Bielefelder Wissenschaftler beim G20-Gipfeltreffen: "Die Einigung ist ein Erfolg"

Neu-Delhi/Bielefeld. Der G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in der Weltpolitik hat sich trotz großer Meinungsverschiedenheiten zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine am Wochenende auf eine Abschlusserklärung einigen können. Im Nachgang werden die Formulierungen als Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kritisiert, die auch mit Blick auf den Kampf gegen Klimawandel und Hunger wenig Hoffnung wecken. Doch mit der Einigung, der alle Teilnehmer zugestimmt haben, habe Gastgeber Indien ein Scheitern des Gipfels verhindert, erklärt der Bielefelder Politikwissenschaftler Martin Koch. &bdquo;Diesen Erfolg kann man gar nicht hoch genug bewerten, denn ohne die Erklärung wären die G20 infrage gestellt worden.“ Russland &bdquo;Die G20 haben mit der Abschlusserklärung etwas erreicht, was vorher nicht abzusehen war, vor allem aufgrund der Einwände von Russland und China“, erklärt Koch, der an der Universität Bielefeld die Rollen von G20 und G7 erforscht. Bei dem G20-Gipfel in Bali im vergangenen Jahr habe es ebenfalls eine Abschlusserklärung gegeben, allerdings nicht mit allen Stimmen. &bdquo;Das ist dieses Mal anders. Eine Gipfelerklärung aller 20 Mitglieder, also auch mit Russland und China, ist ein großer Erfolg.“ Die G20 haben darin nach Angaben Kochs mit Verweisen auf UN-Resolutionen ein klares Bekenntnis für die territoriale Integrität von Staaten abgegeben und sich deutlich gegen den Einsatz von Atomwaffen positioniert. &bdquo;Es ist verständlich, dass sich viele Länder, vor allem die Ukraine, aber auch Deutschland, mehr erhofft haben, doch mehr ist nicht möglich, wenn Russland mit am Verhandlungstisch sitzt.“ Als Alternative wäre nur der Ausschluss Russlands geblieben, sagt Koch. &bdquo;Die G8, heute G7, haben Russland nach der Annexion der Krim 2014 ausgeschlossen, weil dieser Zusammenschluss ein Club der Gleichgesinnten ist, der sich für Rechtsstaatlichkeit einsetzt.“ Als demokratische Wertegemeinschaft hätten die führenden Industrienationen nach der Annexion nicht so tun können, als wäre nichts passiert. &bdquo;So ein Selbstverständnis gibt es bei den G20-Staaten allerdings nicht“, erklärt Koch. Ein Ausschluss Russlands sei prinzipiell auch denkbar, würde jedoch jegliche Gesprächsfäden zerschneiden. &bdquo;Russland spielt in vielen Bereichen, auch im Kampf gegen den Klimawandel, eine wichtige Rolle, weshalb man die Frage stellen muss: Will man Russland als Teil der Lösung oder als Teil des Problems?“ Indien Maßgeblich für den Erfolg des Gipfels ist nach Angaben Kochs Gastgeber Indien. &bdquo;Das Land hat als größte Demokratie der Welt derzeit eine besondere Rolle inne, weil es auf der einen Seite ein zentrales Mitglied der Brics Plus und auf der anderen Seite Stammgast der G7 ist.“ In den vergangenen anderthalb Jahren haben die G7 eine Revitalisierung erfahren und die Brics-Staaten mit einer Erweiterung den globalen Süden gestärkt. &bdquo;Indien hat sich zur Stimme dieser Region ernannt und sorgt für eine weitere Stärkung.“ Beim G20-Gipfel sind beide Lager aufeinandergetroffen. &bdquo;Doch der erwartete Graben zwischen den Gruppen war nicht so tief wie erwartet. Auch das ist ein Erfolg der indischen Präsidentschaft.“ Indien habe damit gezeigt, dass es auch in schwierigen Zeiten einen G20-Gipfel erfolgreich durchführen könne, sagt Koch, der beim Gipfeltreffen in Neu-Delhi dabei war. &bdquo;Auch wenn die Einigung des Gipfels keine Resolution ist, kann man Staaten daran messen. Ohne diese Abschlusserklärung hätte man nichts.“ Afrikanische Union Maßgeblich für den Erfolg Indiens ist nach Angaben Kochs auch die Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) als Mitglied in die G20. Bisher war die Europäische Union (EU) mit ihren 27 Mitgliedsstaaten die einzige Regionalorganisation in der Runde. Der AU gehören 55 Staaten an und vertritt damit die Interessen von 1,3 Milliarden Menschen. In der EU leben 450 Millionen Menschen. &bdquo;Die Stimme Afrikas wird nun stärker gehört“, sagt Koch. &bdquo;Als Besucherin war die AU schon länger bei G20-Gipfeln dabei, doch die Mitgliedschaft stärkt ihre Position.“

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