmung der Linken, um eine Zweidrittelmehrheit ohne die AfD zu bekommen. Wie soll das gehen mit der Union, die eine Kooperation mit der Linken ausschließt? Es geht uns um die Sache. Ich bin sicher, dass es möglich sein wird, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, die gut sind für unser Land. Dafür müsste die Union hier zur inhaltlichen Abstimmung mit der Linken bereit sein. Bei der nötigen Zustimmung der Linken für einen zweiten Wahlgang von Friedrich Merz bei der Kanzlerwahl betonte die Union, sie stimme nur bei Formalien wie der Geschäftsordnung mit den Linken. Wir brauchen eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, um auch langfristig mehr Investitionen zu ermöglichen. Mit der Union ist eine Reform noch in diesem Jahr fest vereinbart. Union und SPD versprechen, die Steuern für kleine und mittlere Einkommen zu senken. Das ist ziemlich schwammig. Können Sie genauer werden? Das ist nicht schwammig. Das ist die Lehre aus der Ampelzeit. Wir wollen keine Versprechen machen, die wir am Ende nicht halten können. Das politische Ziel ist sehr klar: Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, die hart arbeiten, sollen mehr Geld in der Tasche haben. Und jetzt kümmern wir uns darum, dass wir das finanzieren können. Wie soll das bezahlt werden, ohne nicht gleichzeitig die Spitzenverdiener höher zu belasten – was ja ohnehin der Plan der SPD war. Dieses Ziel gibt die SPD auch nicht auf. Als Partei werden wir weiter dafür werben, dass die Spitzenverdiener mehr Verantwortung übernehmen. Mit der Union mussten wir aber Kompromisse finden. Dazu zählt, dass es jetzt keine Steuererhöhungen geben wird. Wenn ich andere auffordere, den Koalitionsvertrag als Messlatte für ihr Handeln ernst zu nehmen, gilt das auch für mich. Im Koalitionsvertrag wird auch eine Erhöhung des Kindergeldes angekündigt, wenn auch etwas verklausuliert. Worauf können sich die Familien einstellen? Wer gut verdient und die steuerlichen Kinderfreibeträge nutzen kann, steht deutlich besser da als jemand, der das Kindergeld bekommt. Als SPD haben wir immer kritisiert, dass die, die mehr haben, auch noch stärker entlastet werden. Das muss einfach gerechter sein. Das heißt aber, dass es einen enormen Sprung beim Kindergeld geben muss – schließlich bringt der Freibetrag rund 100 Euro mehr im Monat als das Kindergeld. Wir beginnen mit der Angleichung. Historisch zum Zusammenhalt verpflichtet Gibt es nach dem Dauerstreit und Bruch der Ampel eine Garantie, dass Schwarz-Rot die volle Legislaturperiode nun durchhält? Wir haben die historische Verpflichtung, dass diese Koalition vier Jahre hält und wir Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen. Im Bundestag sitzt jetzt ein großer Block der rechtsextremen AfD. Wir dürfen nicht wie andere Länder den Weg der zunehmenden Spaltung in der Gesellschaft gehen. Wir müssen jetzt als demokratische Mitte zeigen, dass wir das Land voranbringen. Haben in der Koalition alle verstanden, was für die Demokratie auf dem Spiel steht? Ja, das haben alle verstanden. Warum haben dann 18 Abgeordnete Friedrich Merz bei der Kanzlerwahl im ersten Wahlgang die Stimme verweigert? Das müssen Sie die 18 Abgeordneten fragen. Es war ja eine geheime Wahl. Ausgerechnet 18 Abgeordnete haben auch nicht für Matthias Miersch bei seiner Wahl zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gestimmt. Ich sehe da keine Verbindung. Aber klar, es gab Verletzungen, die Phase nach der Bundestagswahl war hart. Es gibt erste Unstimmigkeiten zwischen Ihnen und dem Kanzler. Er pocht auf die Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes, Sie halten daran fest. Friedrich Merz und ich werden immer im engen Austausch bleiben, zum Hörer greifen und uns besprechen. Wir sind uns bei diesem Thema im Grunde einig. Das nationale Lieferkettengesetz schaffen wir ab. Auf europäischer Ebene wollen wir Bürokratie im Berichtswesen abbauen. Aber wir wollen nicht, dass Wohlstand in Europa durch Kinderarbeit zustande kommt. Was ist mit der Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro? Ist es wirklich so schlimm für die SPD, dass Herr Merz dieses Ziel einmal bis 2027 statt wie im Koalitionsvertrag 2026 formuliert hat? Wenn die Mindestlohnkommission ihre eigenen Regeln ernst nimmt, kommt sie zu einer Erhöhung im Jahr 2026. Dieser Weg steht so im Koalitionsvertrag. Klar ist: Wir wollen den Mindestlohn von 15 Euro. Wir möchten Ihnen ein paar Vornamen der ersten Reihe von CDU, CSU und SPD in ihren Bundesparteien und Bundestagsfraktionen nennen: Friedrich, Jens, Carsten, Steffen, Markus, Alexander, Martin, Reinhard, Lars, Matthias, Tim, Dirk und Saskia beziehungsweise künftig Bärbel. Bis auf die eine SPD-Co-Vorsitzende haben zwölf Männer das Sagen. Was läuft da schief? Diese Aussage würden Saskia Esken, Bärbel Bas, Manuela Schwesig und Anke Rehlinger zu Recht nicht akzeptieren. Und ich im Übrigen auch nicht. Die SPD hat in der Regierung ein Team von sechs Frauen und drei Männern. Die Führung der Fraktion hat mehr Frauen als Männer, wir stellen die zwei starken Ministerpräsidentinnen und auch an der Parteispitze setzen wir mit der Doppelspitze und drei Stellvertreterinnen im Präsidium mehrheitlich auf Frauen. Und das ist richtig so. Neue Bundesregierung: Das sind die Mitglieder der schwarz-roten Koalition In den Entscheidungsgremien im Bund bleibt es trotzdem bei einer Frau. Übrigens sind auch alle drei Regierungssprecher männlich. Kabinett, Präsidium und Fraktionsführung der SPD sind für mich die wichtigsten Entscheidungsgremien. Natürlich können wir immer noch besser werden. Das ist auch mein Anspruch. In der SPD und auch für mich persönlich ist Parität eine Selbstverständlichkeit. Warum steigen Sie nach der Wahlschlappe auf und Saskia Esken ab? Wir haben alle Entscheidungen an der Parteispitze gemeinsam getroffen. Wie schwer fallen solche Entscheidungen, dass Saskia Esken nicht ins Kabinett kommt und Hubertus Heil gehen muss? Das waren Wochen großer Verantwortung und harter Entscheidungen. Es ging darum, die SPD neu aufzustellen. Das waren keine Entscheidungen gegen Einzelne. Kann man bei 16 Prozent noch von einer Volkspartei sprechen? Das ist ein katastrophales Wahlergebnis. Aber die Frage, ob man Volkspartei ist, ist vor allem eine Haltungsfrage und nicht eine Prozentfrage. Wir wollen unsere Gesellschaft zusammenbringen, Brücken bauen, das Land als Ganzes sehen. Ich bin in meinem Wahlkreis beim Schützenfest und beim Startup. Eine solche Haltung macht für mich eine Volkspartei aus. Was muss die SPD künftig dringend abstellen, um wieder mehr gemocht zu werden? Uns ist der Charakter als Partei der Arbeit abhandengekommen. Als Partei, die für Menschen da ist, die Leistung zeigen im Job, in der Familie oder auch im Ehrenamt. Sie müssen sehen, dass die SPD sich um ihre Belange kümmert. Mir ist auf jeder Wahlkampfveranstaltung entgegengeschlagen, dass wir uns angeblich nur um das Bürgergeld kümmern. Diesem Eindruck müssen wir doch entgegentreten. In der neuen Regierung tun wir alles dafür, dass Arbeitsplätze sicher sind und die Wirtschaft ans Laufen kommt. Das hat oberste Priorität. Ist Ihre Verantwortung als Finanzminister und Vizekanzler die Voraussetzung dafür, um die nächste Kanzlerkandidatur der SPD anzustreben? Es ist überhaupt nicht der Zeitpunkt, sich jetzt über die nächste Bundestagswahl Gedanken zu machen. Mein Anspruch ist, dass ich meinen Job gut mache. Meine Messlatte ist, dass die Bürgerinnen und Bürger sagen, das ist richtig, dass er der Finanzminister ist.

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