Ex-FDP-Politikerin Matthäus-Maier: „Frech, wie Lindner sich darstellt“

Frau Matthäus-Maier, 1982 saßen Sie als FDP-Abgeordnete im Bundestag, als die FDP die SPD-Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt verließ und Helmut Kohl von der CDU zur Kanzlerschaft verhalf. Das Szenario war etwas anders als heute: Über ein konstruktives Misstrauensvotum war Kohl sofort im Amt, die Neuwahl wurde von ihm danach über eine Vertrauensfrage ausgelöst. Wie blicken Sie jetzt auf den Bruch der Ampelkoalition? Ingrid Matthäus-Maier: Das ist ein absolutes Déjà-vu, insbesondere was das Verhalten der FDP angeht. Der Ablauf ist sehr vergleichbar. Auch 1982 hat die FDP mit Ihrem damaligen Parteivorsitzenden Hans-Dietrich Genscher hinter dem Rücken des Bundeskanzlers versucht, die Koalition zu beenden – übrigens auch hinter dem Rücken vieler Abgeordneter und Mitarbeiter. Es gab das Lambsdorff-Papier zur Wirtschaftspolitik, es gab die Behauptung, man könne mit der SPD keinen Haushalt hinbekommen. Das war alles dummes Zeug. Die FDP hatte schlechte Wahlergebnisse und wollte raus, weil sie dachte, das könne sie retten. So ist das heute wieder. Die Strategie Genschers ist 1982 aufgegangen: Danach hat die FDP 16 Jahre lang mit der Union unter Bundeskanzler Helmut Kohl regiert. Ja, die Leute sind vergesslich. Das konstruktive Misstrauensvotum war im Oktober, die Vertrauensfrage von Helmut Kohl im Dezember. Gewählt wurde dann im März. Schnellere Neuwahlen hat die FDP zusammen mit Kohl verhindert. Der Ruf der FDP war dennoch auf Jahre beschädigt. Davor hatte ich Genscher noch vor dem Koalitionsbruch in einem Brief vom 19. September 1982 gewarnt und dabei auf einen Spruch von Franz Josef Strauß verwiesen. Der hatte gesagt: Man könne sich bei der FDP auf eines verlassen – auf ihre Charakterlosigkeit. Dafür hätte die Partei keinen Beleg liefern dürfen. Weder damals noch jetzt. Was macht Sie so sicher, dass 1982 falsch gespielt worden war? Nachdem ich wegen des konstruktiven Misstrauensvotums aus der Partei ausgetreten war und den Vorsitz des Finanzausschusses niedergelegt hat, hat mir der Obmann der Union im Finanzausschuss, Reinhold Kreile von der CSU, erzählt, dass Genscher schon im Frühjahr 1982 mit ihm über das Thema gesprochen hat. Und er, Kreile, habe darauf gesagt: Das macht die Matthäus-Maier nie mit. Es kursierten offenbar auch Listen, mit den Namen derer, die einen Bruch mitmachen oder nicht mitmachen würden – und auch mit Namen derer, die sich durch Ämter &bdquo;kaufen“ ließen. Auf so einer Bösartigkeit lässt sich in einer Regierung kein Vertrauen aufbauen. Es war etwas ganz anderes als das Verhältnis von Willy Brandt und Walter Scheel, die 1969 in einer Nacht die sozialliberale Koalition geschmiedet haben. Die haben einander wirklich vertraut. Lesen Sie auch: Wie FDP-Politiker aus OWL die Turbulenzen um das &bdquo;D-Day-Papier“ bewerten Mit Blick auf den Bruch der Ampel sagt FDP-Chef Lindner, es sei doch klar gewesen, dass die Koalition nicht hält – und das sogenannte &bdquo;D-Day-Papier“, mit dem der Bruch geplant wurde, sei daher nichts Besonderes. Natürlich versucht man, sich reinzuwaschen vom Vorwurf der Hinterhältigkeit. Die zeigt sich aber in dem Papier sehr deutlich – und sie ist schlimmer als die so heftig kritisierte Wortwahl. Ich fand die Erklärung von Olaf Scholz, der empört vom Vertrauensbruch durch Lindner sprach, daher sehr nachvollziehbar. Und es ist wirklich frech, wie Lindner sich jetzt als Unschuldslamm darstellt. Die FDP sagt auch, SPD und Grüne hätten dem Wirtschaftswende-Papier Lindners zustimmen können, um die Koalition zu retten. Das war ein typisches Lambsdorff-Papier, so wie 1982. Und es war genauso wenig haltbar. Nehmen Sie die Forderung nach Abschaffung des Rest-Soli. Damit würden Leute wie ich, mit hohem Einkommen als ehemalige Chefin der KfW, wunderbar dastehen. Aber den Soli abschaffen und dann in der Sozialpolitik kürzen – das geht nicht. Im Übrigen ist mir später immer mehr klar geworden, warum gerade Lambsdorff (Otto Graf Lambsdorff (FDP), der damalige Wirtschaftsminister, Anm.d.Red.) 1982 so auf den Bruch der Koalition aus war. Er wurde wegen Steuerhinterziehung verfolgt und hoffte offenbar darauf, unter Kohl die Amnestie zu bekommen, die Willy Brandt und Helmut Schmidt ihm verweigert hatten. Das hat dann allerdings nicht geklappt. Es gab einen Prozess und er wurde verurteilt. Den Haushalt hätten Sie 1982 auch noch hinbekommen, mit der SPD? Natürlich. Mit gutem Willen wäre das gegangen. Ich hatte mit dem damaligen SPD-Finanzminister Manfred Lahnstein im Flugzeug zur IWF-Tagung in Toronto als Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses zwei Stunden lang den kompletten Haushalt durchdiskutiert, samt Kompromissen. Wir hatten sozusagen einen fertigen Haushaltsentwurf für 1983. Aber als wir aus Toronto zurückkamen, war alles vorbei. Im Nachhinein haben sich dann manche Beobachtungen erklärt. Welche zum Beispiel? Im Frühjahr/Sommer 1982 ging Genscher, wie so oft, durch die Abgeordnetenreihen. Er stand gerade bei mir, erkundigte sich nach der Familie. Währenddessen redete vorne der Kanzler Helmut Schmidt. Und Genscher sagt plötzlich: &bdquo;Was sagt er denn da? Da muss ich ihm unbedingt einen Brief schreiben.“ Darauf sage ich zu ihm: Herr Genscher, Sie sitzen stundenlang nebeneinander. Warum sprechen Sie den Kanzler nicht darauf an? Sie sehen: Wenn man sich nicht vertraut, kann so eine Zusammenarbeit nicht klappen. Die FDP hat sich insbesondere die Einhaltung der Schuldenbremse auf die Fahnen geschrieben. Wie sehen Sie das als Finanzexpertin? Natürlich muss man mit Staatsschulden verantwortlich umgehen. Daher haben wir bei den Verhandlungen über die Einführung des Euro die sogenannten Maastricht-Kriterien festgelegt, also ein Defizit von maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent. Ziel war, den Euro stabil zu halten und der Verunsicherung der Menschen etwas entgegenzusetzen. Aber sowas dann ins Grundgesetz zu schreiben, war wirklich abwegig. Solche Details zur Staatsfinanzierung gehören nicht in eine Verfassung. Welche Reaktionen gab es auf Ihren Austritt? Verkehrsminister Volker Wissing, der mit dem Bruch seine jahrzehntelange FDP-Mitgliedschaft beendet hat, wird von führenden Parteileuten als &bdquo;Verräter“ bezeichnet. Herrn Wissings Verhalten finde ich sehr honorig. Als ich auf dem FDP-Parteitag nach dem konstruktiven Misstrauensvotum meinen Rückzug ankündigte, gab es bei vielen Tränen. Mein Mann hat damals einen ganzen Stapel Mitgliedsbücher beim Präsidium abgegeben. Ich habe bergeweise positive Rückmeldungen bekommen. Und natürlich gab es auch die, die gesagt haben: Endlich ist sie weg. Damals sind ja auch Leute in die FDP gekommen, denen die Partei vorher zu sozialliberal war. Aber insgesamt hielt sich die FDP mit Kritik sehr zurück, da ich mein Bundestagsmandat niedergelegt habe. Mit Herrn Genscher habe ich danach bewusst nie mehr ein Wort gewechselt. Wie sozialliberal ist die FDP denn heute noch? Die Streichung des § 219a Strafgesetzbuch, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche vorsah, wurde durchgesetzt. Das ist gut. Beim § 218 und bei der Regelung des kirchlichen Arbeitsrechtes und der Staatsleistungen an die Kirche hat sich die FDP leider entweder weggeduckt oder eine Reform aktiv verhindert. Kann die FDP den Sprung in den Bundestag nochmal schaffen? Das werden wir sehen.

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