Was von 16 Jahren Angela Merkel als Kanzlerin bleibt

Berlin. Ab dem nächsten Montag ist es vorbei. Zwar endet die offizielle Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel erst nach der Konstituierung des neuen Bundestages. Und auch danach bleibt sie geschäftsführend bis zur Regelung der Nachfolge im Amt, weil Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sie darum bitten wird. De facto aber ist die Merkel-Ära zu Ende. Das gilt selbst dann, wenn es ihr gelingen sollte, bis zum 17. Dezember 2021 wegen eines Marathons neuer Koalitionsgespräche im Amt zu bleiben und damit sogar die Amtszeit Helmut Kohls zu übertreffen. 16 Jahre Angela Merkel also. Was war, was bleibt, was ist das Profil ihrer Regierungszeit als Christdemokratin? Merkel hat im Kern das Konzept einer unaufgeregten, aber inhaltlich auch kaum ambitionierten Politik verfolgt. Das Alltagsmanagement ist durch sie zum zentralen Plan der Regierung erhoben worden. Sie hat den Ausgleich aller gesucht und das Aufbegehren für oder gegen ehrgeizige Modernisierungsprojekte jeweils zu moderieren oder abzumoderieren versucht. Der Konflikt, das hatte sie ihre Beinahe-Niederlage gegen ihren Vorgänger Gerhard Schröder gelehrt, führt weg vom Amt. Merkel gab ehrgeizige liberale Politikkonzepte in der Folge auf, bevor sie sie begonnen hatte. Wie Merkel die Union in die Mitte rückte Vielleicht verdeutlicht eine von Teilnehmern wie folgt beschriebene Anekdote aus der letzten Amtszeit die schlichte Wirksamkeit Merkelschen Kalküls: In der ersten Koalitionsrunde mit der damals neu gewählten SPD-Parteispitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am 19. Dezember 2019 musste die strenge Sitzordnung der Koalitionäre wegen ungleicher Platzverteilung offenbar durchbrochen werden. Auf Unionsseite saßen den Sozialdemokraten von links nach rechts CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, CSU-Chef Markus Söder, die Bundeskanzlerin, die damals noch amtierende CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und Kanzleramtsminister Helge Braun gegenüber. Damit waren dort alle Plätze belegt. Für Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus soll jedenfalls nichts mehr frei gewesen sein. Auf SPD-Seite – mit den beiden neuen Parteichefs in der Mitte und Walter-Borjans der Kanzlerin gegenüber sowie Vizekanzler Olaf Scholz rechts und Esken mit Fraktionschef Rolf Mützenich links neben ihm – war noch ein Platz neben Mützenich frei, den die Sozialdemokraten Brinkhaus anboten. Der nahm ihn an. Beim zweiten Treffen der Gruppen am 29. Januar 2020 reklamierte Merkel dann allerdings bei einer Frotzelei vor der erneuten Sitzverteilung nach Angaben von Teilnehmern, dieser Sitz auf SPD-Seite sei ja dann wohl eher ihr Platz. Sie besetzte dann allerdings doch ihren Stuhl auf Unionsseite. Die – erzählte – Szene versinnbildlicht aber, wie sehr Angela Merkel als Kanzlerin und bis 2018 auch als CDU-Vorsitzende die Union in die Mitte gerückt hat, mindestens die CDU. Bis fast ganz zum Schluss pflegte sie – jenseits aller Regierungs- und Parteigremien – den direkten Kommunikationskanal nicht nur zu ihrem Vizekanzler und Finanzminister von der SPD, sondern auch zu dessen beiden Parteichefs, gegen die Scholz verloren hatte; so selbstverständlich wie zum neuen CDU-Chef Armin Laschet. Sie fühlt sich am Ende ihrer Zeit – aber über den Parteien. Stilllegung politischer Kontroversen um jeden Preis Das gilt auch dann, wenn sie sich angesichts der Umfrageschwäche der Union gestern noch einmal an der Seite des ebenfalls schwächelnden Kanzlerkandidaten der Union in ihrem Heimat-Wahlkreis Stralsund im Wahlkampf zeigte. Es war ein Abschied von der Macht – auch in Merkels einstiger Heimat. Die Politologen nennen das strategische Konzept, an dem die Kanzlerin sich nach ihrem Beinahe-Scheitern gegen Schröder 2005 orientierte, das einer &bdquo;asymmetrischen Demobilisierung". Es bedeutet nichts mehr und nichts weniger als die Stilllegung politischer Kontroversen um jeden Preis. Unionswähler hatten nach Merkels Analyse ja keine Alternative. Und die Alternativlosigkeit ihrer Politik sollte alle anderen von politischen Entscheidungen möglichst weit entfernt halten. Man tut ihr Unrecht, würde man ihr deswegen un- oder gar antidemokratische Gedanken unterstellen. Dass sie allerdings damit die nicht unumstrittene Modernisierungsstrategie ihres Vorgängers mit deren Stärken – neben allen ebenfalls diagnostizierten Schwächen – unterbrach, ist bis heute zu spüren. Merkel machte im Politikmanagement des Alltags die Erfahrung, dass der Streit um Details auf öffentlicher Bühne für die Lösung von Problemen nicht taugte. Darauf lag ihr Blick; nicht auf den strategischen Herausforderungen für die Zukunft. Was man Merkel nicht vorwerfen kann - und was man ihr vorwerfen muss Sie hat mit diesem Konzept einige Krisen mal mehr, mal weniger erfolgreich gemanagt, angefangen bei der Finanzkrise 2008 bis zur Flüchtlingskrise 2015. Sie hat Wladimir Putin – weitgehend – in Schach gehalten und hat sich um die Stabilisierung des Euro gekümmert. Sie hat das Klima versucht ins Zentrum der Politik zu rücken und sie hat schließlich auch Einiges gegen eine nie da gewesene Pandemie getan. Ihre einstige Vision einer besseren Welt, wie sie sie gehabt haben mag, als sie auf Grönland die Folgen des Klimawandels persönlich in Augenschein genommen hatte, versank indes schnell im Pragmatismus dieses Alltags. So sehr sie auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm ihren internationalen Top-Gästen von Putin bis George W. Bush weitestgehende Ideen zum Wechsel in der Klimapolitik präsentierte – nach der Finanzkrise 2008 waren sie ausgedacht. &bdquo;Politik", so lautet Merkels Leitsatz bis ans Ende ihrer Kanzlerin-Tage, &bdquo;Politik ist das, was möglich ist". Nicht etwa das, was man möglich macht. Bewahren statt gestalten – das muss als Leitmotiv ihrer Kanzlerschaft gelten. Immerhin! Merkel ist die erste Kanzlerin, die freiwillig abtritt. Deutschland steht besser da als andere. Nur auf Zukunft eingerichtet ist das Land für die Nachfolgenden nicht.Diese Aufgabe war zu groß für die erste Bundeskanzlerin.

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