Energieversorgung

Abhängigkeit: Fünf Jahrzehnte billiges Gas aus Russland

1973 floss erstmals Gas aus der damaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik. Dabei blieb es nicht. Ein Überblick.

Die Technik vom Astora Gasspeicher in Rehden. | © Mohssen Assanimoghaddam

18.07.2022 | 18.07.2022, 11:30

Frankfurt am Main (AFP). Die Konsequenzen wären gravierend, die Sorgen sind entsprechend groß: Sollte Russland nach dem für diese Woche erwarteten Abschluss der Wartungsarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 tatsächlich den Gashahn zugedreht lassen, wäre es - vorerst - das Ende von fünf Jahrzehnten billiger Energie aus Russland. 1973 lieferte Russland erstmals Gas nach Deutschland. Viel hat sich seitdem geändert, die Energieabhängigkeit ist geblieben. Ein Überblick:

1973 - "Die Russen sind da"

Am 1. Oktober 1973 drückt der Vorstandsvorsitzende der Ruhrgas AG, Herbert Schelberger, auf einen Knopf - erstmals fließt Gas aus der damaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik. "Die Russen sind da", titelt die "Zeit". Im Laufe der 70er Jahre kommen weitere Lieferabkommen hinzu, das Gastransitsystem wird ausgebaut - auch durch die Ukraine.

1981 - Jamal-Pipeline trotz Widerstands aus den USA

Unter dem Eindruck der Ölkrisen 1973 und 1979/80 gerät die Abhängigkeit des Westens von Öllieferungen aus Nahost in den Fokus. Das Auswärtige Amt notiert 1981: Die Energiepartnerschaft mit Moskau diene "dem Abbau unserer hohen Ölabhängigkeit". 1981 einigen sich die Westeuropäer deshalb mit Moskau auf den Bau der Jamal-Pipeline - die jährlichen Gaslieferungen sollen auf 20 Milliarden Kubikmeter verdoppelt werden. Die USA reagieren mit Sanktionen, allerdings mit wenig Erfolg. Ende der 80er beträgt der Anteil der sowjetischen Gasimporte in Westdeutschland fast 50 Prozent.

1991 - Die Zeiten ändern sich, nicht aber der Gasverbrauch

Der Zerfall der Sowjetunion verpasst den Gaslieferungen aus der Sowjetunion nur einen leichten Dämpfer - zwischen 1990 und 1992 fällt deren Anteil an den deutschen Gasimporten von 49 auf 40 Prozent. Ab 1993 steigt er wieder leicht.

2005 - Nord Stream 1

Die rot-grüne Regierung unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder unterzeichnet eine Absichtserklärung zum Bau der Ostseepipeline Nord Stream 1. Die Pipeline soll russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland bringen - ohne Umwege. Russland spart Transitgebühren und nimmt den bisherigen Transitländern Einflussmöglichkeiten. 2011 geht die Pipeline in Betrieb.

2009 - Gas als Druckmittel

Nach der Orangenen Revolution 2004 und 2005 in der Ukraine wird der pro-europäische Viktor Juschtschenko neuer Präsident. Die Folge sind Spannungen zwischen Russland und der Ukraine - 2009 dreht Russland der Ukraine das Gas ab.

2014 - Annexion der Krim

Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim fordert der russische Energieriese Gazprom von der Ukraine 1,55 Milliarden Dollar, sonst drohe ein Lieferstopp. 2014 kommen rund 50 Prozent der russischen Erdgaslieferungen für Europa und die Türkei über die Ukraine. Zum Lieferstopp kommt es nicht - im Oktober einigen sich Ukraine, Russland und die EU.

2015 - Absichtserklärung Nord Stream 2 und Verkauf der Gasspeicher

Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterzeichnet eine Absichtserklärung für den Bau der Pipeline Nord Stream 2. Im gleichen Jahr kauft ein Tochterunternehmen von Gazprom ein Viertel aller Gasspeicher in Deutschland auf.

22. Februar 2022 - Nord Stream 2 gestoppt

Als Kreml-Chef Wladimir Putin die Souveränität der ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk anerkennt, zieht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 22. Februar die Notbremse: Die schon lange umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 wird nicht in Betrieb genommen.

24. Februar 2022 - Beginn des Ukraine-Kriegs

Am 24. Februar greift Russland die Ukraine an - die Preise für Gas und Öl an den internationalen Märkte explodieren. 2021 lieferte Russland fast 40 Prozent des europäischen Erdgases, einzelne Mitgliedstaaten wie Deutschland, Italien, Österreich oder Ungarn sind besonders abhängig.

April 2022 - Gaslieferungen an diverse Länder gestoppt

Am 27. April dreht Russland den EU-Mitgliedstaaten Bulgarien und Polen den Gashahn zu. Am 21. Mai stellt der Kreml auch die Gaslieferungen nach Finnland ein. Auch die Niederlande und Dänemark erhalten keine Gaslieferungen aus Russland mehr, weil sie sich weigern, in Rubel zu bezahlen.

April 2022 - Sorge um deutsche Gasspeicher

Ausgerechnet der größte deutsche Gasspeicher in Rehden befindet sich in der Hand von Gazprom Germania, einem Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns Gazprom. Die Bundesregierung stellt das Unternehmen in Deutschland unter Treuhandverwaltung.

Juni 2022 - Druck auf Europa wächst

Mitte Juni trifft es auch Deutschland: Das russische Staatsunternehmen Gazprom reduziert die Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 um rund 40 Prozent, dann um weitere 33 Prozent. Als Grund gibt das Unternehmen technische Probleme an, die Bundesregierung hält dies für einen Vorwand. Mit Beginn der Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 am 11. Juli kommt der Gasfluss komplett zum Erliegen.