Während Olaf Scholz in Rio die Welt retten will, gerät er zu Hause in Not

Olaf Scholz hält mit seiner Verärgerung nicht hinterm Berg. Ross und Reiter müssten benannt werden, wettert er in Rio de Janeiro. Der Bundeskanzler ist unzufrieden mit der Abschlusserklärung für den G20-Gipfel am Zuckerhut. Ihm fehlt darin eine klare Sprache, dass Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat und dem Krieg in Gaza die Hamas-Attacke auf Israel vorausgegangen ist. Dennoch schert Deutschland aus dem Kommuniqué nicht aus. Scholz will dem Gastgeber, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, dabei helfen, die großen Wirtschaftsmächte zusammenzuhalten. Lesen Sie auch: Die wichtigsten Punkte der G20-Abschlusserklärung von Rio Währenddessen bröckelt der Zusammenhalt in seiner SPD. Eigentlich müsste Scholz in Berlin und nicht am anderen Ende der Welt sein. Sein Programm bei dem Gipfel ist eng getaktet. Arbeitssitzung zur Bekämpfung von Hunger und Armut, eine Runde zu Reformen der internationalen Institutionen, persönliche Gespräche mit den Ministerpräsidenten von Singapur und Vietnam. Am Dienstag steht ein so schwieriges wie wichtiges 30-Minuten-Gespräch mit Chinas Staatschef Xi Jinping an. Es geht um die brisante Frage, ob Peking Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Drohnen und Dual-Use-Gütern unterstützt, die ebenso für militärische als auch zivile Zwecke eingesetzt werden können. Ferner ist der Einsatz nordkoreanischer Truppen zur Unterstützung Russlands in der Ukraine ein Thema. Wenn jemand wirklich Einfluss auf beide Staaten hat, dann Xi. Viel Zuspruch für Boris Pistorius in der Kanzlerdebatte Und zwischendrin kein schöner Gruß aus Deutschland. Die Vorsitzenden der einflussreichen Landesgruppe Nordrhein-Westfalen in der SPD-Fraktion, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, haben eine Erklärung herausgegeben. Das findet auch deshalb große Beachtung, weil Esdar Sprecherin der Parlamentarischen Linken, und Wiese Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, ist. Mit ihnen senden die zwei unterschiedlichen mächtigen Strömungen dieselbe Botschaft: In der Debatte über die Kanzlerkandidatur der SPD (die nach Scholz’ Ansicht glasklar er selbst übernehmen muss) &bdquo;hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius“. Lesen Sie auch: Der Liveticker zur Regierungskrise Der richtige Ort für die Entscheidung der K-Frage seien nun die Parteigremien, erklären Esdar und Wiese und schreiben noch, das Ansehen von Scholz sei stark mit der – zerbrochenen – Ampelkoalition verbunden. Das klingt so, als sei der 66-Jährige wegen des Ampelchaos verbrannt. Scholz liest das in Rio. Er hat jedoch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Er hat seine Reise allerdings verkürzt und fliegt entgegen ursprünglichen Planungen nicht nach Mexiko weiter, sondern nach Berlin zurück. Es sei ja einiges los dort, hieß es schon vorige Woche. Am Mittwochmorgen wird er wieder deutschen Boden unter den Füßen haben, er weiß dann nur noch nicht, wie stabil der ist. Denn an der SPD-Basis rumort es. Manche rechnen sich mit Pistorius, dem beliebten Verteidigungsminister, bessere Chancen bei der Bundestagswahl am 23. Februar aus. Hingegen haben sich die SPD-Chefs Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie die Bundesminister Hubertus Heil, Karl Lauterbach und Nancy Faeser schon für Scholz ausgesprochen. Parteigremien wollen K-Frage schnell klären Es wird spekuliert, dass die Parteigremien nun schnell dazu tagen werden. Eine aktuelle Beliebtheitsskala erhöht den Handlungsdruck. Im neuen Politikerranking, das vom Insa-Institut für die &bdquo;Bild“-Zeitung erstellt wird, steht Scholz in dieser Woche zum ersten Mal auf dem letzten Platz. Und ganz oben ist: Pistorius. Scholz gibt sich in Rio unbeeindruckt von der Debatte in Deutschland. Ob er das alles wirklich so cool wegsteckt, bleibt offen. Er hat hier aber auch ganz andere Sorgen. Von G20-Gipfel zu G20-Gipfel taucht Russlands Krieg gegen die Ukraine mit seinen internationalen Folgen in der Abschlusserklärung immer weniger auf. Lesen Sie auch: Das Dilemma der SPD Vor 2022 auf Bali verurteilte den Krieg noch die Mehrheit der Länder. Schon im vorigen Jahr in Indien gelang nur eine abgeschwächte Position. Die Abschlusserklärungen haben keine bindende Wirkung, aber eine starke Signalwirkung. Eine schnelle Abschlusserklärung zum Gipfel Lula gelang es, sein Herzensanliegen in dem Dokument der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer unterzubringen: den Kampf gegen Hunger, Armut und Erderwärmung. Ferner wollen sie den UN-Sicherheitsrat repräsentativer und effizienter machen und internationale Institutionen und Organisationen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) reformieren. Sie mischten sich zu sehr in die inneren Angelegenheiten der Schuldnerländer ein, lautet der Vorwurf. Auch eine wirksame Besteuerung der Superreichen soll angestrebt werden (eine Milliardärssteuer). Lula mahnt mehr Multilateralismus an. &bdquo;Die Stabilität der Welt hängt von repräsentativeren Institutionen ab, sagt er. Mehr Stimmen in diesen Institutionen seien &bdquo;der Weg zum Frieden“. Scholz setzt sich auch dafür ein, dass der Westen die anderen Länder auf Augenhöhe behandelt. &bdquo;Die Länder des globalen Südens, viele einflussreiche Staaten, werden in Zukunft über die Zukunft unserer Welt mitreden wollen, insbesondere wenn es um die Fragen der gemeinsamen Entwicklung geht“, betont er. Lula lässt die Abschlusserklärung überraschend bereits am ersten Gipfeltag und nicht, wie ihr Name sagt, zum Abschluss veröffentlichen. Offenbar, um Fakten zu schaffen. Damit es nach außen so aussieht, als gebe unter den unterschiedlichen Staaten von den USA bis China und von Russland bis Brasilien zumindest einen kleinsten gemeinsamen Nenner.

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