Die SPD verliert den Glauben an sich selbst

Ihm sei nicht bange, wie sich die Wählerinnen und Wähler am 23. Februar entscheiden werden, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz im Brustton der Siegesgewissheit. Nach seiner einstimmigen Nominierung zum Kanzlerkandidaten am Montag im Parteivorstand hat der Wahlkampf der SPD begonnen, die Plakate können gedruckt werden. Der in der Bevölkerung beliebteste Politiker, Verteidigungsminister Boris Pistorius, hatte sich vorige Woche selbst aus dem Rennen genommen. Bis dahin waren die Rufe in der SPD lauter geworden, er solle antreten. Scholz beschwört nun eine Wiederholung des Bundestagswahlkampfs von 2021. Die SPD wolle geschlossen erreichen, was ihr damals gelungen sei, sagt er. &bdquo;Nämlich, dass die SPD von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes ein Votum bekommt, stärkste Partei zu werden.“ Nach einer exklusiven Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) glaubt daran jedoch selbst nur ein Bruchteil der SPD-Mitglieder: 14 Prozent. Forsa hat am vorigen Donnerstag und Freitag insgesamt 1.030 Mitglieder befragt – 453 am 21. November vor Pistorius’ Absage an eine Kanzlerkandidatur und 577 Mitglieder danach. Die Umfrage ergibt folgendes Bild: Die Präferenzen für Scholz und Pistorius als Kanzlerkandidat Nur knapp die Hälfte der SPD-Mitglieder (49 Prozent) war unmittelbar vor Pistorius Rückzug in der K-Frage der Meinung, dass Scholz wieder antreten soll. 41 Prozent gaben an, Pistorius wäre ihnen lieber. Nach dessen Botschaft an die Parteimitglieder, dass er nicht als Kandidat zur Verfügung stehe, hielten 58 Prozent der Genossinnen und Genossen Scholz´ Kandidatur für richtig. 35 Prozent blieben dabei, dass ihnen Pistorius lieber gewesen wäre. Zustimmung erfährt Pistorius vor allem bei Mitgliedern, die sich in der politischen Mitte oder dem rechten SPD-Spektrum zuordnen. Paradox Direkt vor und nach Pistorius´ Verzicht auf die Kandidatur meinte eine klare Mehrheit von 64 Prozent der SPD-Mitglieder, dass die Partei mit ihm die größeren Chancen als mit Scholz gehabt hätte, bei der Neuwahl des Bundestags ein gutes Ergebnis zu erzielen. Zufriedenheit mit Scholz und Pistorius Mit der Arbeit des Bundeskanzlers, der am 6. November Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen, ihm wütend die Schuld für diesen Schritt zugewiesen und die Ampelkoalition aufgelöst hat, sind jetzt mehr SPD-Mitglieder (64 Prozent) einverstanden, als es noch im Sommer der Fall war (55 Prozent). Fast niemand (nur ein Prozent) der Mitglieder gibt der SPD die Schuld am Ampelbruch. Vor allem Mitglieder, die sich selbst im linken politischen Segment sehen, pflichten Scholz bei. Pistorius allerdings hat viel höhere Zustimmungswerte: 94 Prozent. Im Sommer war sein Wert noch nicht ermittelt worden. Das Ansehen der Parteivorsitzenden Weniger als die Hälfte der SPD-Mitglieder (47 Prozent) zeigt sich mit der Arbeit von Saskia Esken zufrieden. Vor allem in den neuen Ländern fehlt es der 63-Jährigen an Anerkennung (bei 64 Prozent der Befragten). Co-Chef Lars Klingbeil wird deutlich besser bewertet. 85 Prozent der Mitglieder kann der 46-Jährige nach dieser Umfrage hinter sich versammeln. Auffallend ist, dass beide Vorsitzenden besser bewertet werden als im Sommer nach der verlorenen Europawahl (Esken: 44 Prozent Zustimmung, Klingbeil: 79 Prozent). Anders als vielfach angenommen hat ihnen demnach ihr zögerliches Verhalten während der parteiinternen Debatte über die K-Frage offenbar nicht geschadet. Die SPD-Nachwuchsorganisation Jusos hingegen spricht von einer &bdquo;Shitshow“ der Führungsspitze. Die Einschätzung der Wahlchancen der SPD Nach dem historisch schlechten Ergebnis der SPD bei der Europawahl glaubten im Juli noch 31 Prozent ihrer Mitglieder, dass die Partei bei der nächsten Bundestagswahl wieder stärkste Kraft werden könnte. Nun halten das nur noch 14 Prozent für möglich, 84 Prozent glauben es nicht, zwei Prozent werden unter der Rubrik &bdquo;Weiß nicht“ geführt. Mit einem Ergebnis von über 25 Prozent – wie 2021 – rechnet nur noch eine winzige Minderheit: 9 Prozent. 56 Prozent rechnen damit, dass die SPD bei der Wahl im Februar weniger als 20 Prozent bekommen wird. Koalition mit der Union oder Opposition? Von Juli bis November ist in dieser Frage ein Sinneswandel festzustellen. Im Sommer rieten noch 61 Prozent der SPD-Mitglieder ihrer Partei dazu, nach der nächsten Bundestagswahl die Oppositionsrolle zu übernehmen. Inzwischen befürworten das nur noch 42 Prozent. Eine Mehrheit von 55 Prozent meint nun, die SPD solle mit CDU und CSU wieder eine große Koalition bilden. Scholz stimmt sich auf ein Duell mit Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) ein. Die Frontfrauen und -männer von Grünen, FDP, Linken, BSW und AfD ignoriert er in der Frage, wer ihn herausfordert. Schon im Mai hatte er sich demonstrativ erfreut über eine Kanzlerkandidatur von Merz geäußert. Danke gleichfalls, könnten CDU und CSU sagen. Auch bei ihnen herrscht Erleichterung, dass es Scholz und nicht der beliebte Pistorius geworden ist.

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