Grüne unbeliebt wie lange nicht: Was wird aus der Partei?

Katharina Schulze hat erlebt, wie es ist, wenn der Wind plötzlich anders weht – von vorn. &bdquo;Der letzte Landtagswahlkampf war anders als der Wahlkampf 2018“, sagt die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag am Telefon über den zurückliegenden Spätsommer. Wilder, aggressiver. &bdquo;Mit jedem Tag sind die Angriffe auf uns härter geworden.“ Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zum Beispiel habe bei einer Veranstaltung in einem Bierzelt am Chiemsee bloß unter großem Polizeischutz auftreten können. Am Ende des Wahlkampfes sei sogar ein Stein in Richtung der grünen Wahlkämpfer geflogen. &bdquo;Parteimitglieder wurden beim Plakate kleben angebrüllt und beleidigt“, fährt die 38-Jährige, die als unerschrocken gilt, fort. &bdquo;Plakate wurden gezielt kaputt gemacht. So gehäuft und so massiv habe ich das noch nicht erlebt. Viele von uns waren erschüttert, denn Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung.“ Was Schulze gar nicht erwähnt: Vor dem Bierzelt am Chiemsee kamen Wurfgeschosse zwar nicht zum Einsatz, wurden aber angeboten, direkt vor dem Eingang. Verhältnisse, wie man sie bis dahin lediglich aus einzelnen ostdeutschen Regionen kannte, sind auch im Freistaat Alltag geworden. Sie belegen, dass sich die Situation der Grünen radikal verändert hat. Vor vier Jahren war die Partei, zumindest auf der Bundesebene, ohne Einfluss – aber ungeheuer beliebt. Heute stellt sie den Vizekanzler – und ist so unbeliebt wie lange nicht. Grüne wie im Rausch: mehr Mitglieder, mehr Prozente Ein erster Höhepunkt des grünen Aufschwungs war die Europawahl 2019. In Erwartung des kommenden Triumphs fand die Wahlparty schon nicht mehr in der Parteizentrale mit ihrem viel zu kleinen Saal statt. Stattdessen zogen die Grünen in die nahe gelegene Heinrich-Böll-Stiftung um. Das Balken-Diagramm zeigte 20,5 Prozent, während der Balken der SPD bei 15,8 Prozent stehen blieb. Die Grünen waren wie im Rausch. Alle jubelten. Die damalige Parteivorsitzende und heutige Außenministerin Annalena Baerbock jubelte in der ersten Reihe. Es war auch die Zeit, in der die Zahl der Parteimitglieder zu explodieren schien – von rund 65.000 im Jahr 2018 auf 125.000 im Jahr 2022. Das heimliche Motto: The Sky is the Limit. Der Himmel ist die Grenze. Baerbock ließ bei einem Parteikonvent wissen, dass man nicht sämtliche grüne Positionen teilen müsse, um Teil des grünen Erfolgs zu sein. Klar, Klimaschutz war das Markenzeichen. Doch dahinter wurde die Programmatik schwammig. Die Grünen wollten möglichst viele anziehen und, noch wichtiger, niemanden abschrecken. Es folgte das Rennen um die Kanzlerkandidatur. Co-Parteichef Robert Habeck sah lange wie der sichere Sieger aus. Doch Baerbock knüpfte fleißig ihre Netzwerke und zog an Habeck vorbei. Der grollte – und ließ sich die Niederlage vergolden mit der Zusicherung, Vizekanzler werden zu dürfen für den Fall, dass es mit Platz eins nichts würde. Alles Weitere ist bekannt: Baerbock patzte. Die Grünen schnitten, ein altes Leiden, beim Urnengang schlechter ab, als es die Umfragen verhießen. Habeck wurde Nummer zwei in – nein, nicht der Partei, sondern der Regierung. Die Krise steigerte sich langsam Dabei konnten dem 54-Jährigen selbst die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine nichts anhaben. Habecks Forderung aus dem Sommer 2021 nach Waffenlieferungen an Kiew erwies sich als geradezu prophetisch. Die Schwierigkeiten bei der Energieversorgung beflügelten den Minister und sein Haus regelrecht. Beide strotzten vor Energie. Wer Habeck im Sommer 2022 fragte, ob ihm das alles nicht zu viel werde, blickte in ein fragendes Gesicht voller Adrenalin. Zwölf Monate später war aus seiner Euphorie ein Loch geworden. Unterdessen wurde geflissentlich übersehen, dass die grüne Krise bereits vorher begonnen hatte – und sich langsam steigerte. Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Frühjahr 2021 mussten die Grünen die CDU-geführte Landesregierung in Magdeburg verlassen. An ihre Stelle trat die FDP. In Magdeburg regiert seither eine sogenannte Deutschland-Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen, die manche für ein Modell auf der Bundesebene halten. Bei der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Februar 2023 hatten die Grünen gehofft, mit Bettina Jarasch die zweite Chefin einer Landesregierung nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg stellen zu können. Sie gaben auch nur 0,5 Prozentpunkte ab. Umso bitterer ging es danach weiter. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) entschied sich gegen eine Fortsetzung der Linkskoalition und führte ihre Partei als Juniorpartnerin in ein Bündnis mit der CDU. Bei der Bremer Bürgerschaftswahl im Mai büßten die Grünen gar 5,5 Prozentpunkte ein. Viele Beobachter führten dies auf die Entscheidung der Umweltsenatorin Maike Schaefer zurück, die Option zum kostenlosen Kurzparken in Bremen zu streichen. Da die Zeitspanne für den raschen Gang zum Bäcker reichte, wurde die entsprechende Funktion am Parkautomaten &bdquo;Brötchentaste“ genannt. Was in Bremen die &bdquo;Brötchentaste“ war, war in Berlin die Sperrung der Friedrichstraße für den motorisierten Verkehr. Kretschmann befand, die Grünen müssten sich &bdquo;auch schon mal an die eigene Nase fassen“. Man solle &bdquo;keinen Kulturkampf ums Auto“ führen. Aus der Regierung gedrängt Hessens grüner Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir würde derlei nie tun. Vielmehr war er stets bereit, Unpopuläres mitzutragen: den Weiterbau der Autobahn 49 durch den Dannenröder Forst etwa oder die Errichtung eines dritten Terminals am Frankfurter Flughafen. Der Realo hielt sich bis zuletzt zugute, Konflikte in der schwarz-grünen Koalition intern zu regeln. Nur: Genützt hat es nichts. Die bei der Wahl unterlegene SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser verdrängt die Ökopartei aus der Regierung. Al-Wazir zürnte, man könne die SPD im Preis nicht unterbieten, weil sie keinen habe. So wird eine Nachricht aus Thüringen beinahe zur Randnotiz. In der Landeshauptstadt Erfurt hat die erst seit kurzem amtierende Ministerin für Justiz und Migration, die Grüne Doreen Denstädt, die Zuständigkeit für die Flüchtlingspolitik soeben an den SPD-Innenminister Georg Maier abgeben müssen. Sie wurde der Probleme offenbar nicht Herr. Angesichts der Tatsache, dass nicht zuletzt die Union Druck auf die Grünen ausübt, stellt sich für diese vor dem Parteitag die Frage: wie weiter? Grüne Agenda steht Kopf In der Koalition sind die Grünen vor allem inhaltlich in die Defensive geraten. Das glänzende Pfund namens Klimaschutz ist seit dem Streit um das Heizungsgesetz zum Mühlstein geworden. Dies gilt neuerdings umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht den Milliarden-schweren Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt hat. Von der wertegeleiteten Außenpolitik ist ebenfalls kaum mehr etwas übrig. Baerbock tingelt seit einiger Zeit durch die arabischen Staaten, um eine realpolitische Lösung für den Nahostkonflikt zu finden. Sie muss umsatteln. Vollends unter die Räder kam die auch von den Grünen vertretene Losung &bdquo;Refugees welcome“. Der Zustimmung zu Asylverfahren an den Außengrenzen der Europäischen Union schließt sich die nächste Zumutung unmittelbar an: das von den Ampelpartnern erwartete Ja zum Gesetz über erleichterte Abschiebungen. Als wäre das noch nicht genug, kann sich der Chef der Landesregierung in Stuttgart sogar Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU vorstellen. Ja, er koaliert mit einer Landes-CDU, die das Asylrecht gleich ganz abschaffen will. Mit anderen Worten: Die grüne Agenda steht Kopf. Die um eine Antwort selten verlegene Parteichefin Ricarda Lang deutet die Lage freilich anders. &bdquo;Wir stehen gerade im Zentrum der politischen Debatten“, sagt sie gemünzt auf die Attacken der anderen. Kretschmann und Habeck warnen davor, sich wieder zurückdrängen zu lassen &bdquo;in die Nische“. Die Nische droht aus ihrer Sicht zwangsläufig dort, wo die Grünen auf bisherigen Standpunkten beharren, während sich der Rest des Parteienspektrums nach rechts bewegt.

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