Berlin (AFP/dpa). Nach einer Serie von Wahlniederlagen hat der Bundesvorstand der Grünen geschlossen seinen Rücktritt erklärt. „Wir sind zum Ergebnis gekommen: Es braucht einen Neustart“, sagte Parteichef Omid Nouripour am Mittwoch in Berlin. Auf dem Bundesparteitag im November solle ein neuer Vorstand gewählt werden.
„Das Wahlergebnis am Sonntag in Brandenburg ist ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade“, betonte Nouripour. Es brauche nun „neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen“, sagte Co-Parteichefin Ricarda Lang. Die Wahl eines neuen Vorstands solle ein „Baustein sein für die strategische Neuaufstellung dieser Partei“. Lang fügte hinzu: „Jetzt ist nicht die Zeit, um am Stuhl zu kleben - jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen, und wir übernehmen diese Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat den angekündigten Rücktritt des Grünen-Parteivorstands als „großen Dienst an der Partei“ bezeichnet. Habeck sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht. Ricarda Lang und Omid Nouripour beweisen, was für sie der Parteivorsitz bedeutet: Verantwortung. Sie machen den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang. Das ist nicht selbstverständlich, es ist ein großer Dienst an der Partei.“
Bundesvorstand wurde im November 2023 gewählt
Lang und Nouripour waren Ende Januar 2022 zu Co-Vorsitzenden gewählt worden. In der Partei sind sie relativ beliebt. Dass zwischen ihnen – anders als bei manchen Vorgängern – keine Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten zu spüren waren, rechnen ihnen viele Grünen-Mitglieder hoch an. Der aktuelle Bundesvorstand war im November 2023 eigentlich für zwei Jahre gewählt worden.
Dem bisherigen Grünen-Vorstand gehören neben Lang und Nouripour noch die stellvertretenden Parteivorsitzenden Pegah Edalatian und Heiko Knopf, Geschäftsführerin Emily Büning und Bundesschatzmeister Frederic Carpenter an. Nach Langs Angaben soll der Vorstand noch bis zur Neuwahl auf dem Parteitag im Amt bleiben.
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Schon am Montag hatte Nouripour relativ resigniert geklungen. Er sprach von einer bitteren Niederlage in Brandenburg und zeigte sich zugleich konsterniert über den Zustand der Ampel-Koalition. „Der große Feng-Shui-Moment wird wohl nicht mehr kommen, und das glaubt mir auch niemand mehr, wenn ich das sage“, sagte er nach Beratungen des Parteivorstandes. „Wir machen unsere Arbeit, wir versuchen, das Land nach vorne zu bringen und fühlen uns auch an den Koalitionsvertrag, an das, was miteinander vereinbart worden ist, gebunden“, sagte der Grünen-Chef. „Aber das ist es auch dann.“
Herbe Verluste bei zurückliegenden Wahlen
Die Grünen hatten bei den vier zurückliegenden Wahlen – der Europawahl und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – drastische Verluste erlitten. In Brandenburg haben sie ihr Ergebnis mehr als halbiert. Aus zwei Landtagen flogen sie hinaus. Allein in Sachsen gelang ihnen knapp der Wiedereinzug ins Landesparlament.
Die Grünen wollen im Herbst entscheiden, ob sie bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken oder nur mit einem Spitzenkandidaten antreten. Voraussichtlich fällt die Entscheidung vor dem Bundesparteitag, der Mitte November in Wiesbaden stattfindet. Nachdem Außenministerin Baerbock gesagt hatte, dass sie diesmal nicht an der Spitze stehen will, läuft alles auf Habeck hinaus.
„Ich möchte auf dem Parteitag eine offene Debatte zu einer möglichen Kandidatur und ein ehrliches Votum in geheimer Wahl“, sagte Habeck. Der Parteitag werde jetzt der Ort werden, „wo sich die Grünen neu sortieren und neu aufstellen werden, um dann mit neuer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl zu beginnen“.
Baerbock: Müssen auch in Regierung besser werden
Baerbock sieht Verbesserungsbedarf in ihrer Partei - und in der Ampel-Regierung. „Wir alle, die wir für die Grünen und dieses Land Verantwortung tragen, müssen uns fragen, was wir anders machen können und müssen“, erklärte die Ex-Grünen-Chefin am Rande der UN-Generalversammlung in New York.
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Es gehe darum, das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen. „Auch wir in der Regierung müssen uns fragen, wie wir besser werden können.“ Baerbock sagte weiter, sie werde Habeck auf seinem Weg und dem Parteitag im November mit aller Kraft und ganzem Einsatz unterstützen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte: „Es ist das klare Signal: Die Grünen haben verstanden. Es hat sich etwas geändert in unserem Land und darauf reagieren wir.“
Mögliche Kandidaten für Parteivorsitz der Grünen
Wer für den Parteivorsitz kandidieren wird, ist noch offen, auch wenn hinter den Kulissen schon die Namen genannt werden. Einer davon ist Franziska Brantner. Sie ist parlamentarische Staatssekretärin imWirtschaftsministerium, eine enge Vertraute Habecks, die dem Realo-Flügel angehört. Für die 45-Jährige spricht nach Ansicht von Parteimitgliedern, dass sie klar kommunizieren kann und aktiv verschiedene Social-Media-Plattformen bespielt.
Schon vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass Brantner Habecks Wahlkampfmanagerin werden soll. Auch der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak (34) gilt als aussichtsreicher Bewerber. In seiner damaligen Rolle als Landesvorsitzender hat er die nordrhein-westfälischen Grünen 2022 zu ihrem bislang besten Ergebnis (18,2 Prozent) in NRW und in die Landesregierung geführt.
Nach „Spiegel“-Informationen ist auch der Berliner Grünen-Abgeordnete und Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch im Gespräch. Eine Sprecherin der hessischen Grünen-Landtagsfraktion sagte, der frühere hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir wolle nicht – wie es der „Tagesspiegel“ geschrieben hatte – Vorsitzender der Grünen werden.
Söder fordert Rücktritt von Habeck
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat nach dem Rücktritt der Grünen-Spitze auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Die Rücktrittsankündigung der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sei „nichts anderes als ein Bauernopfer“, sagte er in Berlin. Dass der Grünen-Bundesvorstand im November komplett zurücktreten wolle, zeige, „dass die Ampel in sich zerfällt“.
Grund für die sinkende Akzeptanz der Grünen seien nicht Fehler der Parteispitze, sondern das Regierungshandeln. Habeck persönlich sei verantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands. Dass Subventionen keine Lösung seien, habe unter anderem der Fall Intel gezeigt. Habecks Rücktritt sei „fällig und Neuwahlen bei der Ampel auch - Punkt“, sagte Söder.
Der kriselnde Chipkonzern Intel hatte angekündigt, den Bau eines Werks in Magdeburg zu verschieben. Das Projekt werde voraussichtlich um zwei Jahre verzögert, hatte Firmenchef Pat Gelsinger mitgeteilt. Intel kämpft mit Verlusten und hat ein Sparprogramm eingeleitet. Die Bundesregierung will die Intel-Ansiedlung eigentlich mit staatlichen Mitteln von rund 10 Milliarden Euro fördern.