Washington. Nach dem beispiellosen Eklat im Weißen Haus zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und US-Präsident Donald Trump positioniert sich der britische Premier Keir Starmer als Brückenbauer. Für Sonntag hat er europäische Staats- und Regierungschefs zu einem Ukraine-Gipfel nach London eingeladen. Unter anderem werden Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, weitere Staats- und Regierungschefs sowie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa in London erwartet. Den ukrainischen Präsidenten will Starmer noch heute im Regierungssitz, 10 Downing Street, empfangen.
Am Freitag war es zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor laufender Kamera zu einem Zerwürfnis gekommen. Die beiden Staatsmänner brachen ein Treffen im Weißen Haus ab, nachdem Trump den Ukrainer lautstark mit Vorwürfen überzogen hatte. Der US-Präsident drohte Selenskyj sogar, die Ukraine im Stich zu lassen, sollte es nicht zu einem Friedensabkommen mit Russland kommen.
Rohstoff-Deal kam nicht zustande
Auch die Unterzeichnung eines Rohstoff-Deals zwischen den USA und der Ukraine kam nicht zustande. Das Abkommen, bei dem es unter anderem um den US-Zugang zu in der Ukraine lagernden seltenen Erden ging, war von Trump als wichtige Voraussetzung für einen Frieden in der Ukraine gesehen worden. Trump sieht den Zugang zu den Rohstoffen auch als Gegenleistung für bisherige US-Militärhilfen. Nach Kongressunterlagen haben die USA bisher 183 Milliarden US-Dollar für die Ukraine-Hilfe aufgewendet, Trump spricht von 350 Milliarden Dollar.
US-Außenminister Marco Rubio fordert nach dem Eklat im Weißen Haus eine Entschuldigung vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dessen offene Untergrabung der Friedensbemühungen sei sehr frustrierend. „Und ich denke, er sollte sich dafür entschuldigen, dass er unsere Zeit für ein Treffen verschwendet hat, das so zu Ende ging“, sagte Rubio in einem CNN-Interview. Es habe keinen Grund für Selenskyj gegeben, derart konfrontativ aufzutreten. „Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen.“ Selenskyj hatte eine Entschuldigung zuvor bereits abgelehnt.
Trump will einen sofortigen Waffenstillstand
US-Präsident Donald Trump schließt eine sofortige Wiederaufnahme von Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus. „Er möchte sofort zurückkommen. Aber das geht für mich nicht“, sagte Trump bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Eklat im Oval Office.
„Das war kein Mann, der Frieden schließen wollte, und ich bin nur interessiert, wenn er das Blutvergießen beenden will“, sagte Trump kurz vor dem Abflug in den US-Bundesstaat Florida. Dort will er in seinem Anwesen Mar-a-Lago das Wochenende verbringen. „Ich will jetzt einen Waffenstillstand.“ Selenskyj habe „die Karten nicht in der Hand“. Er solle nicht über Putin und all die „negativen Sachen“ sprechen. „Er muss sagen: Ich will Frieden.“
Schicksal der Ukraine in der Schwebe
Damit ist die Zukunft der Ukraine ungewiss - die weitere Unterstützung durch die USA hängt in der Luft. „Er kann zurückkommen, wenn er zu Frieden bereit ist“, schrieb Trump nach der abrupt beendeten Zusammenkunft auf seinem Online-Sprachrohr Truth Social. Der Ukrainer sei „nicht zum Frieden bereit, wenn Amerika beteiligt ist, weil er glaubt, dass unsere Beteiligung ihm einen großen Vorteil bei den Verhandlungen verschafft“. Die militärische Unterstützung der USA für deren Verteidigung gegen den Angriff Russlands gilt als entscheidend.
Das Treffen zwischen Trump und seinem ukrainischen Kollegen war mit Spannung erwartet worden. Der Republikaner hatte Selenskyj bereits in den vergangenen Wochen mit teils haarsträubenden Beschimpfungen überzogen und ihn Diktator genannt – unmittelbar vor dem Besuch des Ukrainers hat er aber seinen Ton gemildert. Eigentlich wollten die Ukraine und die USA ein Rohstoffabkommen unterzeichnen.
Eskalation zwischen Trump und Selenskyj nach 40 Minuten
Selenskyj traf am Vormittag (Ortszeit) im Weißen Haus ein. Trump begrüßte ihn mit Handschlag und sagte zu dem Ukrainer, dass dieser sich herausgeputzt habe. Selenskyj war wie üblich mit einem Pullover bekleidet. Dann ging es für die beiden ins Oval Office, wo sie sich ersten Fragen der Presse stellten. Rund 40 Minuten lang verlief dasGespräch in angemessener Atmosphäre.
Trump machte deutlich, dass die Ukraine in Friedensverhandlungen mit Russland Kompromisse machen müsse und dass die Friedenssicherung für ihn zweitrangig sei. „Ich mache mir keine Sorgen um die Sicherheit. Ich sorge mich darum, den Deal abzuschließen“, so Trump mit Blick auf ein Friedensabkommen.
Selenskyj pochte unter anderem auf Garantien zur Absicherung eines möglichen Friedens. Er betonte, dass die europäischen Verbündeten dabei auf die Rückendeckung der USA angewiesen seien.
Die Atmosphäre heizte sich immer weiter auf - schließlich kippte die Stimmung. „Sie setzen das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel. Sie riskieren einen Dritten Weltkrieg“, sagte Trump unter anderem lautstark zu dem Ukrainer. Er warf ihm Undankbarkeit vor. „Ihr Land steckt in großen Schwierigkeiten. Ich weiß, dass Sie nicht gewinnen werden. Sie werden das hier nicht gewinnen. Sie haben eine verdammt gute Chance, da heil rauszukommen, wegen uns.“
Selenskyj saß mit verschränkten Armen neben Trump, versuchte sich zu verteidigen – wurde aber immer wieder unterbrochen. Er monierte, dass nach der russischen Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 niemand wirksam Kremlchef Wladimir Putin aufgehalten habe.
Auch Vance stimmt in Schimpftirade ein
Auch US-Vizepräsident J.D. Vance stimmte in Trumps Tirade mit ein. „Herr Präsident, Herr Präsident, bei allem Respekt. Ich finde es respektlos von Ihnen, ins Oval Office zu kommen und zu versuchen, vor den amerikanischen Medien zu verhandeln“, sagte Vance. „Gerade jetzt, wo Sie herumlaufen und Wehrpflichtige an die Front zwingen, weil Sie Personalprobleme haben, sollten Sie Präsident (Trump) dafür danken, dass er versucht, die Situation zu verbessern.“
Drei Jahre Ukraine-Krieg: Was ein Ex-Student aus Paderborn im Krieg erlebt
Trump schickte die Presse schließlich aus dem Oval Office und sagte: „Ich denke, wir haben genug gesehen.“ Das sei großartiges Fernsehen gewesen. Es ist unklar, wie es hinter den Kulissen weiterging. Klar ist, dass Trump kurze Zeit später seinen wütenden Beitrag auf Truth Social veröffentlichte. Der Sender Fox News berichtete, der Republikaner habe den Ukrainer rausgeworfen. Dieser verließ das Weiße Haus nicht sofort – er blieb noch rund eine Stunde dort. Es ist offen, was in dieser Zeit passierte. Schließlich stieg Selenskyj in ein vor dem Westflügel geparktes Fahrzeug und fuhr darin davon.
USA größter Unterstützer der Ukraine
Die USA sind der wichtigste Unterstützer und Waffenlieferant der Ukraine. Trumps Amtsvorgänger Joe Biden hatte sich mit Nachdruck für immer neue Finanz- und Militärhilfen für das angegriffene Land eingesetzt und gleichzeitig weitreichende Sanktionen gegen Russland vorangetrieben. In ihren letzten Monaten arbeitet die Biden-Regierung daran, noch umfangreiche Militärhilfen nach Kiew zu entsenden, um die vom Kongress bereits genehmigten Mittel rechtzeitig auszuschöpfen.
Trump hingegen betonte im Wahlkampf wiederholt seine guten Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin und behauptete mehrfach, er könne den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden – ohne jedoch konkrete Details zu nennen. In Kiew und anderen europäischen Hauptstädten wuchs deshalb nach seinem Amtsantritt die Sorge, dass der Republikaner die Unterstützung für die Ukraine kürzen könnte, um deren Regierung zu Verhandlungen mit Moskau zu drängen.
Scholz und Merz sichern Ukraine Unterstützung zu
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach dem Eklat den Friedenswillen der Ukraine betont und sich damit von Trump abgegrenzt. „Niemand will Frieden mehr als die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine!“, schrieb Scholz auf der Plattform X auf Deutsch und Englisch. „Deswegen suchen wir gemeinsam den Weg zu einem dauerhaften und gerechten Frieden.“ Angesichts von Trumps Drohung, die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland im Stich zu lassen, betonte Scholz: „Auf Deutschland – und auf Europa – kann sich die Ukraine verlassen.“
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, ebenfalls auf X: „Lieber Wolodymyr Selenskyj, wir stehen der Ukraine in guten wie in schwierigen Zeiten zur Seite. Wir dürfen in diesem schrecklichen Krieg niemals Angreifer und Opfer verwechseln.“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf X: „Die Ukraine ist nicht allein. (...) Die Ukraine kann auf unerschütterliche Unterstützung aus Deutschland, Europa und darüber hinaus bauen. Ihre Verteidigung der Demokratie und ihr Streben nach Frieden und Sicherheit sind unsere.“
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor Medienvertretern in Paris: Russland sei der Aggressor. „Es gibt ein angegriffenes Volk, das die Ukraine ist.“ Er meine, „dass man diejenigen respektieren muss, die von Anfang an gekämpft haben, weil sie für ihre Würde, ihre Unabhängigkeit, ihre Kinder und für die Sicherheit Europas kämpfen“. Allen, die der Ukraine gegen Russland geholfen hätten, sei zu danken, sagte Macron und erwähnte auch die USA.
Kaja Kallas: Europa als Anführer der freien Welt
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf X an Selenskyj gerichtet: „Ihre Würde ehrt den Mut des ukrainischen Volkes. Seien Sie stark, seien Sie mutig, seien Sie furchtlos. (...) Wir werden weiterhin mit Ihnen für einen gerechten und dauerhaften Frieden arbeiten.“
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auf X: „Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht. Es liegt an uns Europäern, diese Herausforderung anzunehmen.“