Innenpolitik

Sicherheitsstrategie der Ampel-Koalition stößt auf breite Kritik

Die Bundesregierung stellt das lang erwartete Papier vor – mehr als ein halbes Jahr später als angekündigt. Union und Wissenschaft bemängeln, dass ein wichtiger Faktor darin fehle.

Die Ampel-Koalition hatte sich nach monatelangem Ringen auf eine Nationale Sicherheitsstrategie geeinigt. | © Kay Nietfeld/dpa (Archivfoto)

13.06.2023 | 13.06.2023, 19:21

Vor der Präsentation der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kritisiert, dass das Konzept keine Einrichtung eines Sicherheitsrats vorsieht. „Eine Nationale Sicherheitsstrategie ohne Sicherheitsrat bleibt ein Torso“, sagte Fraktionsvize Johann Wadephul dieser Redaktion.

„Die Bundesregierung leistet sich eine empfindliche Leerstelle, die das gesamte Projekt einer Strategie infrage stellt.“ Die Bundesregierung habe zwar richtig erkannt, dass Deutschland mannigfachen Gefahren und Gefährdungen ausgesetzt sei - von einer militärischen Bedrohung über mögliche neue Pandemien bis zu den Auswirkungen des Klimawandels. Wer darauf aber angemessen reagieren wolle, „braucht eine zentrale Stelle der Vorausschau und der Koordination von Abwehrreaktionen“.

Die Ampel-Koalition hatte sich erst nach monatelangem Ringen auf die Strategie geeinigt, die eigentlich für das erste Regierungsjahr angekündigt war. Nun wird sie an diesem Mittwoch prominent vorgestellt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und gleich vier Ministerinnen und Minister - Annalena Baerbock (Außen, Grüne), Christian Lindner (Finanzen, FDP), Boris Pistorius (Verteidigung, SPD) und Nancy Faeser (Innen, SPD) - präsentieren das Papier in Berlin.

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"Sehnsucht nach Sicherheit"

Unmittelbar davor will sich das Kabinett damit befassen. Bis zur Kabinettssitzung ist das Papier als vertraulich eingestuft. Details drangen vorher nicht an die Öffentlichkeit. Bekannt ist allerdings, dass sich die Koalition nicht auf die Einrichtung eines Sicherheitsrats einigen konnte, der außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen koordinieren und in Krisenlagen die operative Steuerung übernehmen hätte können. Mit der Strategie definiert die Regierung erstmals gemeinsam ihre Sicherheitspolitik, und zwar über Ressortgrenzen hinweg.

Baerbock hatte zu Beginn der Arbeiten an der Strategie von einer „Sehnsucht nach Sicherheit“ gesprochen. Sicherheitspolitik sei mehr als Militär plus Diplomatie, hatte sie im März vergangenen Jahres betont. Erwartet wird, dass die Sicherheitsstrategie auch die von Scholz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ausgerufene Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik widerspiegeln wird. Die Bedrohung durch Russland dürfte ebenso eine Rolle spielen, wie der Umgang mit China.

Zu China will die Bundesregierung allerdings in den kommenden Monaten eine eigene, umfassendere Strategie vorlegen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, nannte die Sicherheitsstrategie am Dienstag einen Erfolg. „Erstmalig ist damit einer Koalition gelungen, dass Außenpolitik aus einem Guss kommt - so wie es sich die Ampel im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt hat.“ Er fügte hinzu: „Der russische Angriffskrieg und autokratische Tendenzen in anderen Teilen der Welt erfordern, dass wir uns nach außen robuster aufstellen.“

Kritik auch aus der Wissenschaft

Bedrohungen von außen sei längst nicht mehr nur außenpolitisch zu begegnen, sondern auch innenpolitisch, auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie im Katastrophenschutz, im Cyberbereich und beim Schutz kritischer Infrastruktur. Die Experten Sarah Bressan vom Berliner Thinktank Global Public Policy Institute (GPPi) sagte dieser Redaktion, sie gehe davon aus, dass das Strategiedokument „auf einem recht abstrakten Niveau“ abgefasst sei.

Sie erwarte dennoch, dass sich aus der Strategie konkrete Schritte ableiten ließen. „Was bedeutet das für die unterschiedlichen Ministerien? Was bedeutet das für bestimmte Pläne, die dann kohärent auf diese eine Sicherheitsstrategie ausgerichtet werden?“ Beispielsweise habe die Bundesregierung derzeit nicht eine, sondern gleich mehrere Afrika-Strategien, weil unterschiedliche Ministerien eine solche entwickelt hätten. „Die Hoffnung ist, dass sich der Sicherheitsstrategie dann alle Ministerien verpflichten und ihre Konzepte daran ausrichten.“

Kritik am Fehlen eines Sicherheitsrats kommt auch aus der Wissenschaft. Die Politologin Christina Moritz, die sich seit Jahren mit dem Konzept für eine solche Institution befasst, sagte dieser Redaktion: „Die Strategie allein reicht nicht. Im Grunde genommen hätte ein Sicherheitsrat dabei helfen müssen, eine solche Strategie zu erstellen. Und ressortübergreifende Szenarien oder Konzepte können sie nicht im Tagesgeschäft im Kanzleramt entwerfen, auch nicht im Auswärtigen Amt und übrigens auch nicht im Verteidigungsministerium, sondern das muss zusammengeführt werden.“

Gesamte Strategie könnte versanden

Die Politologin befürchtet, dass die Nationale Sicherheitsstrategie ohne einen Sicherheitsrat versandet. „Die Strategie ist im Grunde genommen an dem Tag obsolet, an dem sie erscheint, weil sie nicht minütlich mitschwingen kann. Eine Analyseeinheit als Teil eines Sicherheitsrats, die 24 Stunden sieben Tage die Woche arbeitet, kann auf jede Veränderung reagieren. Ein Papier kann das nicht. Und die Strategie ist auch schwer umsetzbar, ohne einen Sicherheitsrat. Denn selbst wenn Sie die Umsetzung nur einmal im Jahr überprüfen, wer soll denn das bitte koordinieren?“