SPD-Fraktionschef Mützenich: „Politik muss Ukraine Frieden bringen“

Herr Mützenich, Ihnen wird aktuell vorgehalten, Sie seien ein pazifistischer Idealist, der von Politik keine Ahnung habe. Sind Sie einer? Rolf Mützenich: Ich bin weder Pazifist noch würde ich behaupten, dass ich gar keine Ahnung von Politik habe. Aber ich habe mit meiner jüngsten Rede im Bundestag zu einer Diskussion beitragen wollen, die in meinen Augen nötig ist. Denn wir dürfen diese Debatte, wie wir die Ukraine unterstützen können, nicht allein auf Waffenlieferungen beschränken. Das wäre eine Verengung. Wir brauchen vielmehr auch eine politische Debatte darüber, wie man zu lokalen Waffenruhen, zu einem Waffenstillstand oder zu einem, wenn auch nur vorübergehenden Einfrieren der Kriegshandlungen kommt, um darauf diplomatisch aufzubauen. Natürlich kann und darf dies nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg geschehen. Sollte es irgendwann zu einem Schweigen der Waffen kommen, dann bedeutet das nicht das Ende der Hilfen, sondern ich glaube, dass diese dann noch wesentlich größer sein werden. Darauf muss sich Deutschland bereits jetzt einstellen. Unser Land wird in den nächsten 20, 30 Jahren immense Mittel investieren und starke politische Entscheidungen treffen müssen, um die europäische Sicherheit zu gewährleisten, aber auch die der Ukraine. Wenn Sie sich selbst nicht als Pazifist bezeichnen: Sind Ihre Kritiker dann Bellizisten? Nein, auch das nicht. Vielleicht gewöhne ich mich nie an die Verengung oder daran, dass man mit Schlagworten politische Debatten dominieren oder verhindern will. Man sollte sich nie an Begrifflichkeiten und Zuschreibungen orientieren. Was mich aber aktuell wirklich empört, ist, dass ich angeblich taktisch agieren würde, um der SPD Vorteile zu verschaffen. Wer meine Biografie und meine politischen Aussagen und Entscheidungen sieht, kann leicht erkennen, dass das falsch ist. Ich habe in meiner jüngsten Rede ja auch darüber berichtet, dass wir Partner brauchen, um diesen Konflikt einzugrenzen. Und die finden wir auch außerhalb Europas. Lesen Sie auch: Pistorius distanziert sich von Mützenich Sie sprechen den Begriff des Einfrierens erneut an, der viel Kritik ausgelöst hat. Was meinen Sie damit und wollen Sie ihn nun korrigieren? Nein, das möchte ich nicht. Ich bin in den Sozial- und Friedenswissenschaften ausgebildet. Dort wird das Einfrieren als Begrifflichkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen zu ermöglichen, die überführt werden können in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt. Dies benötigt natürlich die Zustimmung beider Kriegsparteien. Das kann man nicht von außen diktieren. Werden Ihre jüngsten Aussagen also gerade bewusst falsch interpretiert? Das will ich niemandem unterstellen. Aber wer mich so heftig kritisiert, ist offenbar nicht bereit, eine politische Debatte zu führen, die auch Alternativen in den Blick nimmt. Auch Grüne und FDP kritisieren Sie. Außenministerin Baerbock hat während Ihrer Rede mit dem Kopf geschüttelt. Auch beim Thema Taurus gibt es interne Differenzen. Was sagt das über den Zustand der Ampel aus? Der Kanzler hat eine Entscheidung getroffen für die Bundesregierung und für die Koalition. Obwohl allen Stichwortgebern alle Informationen vorliegen, kritisieren sie nicht nur den Regierungschef, sondern drängen ihn weiterhin zu einer anderen Entscheidung. Ich unterstütze nicht nur den Bundeskanzler bei seiner Haltung, sondern ich stelle mich vor ihn. Nimmt die eigene Koalition den Kanzler nicht ernst? Der Kanzler steht in dieser Koalition dafür, Kompromisse einzugehen und die Partner beieinander zu halten. Das waren manchmal auch Kompromisse, für die ich mich mitunter selbst verleugnen musste. Aber um den Wert der Koalition fand ich diese Strategie der kollegialen Führungsverantwortung richtig. Dass diese Strategie von einigen Partnern nicht akzeptiert oder begriffen worden ist, bedaure ich. Haben Sie sich mit Scholz eigentlich in der Taurus-Frage abgestimmt? Wir stimmen uns oft ab und reden häufig miteinander. Ich bin dankbar, dass der Kanzler auch bei mir Rat und Meinung einholt. Wir haben uns natürlich auch über Taurus unterhalten. Ich kenne und teile seine Beweggründe in dieser Frage. Was wissen Sie, was wir nicht wissen? Wie ernst nehmen Sie Sorgen vor einem Atomschlag? Die &bdquo;New York Times“ hat vor einiger Zeit berichtet, dass es im Oktober 2022 ernstzunehmende Hinweise gab, wonach Russland bereit sein könnte, eine taktische Atomwaffe einzusetzen, weil große russische Verbände eingeschlossen waren. Auch vor diesem Hintergrund war Scholz in China – und Staatschef Xi Jinping hat dabei bekräftigt, dass niemals Atomwaffen eingesetzt werden dürfen. Wer sich diese Zusammenhänge vor Augen führt, sollte sich im Nachhinein schämen, dass er oder sie die Reise des Kanzlers kritisiert hat oder ihm Verhaltensregeln mit auf den Weg gegeben hat. Wie kann ein Lösungsweg für die Ukraine aussehen? Wir müssen China davon überzeugen, dass die Volksrepublik ein existenzielles und wirtschaftliches Interesse hat, stärker im von Russland zu verantwortenden Krieg diplomatisch aktiv zu werden. Dafür müssen wir Anreize setzen. China hat wahrscheinlich noch einen gewissen Einfluss auf Russland. Diese Debatten muss die Politik doch führen, anstatt darüber zu reden, wo die Schrauben beim Taurus sitzen. Die Optionen, wie ein militärischer Konflikt beendet werden kann, die werden am Ende politische sein. Putin lässt aktuell verlauten, dass eine Waffenruhe womöglich während der Olympischen Spiele denkbar sei. Ist das in Ihren Augen ein Lösungsfenster, das man öffnen könnte? Man darf eine Gelegenheit – und sei sie noch so klein – nie verstreichen lassen. Es ist möglich, dass solche Vorschläge Putins Spielerei sind, er hat uns oft genug angelogen. Das muss man aber trotzdem prüfen. Ich habe keinen Friedensfahrplan bereit – ich möchte aber, dass wir offener für Überlegungen sind, wie eine Lösung aussehen kann. Letztendlich muss aber die Ukraine entscheiden. Trifft Sie die aktuelle Kritik persönlich? Es geht doch nicht um mich, sondern um das Leben von Menschen. Deswegen wundere ich mich manchmal, mit welcher Leichtigkeit über den Krieg gesprochen wird.

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