
Die beiden Hauptdarsteller kommen ein paar Minuten zu früh. Wortlos und mit grimmigem Blick bahnen sie sich ihren Weg durch die wartenden Journalisten auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes gleich unterhalb der Glaskuppel. Das Ziel von Wirtschaftsminister Robert Habeck und seinem Staatsekretär Patrick Graichen sind die Fraktionsräume der SPD.
Es ist ein ungewöhnlicher Ort für eine ungewöhnliche Sitzung. Die beiden Bundestagsausschüsse für Wirtschaft und Klimaschutz treffen sich zu einer gemeinsamen Beratung. Einziger Tagesordnungspunkt: Die Besetzung der Geschäftsführung der staatlichen Energieagentur Dena, bei der Graichens Trauzeuge Michael Schäfer zum Zug gekommen ist und Graichen an der Auswahl beteiligt war.
Die Ausgangslage könnte unterschiedlicher nicht sein: Habeck und Graichen hoffen auf den Befreiungsschlag, die Opposition will das grüne Duo vorführen. Vor allem Linkspartei und Union haben sich schon vor der Sitzung festgelegt: Graichen ist aus ihrer Sicht nicht im Amt zu halten, er muss entweder zurücktreten oder von Habeck entlassen werden.
Grünen seien für eine öffentliche Sitzung gewesen
Vor und auch während der Sitzung gibt es ein langes Tauziehen um die Frage, ob die Öffentlichkeit teilnehmen darf oder nicht. Union und Linkspartei fordern das, die Ampel-Koalition aber stimmt mit ihrer Mehrheit immer wieder dagegen. Das ist insofern erstaunlich, als auch Wirtschaftsminister Habeck zu Beginn der Befragung laut Teilnehmerangaben und eigener Darstellung für eine öffentliche Sitzung plädiert. Daraufhin findet eine weitere Abstimmung statt, bei der es erneut keine Mehrheit für die Zulassung der Öffentlichkeit gibt.
Die Grünen seien für eine öffentliche Sitzung gewesen, beteuert deren Fraktionsvize Andreas Audretsch im Anschluss an die Sitzung. „Leider konnten wir darüber in der Koalition keine Einigkeit erzielen“. Es sind SPD und FDP, die sich gegen eine öffentliche Befragung stark machen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen, Reinhard Houben, räumt das später offen ein. Man habe die Sorge gehabt, dass bei einer öffentlichen Sitzung weniger Informationen preisgegeben worden wären, erklärt der Abgeordnete.
Etwas mehr als zwei Stunden dauert die Befragung hinter verschlossenen Türen. Julia Klöckner, die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, kommt nach dem Ende als Erste hinaus. Die frühere Landwirtschaftsministerin baut sich vor den Kameras auf, holt tief Luft - und macht dann die bittere Erfahrung, wo der Unterschied zwischen Opposition und Regierung liegt. Klöckner hat gerade die ersten Sätze gesprochen, als Robert Habeck den Sitzungsraum verlässt und sich plötzlich alle Kameras auf ihn richten. Die CDU-Politikerin schaut verdutzt - und bricht ihr Statement wenig später ab. Es hört ohnehin niemand mehr zu.
Habeck geht mit Kritikern hart ins Gericht
Habeck, das merkt man ihm an, ist nach der Befragung geladen. Zwar verwendet er die in solchen Situationen üblichen Floskeln und spricht von einer Sitzung, „die gut war“ und die „zur Transparenz beigetragen“ habe. Dann aber bläst Habeck zur Attacke und geht mit den Kritikern hart ins Gericht. Es seien in den vergangenen Tagen einige Äußerungen gefallen, die „an Übertreibungen, Unterstellungen und Häme weit über das hinausgegangen sind, was für eine harte politische Debatte nötige gewesen wäre und was sie ertragen kann“, klagt Habeck. In der „wüsten Debatte“ sei „das gesamte Wirtschaftsministerium beleidigt worden“, dabei leisteten die Beamtinnen und Beamten in seinem Haus „weit mehr für Deutschland als diejenigen, die sie mit Vorwürfen überziehen“, grantelt der Minister.
Den Verstoß Graichens gegen die Compliance-Regeln räumt Habeck ein und kündigt eine Prüfung an, inwieweit es beamtenrechtliche Konsequenzen geben müsse. Politisch allerdings hält er an seinem Staatssekretär fest. „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, sagt Habeck. „Und die Debatte eben im Ausschuss gibt mir, meine ich, eine gewisse Hoffnung, dass die Differenzierung diese Entscheidung auch klarer verständlich macht.“
Julia Klöckner und die anderen Oppositionspolitiker überzeugt das nicht. Unabhängig von dem konkreten Fehler gehe es ja darum, dass die aktuelle Klimapolitik, die den Menschen im Land viel abverlange, von einer kleinen Gruppe von Vertrauten beschlossen werde, die alle die gleichen Ansichten teilten, beklagt Klöckner. „Das geht so nicht“, findet die CDU-Frau und will auch nach der Befragung einen Untersuchungsausschuss nicht ausschließen. „Wir halten uns alle Optionen offen.“
Patrick Graichen ist schon wieder aus dem Bundestag verwunden. Während im Plenum noch eine „Aktuelle Stunde“ zu seinem Fall stattfinden, äußert sich der Spitzenbeamte selbst in einem langen Thread bei Twitter. Er sei ausschließlich daran interessiert gewesen, „dass die Deutsche Energieagentur eine exzellente Geschäftsführung bekommt“, schreibt er. Da er von den elf Kandidatinnen und Kandidaten in der engeren Auswahl neun persönlich gekannt habe, sei er davon ausgegangen, dass es reiche, wenn seine Stimme nicht den Ausschlag gebe und er sich bei der Befragung des Freundes im Auswahlgespräch zurückhalte, so der Staatssekretär weiter. „Das war falsch und ich bedaure diesen Fehler sehr.“