Energiekrise

Entlastungen: SPD will 49-Euro-Ticket und Direktzahlung für Bürger

Die Sozialdemokraten wollen Geringverdienern Geld zahlen und Gas-Kunden einen Kündigungsschutz gewähren. Auch für eine Übergewinnsteuer sprechen sie sich aus.

Das 9-Euro-Ticket wurde millionenfach verkauft. Aus der SPD kommt ein Vorschlag für ein mögliches Nachfolgeangebot. | © Christoph Soeder

29.08.2022 | 29.08.2022, 06:11

In der Diskussion über weitere Entlastungen für Bürger und Unternehmen angesichts der hohen Energiepreise kommt ein erster formeller Forderungskatalog aus der SPD-Fraktion. Der Beschlussentwurf für eine Fraktionsklausur sieht unter anderem Direktzahlungen, eine Preisbremse für den Grundbedarf an Energie und ein bundesweites 49-Euro-Ticket vor.

Wegen der stark gestiegenen Preise von Energie und vielen Verbrauchsgütern waren bereits mehrere Entlastungsschritte beschlossen und teils bereits umgesetzt worden. Nun arbeitet die Bundesregierung an einem weiteren Paket. Am Dienstag und Mittwoch berät sie bei einer Kabinettsklausur im Gästehaus Schloss Meseberg nördlich von Berlin. Nach Angaben aus den Koalitionsparteien sollen neue Entlastungsschritte „zeitnah“ (Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang) beziehungsweise „in wenigen Tagen“ (SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert) vorgestellt werden.

Befürchtet wird, dass es ohne Entlastungen bei einem Energiemangel im Winter zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommen, der Rückhalt für die von Russland angegriffene Ukraine bröckeln und eine Unterwerfung unter die Interessen des russischen Präsidenten Wladimir Putin Befürworter finden könnte.

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Die Forderungen im Überblick

Die Forderungen sind noch nicht Teil der Diskussion mit den Koalitionspartnern, den Grünen und der FDP. Was die SPD im Einzelnen fordert, haben wir im Folgenden zusammengefasst.

  • Die Direktzahlungen - ähnlich dem demnächst zur Auszahlung anstehenden Energiegeld von 300 Euro - sind noch nicht näher spezifiziert. Erhalten sollten sie aber Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen, Familien, Rentner, Studierende, Auszubildende und Arbeitslosengeldempfänger. „Für die Auszahlung erwarten wir schnellstmöglich einen an die Steuer-ID und das Einkommen geknüpften Vorschlag des Bundesfinanzministeriums“, heißt es im Papier.
  • Strom- und Gassperren möchte die SPD-Führung ausgeschlossen sehen. Für Mieter, die ihre Nebenkosten aus den Abrechnungsperioden 2021/2022 nicht bezahlen können, soll es für sechs Monate ab der Abrechnung einen Kündigungsschutz geben und ebenso, wenn Vorauszahlungen nicht geleistet werden.
  • Das Papier sieht auch einen Nachfolger für das Neun-Euro-Nahverkehrsticket vor: „Wir wollen in Zusammenarbeit mit den Ländern ein bundesweit gültiges ÖPNV-Ticket mit einem monatlichen Preis von 49 Euro einführen, das von Bund und Ländern jeweils zu 50 Prozent getragen wird.“
  • Gefordert wird ferner, die geplante Erhöhung des CO2-Preises für zwei Jahre auszusetzen, „bis es einen sozial gerechten Ausgleichsmechanismus gibt“. Nach bisherigem Stand soll der CO2-Preis 2022 von 25 auf 30 Euro pro ausgestoßener Tonne Kohlendioxid (CO2) steigen.
  • Für kommunale Energieversorger wollen die SPD-Parlamentarier einen Schutzschirm aufspannen, um Insolvenzen zu verhindern. Die Gasumlage von 2,4 Cent, die Gaskunden von Oktober an zahlen sollen, soll neu justiert werden, damit nicht auch Unternehmen profitieren, die Gewinne machen. „Zugleich wollen wir die Kosten der Krise fair verteilen. Ein geeignetes Instrument dafür ist eine zielgerichtete Übergewinnsteuer für jene Energieunternehmen, die von dieser Krise massiv profitieren“, heißt es weiter.
  • Trotz der Energiekrise wird eine echte Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke abgelehnt. Ein Streckbetrieb - also ein Betrieb der letzten drei noch produzierenden Werke bis zum Verbrauch ihrer vorhandenen Brennstäbe - wird nicht ausgeschlossen, aber es „müssten bestehende Sicherheitsstandards gelten“.

Grünen-Chef Omid Nouripour unterstützte am Sonntagabend Forderungen nach einem Verbot von Gas- und Stromsperren. „Wir haben ja an vielen Orten die Situation, dass Gasanbieter und Stromanbieter miteinander gar nicht reden. Und im schlechtesten Fall ist es nicht nur kalt, sondern auch dunkel. Und das darf nicht passieren“, sagte er in der ARD. „Es gibt eine Reihe von Dingen und Vorschlägen, die auf dem Tisch sind. Wir werden das ja zusammen miteinander diskutieren: Reform des Wohngeldes, des Bürgergeldes, ein höheres Kindergeld beispielsweise.“ Auch für eine Nachfolgelösung für das Neun-Euro-Ticket machte er sich stark.

Junge Union fordert 500 Euro Jugend-Energiegeld

Beim Energiepreisdeckel muss es nach den Worten von Nouripours Co-Vorsitzender Ricarda Lang darum gehen, nicht die Energiepreise insgesamt zu deckeln, sondern nur einen Grundbedarf. „Da gibt es ein paar technische Fragen, die müssen auf jeden Fall geklärt sein. Nur zielgerichtet ist das umsetzbar“, sagte sie. „Aber auf dem Tisch liegt das auf jeden Fall.“

Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, forderte ein Jugend-Energiegeld. Es solle „500 Euro betragen für Studenten und Azubis, ohne Unterscheidung der Art der Ausbildung“, sagte er der „Rheinischen Post“.

Aus Sicht des Sozialmediziners und ehemaligen Bundespräsidentenkandidaten der Linkspartei, Gerhard Trabert, reichen die bisherigen Entlastungspakete bei Weitem nicht. „Wir sind ein reiches Land, wir können handeln. Wenn wir es trotzdem nicht tun, dann ist das auch eine Form von struktureller Gewalt“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Der Hartz-IV-Satz müsste so schnell wie möglich um 200 Euro monatlich angehoben werden. Es müsste Hilfen für Schulmaterial geben, Studierende müssen finanziell unterstützt werden. Mieten müssen gedeckelt und die Menschen vor Räumungsklagen geschützt werden.“ (dpa/bjp)