
Generalmajor Christian Freuding, 52, leitet den Sonderstab Ukraine und den neuen Planungs- und Führungsstab im Bundesverteidigungsministerium. Dabei koordiniert er die Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes und besucht es auch regelmäßig.
Herr Freuding, der Ukraine-Krieg hat vor fast zwei Jahren begonnen. Wann wird er enden?
Er wird dann enden, wenn die Ukraine den Krieg gewonnen hat.
So optimistisch sind Sie?
Ich bin optimistisch, weil wir Vertrauen haben in das, was die ukrainischen Streitkräfte können und leisten, weil wir Vertrauen haben in den Wert unserer Unterstützung, und weil wir Vertrauen haben in die Geschlossenheit der Partner der Ukraine, die den Durchhaltewillen besitzen, um zu dem von uns allen gewünschten Ergebnis zu kommen.
Signifikant ist in der Ukraine vor allem der Mangel an Munition. Laut „Economist“ liegt die russische Überlegenheit hier derzeit bei 10:2. Gleichzeitig bleibt die EU bei der Lieferung hinter ihren Zusagen zurück. Und die weitere Unterstützung aus den USA ist ungewiss.
Ich will das nicht schönreden. Natürlich ist die Versorgung mit Munition ein kritischer Punkt. Allerdings spielen hier nicht allein Zahlen eine Rolle. So sind mittlerweile die meisten der von der Ukraine genutzten Systeme wesentlich präziser in der Wirkung als die russischen Systeme. Damit braucht man auch weniger Munition. Und allein aus Deutschland werden wir in diesem Jahr unsere Lieferungen an Artilleriemunition wohl mehr als verdoppeln können. Dennoch bleibt die Versorgung mit Munition das zentrale Thema bei der Unterstützung durch den Westen.
Deutschland hat viel mehr Waffen geliefert, als man zu Beginn des Krieges für möglich gehalten hätte. Nun wird über die Taurus-Marschflugkörper gestritten. Welche militärische Wirkung ließe sich damit erzielen?
Die Ukrainer setzen bereits Langstreckenwaffen von anderen Staaten ein. Doch kein einzelnes Waffensystem ist eine Wunderwaffe oder ein Game-Changer. Es kommt vielmehr darauf an, dass die militärische Führung das, was sie zur Verfügung hat, in einem klugen Mix und in Abwägung der Möglichkeiten des Gegners gezielt einsetzt. Daraus entsteht militärischer Erfolg und nicht durch eine symbolhaft aufgeladene vermeintliche Wunderwaffe. Viel wichtiger ist der langfristige, strukturierte Fähigkeitsaufbau der ukrainischen Streitkräfte, den wir jetzt angehen. Und hier übernimmt Deutschland bei einer der zentralen Fähigkeiten, der Luftverteidigung, eine Führungsrolle.
Braucht die Ukraine neben mehr westlichen Waffen und Munition auch mehr eigene Soldaten?
Die Ukraine wird mit Sicherheit mehr Soldaten mobilisieren müssen – allein schon wegen der Verlustzahlen, soweit wir sie einsehen können. Aber auch aufgrund der Tatsache, dass Truppenteile, die teilweise seit 24 Monaten an der Front sind, regeneriert werden müssen. Über Art und Umfang der Mobilisierung wird gerade in der Ukraine diskutiert. Das ist ein politisch-gesellschaftlicher Aushandlungsprozess, bei dem auch die demografische Lage der Ukraine eine Rolle spielt. Da gibt es diese Delle zwischen den Jahrgängen der heute 20- und 40-Jährigen. Daher müssen die Ukrainer auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit ihres Staates genauso achten wie auf ihre militärische Funktionsfähigkeit.
Für Aufsehen sorgt derzeit das Zerwürfnis zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinem Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj, die auch um die Mobilisierung ringen. Wie schwer wiegt das?
Wir können nicht hinter die Kulissen blicken. Aber natürlich beobachten wir diese Diskussionen zwischen der militärischen und der politischen Führung. Und natürlich wünschen wir der Ukraine, dass sie die Einigkeit wahrt, die sie in den letzten Monaten und Jahren stark gemacht hat bei der Verteidigung ihres Landes. So eine Diskussion ist zwar auch Kennzeichen eines demokratischen Staates. Aber auf Dauer ist sie den Verteidigungsanstrengungen nicht zuträglich.