Haßelmann: "Es wird keine einfache Verlängerung der Laufzeiten geben"

Frau Haßelmann, wie problematisch ist die aktuelle Debatte um längere Laufzeiten der Atomkraftwerke für die Grünen? Britta Haßelmann: Das Problem ist, dass die Debatte um längere Laufzeiten von den eigentlichen Problemen ablenkt. Vor allem der Union geht es darum, den Blick auf das wirklich Notwendige zu verhindern – nämlich, dass wir die Energiewende jetzt mit aller Kraft voranbringen, um von fossilen Energien unabhängiger zu werden. Um diese Frage muss es doch im Kern gehen und nicht um die Atomkraft. Es ist klar: Der Ausstieg aus der Atomenergie steht fest. Aber eine Energiewende mit dem Ausbau der Wind- und Sonnenkraft wird noch Jahre dauern. Und mit Blick auf einen möglichen Gasmangel muss es bereits bis zum Winter irgendeine Zwischenlösung geben, wie wir ausreichend Energie bekommen können ... Die Energiewende bedeutet viel mehr als den Ausbau der Erneuerbaren Energien, auch wenn mehr Wind und Solar natürlich absolut zentral sind. Im Bundestag haben wir daher erst vor kurzem in einem unheimlichen Kraftakt allein sieben Gesetze beschlossen, um den Anteil an Erneuerbaren massiv auszubauen. Wo wir mit der Energiewende jetzt aber auch kurzfristig ansetzen können, ist bei der Energieeffizienz und Energieeinsparen. Könnten wir durch das Einsparen von Energie über den Winter kommen? Die Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, dass der Energieverbrauch bereits zurückgeht. In dieser Krisensituation ist Energiesparen das Gebot der Stunde. Dann schaffen wir das. Das gilt für alle Bereiche, für Industrie und Wirtschaft, aber auch für Bürgerinnen und Bürger. Es ist nicht nur ärgerlich, sondern auch absolut unverantwortlich, dass Politiker wie CSU-Chef Markus Söder Themen wie Energieeffizienz jahrelang links liegen gelassen haben und selbst jetzt keine Priorität darauf legen. Markus Söder spricht sich für eine AKW-Verlängerung aus. Könnte er eine Laufzeitverlängerung für ein paar Monate, den sogenannten Streckbetrieb, überhaupt allein entscheiden? Der Atomausstieg ist geltende Gesetzeslage und sowohl rechtlich als auch sicherheitstechnisch und mit Blick auf Endlagerfragen in breitem Konsens geeint. Es wird keine einfache Verlängerung der Laufzeiten geben. Jede Änderung des Atomgesetzes muss im Bundestag beschlossen werden. Was spricht in Ihren Augen gegen einen Streckbetrieb? Es geht einigen Politikern in der Union und in Teilen der FDP ja längst nicht mehr um die Frage eines Streckbetriebs oder um die Versorgungssicherheit. Es geht ihnen darum, den Atomausstieg rückgängig zu machen und die Energiewende auch langfristig zu torpedieren. Das ist offenkundig, wenn inzwischen Laufzeitverlängerungen bis 2027 ins Gespräch gebracht werden. Darum geht es Politikern wie Markus Söder und Friedrich Merz in Wirklichkeit. Da ist für mich eine Grenze erreicht. Der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie ist ganz klar gesetzlich geregelt. Wir wissen alle, dass Atomenergie eine Hochrisikotechnologie ist. Selbst ein Streckbetrieb würde wohl einer intensiven Sicherheitsprüfung bedürfen. Allein für dem Atommeiler Isar 2 fehlt seit 13 Jahren eine zeitgemäße Sicherheitsüberprüfung. Aber noch mal: Wenn wir nicht mehr ausreichend Gas erhalten sollten, wo kommt die Energie dann her? Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten, die jetzt pragmatisch angegangen werden müssen und davon ist vieles schon auf den Weg gebracht. Dazu zählt neben den Einsparungen der Bau von LNG-Terminals für Flüssiggas und der Import von Gas aus anderen Ländern. Dazu zählt auch, für einen gewissen Zeitraum weiter Energie aus Kohle zu gewinnen. Auch wenn damit der Kohleausstieg 2030 nicht in Frage gestellt wird, schmerzt uns das Grüne natürlich enorm. Wir haben einfach massive Versäumnisse der vergangenen Jahre aufzuholen. Dieses Land ist über die letzten Jahrzehnte in eine zementierte Abhängigkeit von russischem Gas geführt worden. Um sich daraus zu lösen, müssen wir viele schmerzliche und pragmatische Entscheidungen treffen. Dazu stehen wir Grünen. Wie schwer tun Sie sich aktuell mit Ihrer Basis? Die aktuellen Krisen sind ja nicht nur für uns Grüne, sondern für alle in Gesellschaft und Wirtschaft schwer und verlangen uns allen Enormes ab. In so einer Situation gilt vor allem für die Politik: Wir müssen sehr viel kommunizieren, Entscheidungen gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, aber auch unseren Parteimitgliedern erklären, vermitteln und zu schwierigen Entscheidungen auch stehen. Da sind wir echt gefordert. Wie beschreiben Sie den Zustand der Ampel? Angesichts der Tatsache, dass sich immer mehr Menschen fragen müssen, wie sie mit steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen fertig werden, spüre ich vor allem eines: Alle in der Ampel-Koalition stehen in einer immensen Verantwortung, gemeinsam politische Antworten auf diese Krisensituation zu finden. Ich bin sicher: Wir werden als Ampel weiter liefern, unabhängig davon, dass wir drei verschiedene Parteien sind, die auch mal Meinungsverschiedenheiten haben. Ist Olaf Scholz im kommenden Frühjahr noch Kanzler einer Ampel-Koalition? Ja klar, wir haben ihn ja am 8. Dezember gewählt und haben ein dickes gemeinsames Arbeitsprogramm für volle vier Jahre. Bis heute haben wir bereits 54 Gesetzesvorhaben verabschiedet, vom 12 Euro Mindestlohn bis zu historischen Paketen für die Energiewende. Und das nach weniger als einem Jahr.

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