Fleischkonsum und Tradition

Das mit der Gänsezeit ist ganz anders

Da läuft einigen das Wasser im Mund zusammen, aber nicht allen: eine Portion knusprige Gänsekeule mit Rotkohl und Klößen. (Archivbild) | © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/ZB

10.11.2025 | 10.11.2025, 08:25

Restauranttafeln, Speisekarten und Instagram-Profile von Lokalen in ganz Deutschland - von Sylt bis zum Allgäu, von Aachen bis Görlitz - verkünden es derzeit wieder: «Es ist Gänsezeit.» Auch in Supermärkten und Discountern liegt das fette Geflügel prominent aus. Denn: Zum Martinstag (11. November) hat man angeblich Gans zu essen, in der Adventszeit und an den Weihnachtsfeiertagen ohnehin. Doch wie populär ist der Gänsebraten wirklich?

Geflügel liegt im Trend

Eines machen Statistiken deutlich: Geflügelfleisch wird in Deutschland immer beliebter. Der rechnerische Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr stieg zuletzt auf etwa 14 Kilogramm im Schnitt (Schweinefleisch wird immer noch doppelt so viel gegessen). Die Zunahme beim Geflügel geht vor allem auf Hühnchen zurück.

Schnatter, schnatter: Zuchtgänse laufen über eine Wiese in Sachsen. (Archivbild) - © Robert Michael/dpa
Schnatter, schnatter: Zuchtgänse laufen über eine Wiese in Sachsen. (Archivbild) | © Robert Michael/dpa

Gibt es im großen Geflügeltrend aber vielleicht auch einen Gänse-Hype, wenigstens in Gaststätten? Darauf antwortet der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft, das könne man zum eigenen Bedauern nicht sagen.

Der Bundesverband Bäuerlicher Gänsehaltung lässt sogar mitteilen: «Eher hat sich der Absatz von Gänsefleisch in den vergangenen Jahren über die Gastronomie deutlich reduziert. Generell merken wir diesbezüglich weiterhin die Auswirkungen von Corona im Hinblick auf die Nutzung von Restaurants.»

In einem Restaurant kostet ein klassischer Teller mit Brust und Keule, Klößen und Rotkohl schnell mal über 30 Euro. Das kann sich nicht jeder leisten.

«Bei uns im traditionellen Gasthaus - das ist hier 300 Jahre alt - ist es in der Zeit von November bis Dezember immer noch angesagt, Gans zu essen», sagt Frank Müller vom «Gasthaus Müller» in Barsinghausen bei Hannover. «Das gilt im Haus wie auch außer Haus. Es werden zu Weihnachten viele Enten und Gänse für zu Hause abgeholt.»

Allerdings sehe er auch, dass die Zielgruppe meist etwas älter sei, so ab 40 Jahre, sagt Müller, der Mitglied im Verband der Köche Deutschlands und Laurentius-Preisträger ist. «Ein Großteil der Jüngeren ist heut doch eher mit weniger Fett und vegetarisch, vegan et cetera unterwegs.»

In der Tat: Wer im Bekanntenkreis fragt, erfährt rasch, dass viele Menschen Gans, die im Vergleich zu anderem Geflügel dunkler, fettiger, langfaseriger und würziger ist, nicht so gern mögen - oder zumindest anderes Fleisch bevorzugen.

Gans isst jede Person in Deutschland nur recht wenig

Der Gänsefleisch-Verzehr pro Kopf und Jahr liegt in Deutschland laut Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat lediglich um die 100 Gramm - und das recht unverändert über die Jahre.

Dieser Wert ist eine rein statistische Größe, entspricht er doch nicht mal einer normalen Portion. Es dürfte also so sein, dass das Prinzip «Gans oder gar nicht» gilt: Manche essen ein paarmal Gans im Jahr, viele kein einziges Mal.

Zum Vergleich: Hühnerfleisch (bei Jüngeren scheint es inzwischen geläufiger zu sein, «chicken» zu sagen) wurden zuletzt etwa 10 Kilogramm pro Person gegessen, Truthahn/Pute etwa 3 Kilogramm, Ente etwa 300 Gramm.

«Die Gans ist in Deutschland ein reines Saisonprodukt, das traditionell fast nur zu den Feiertagen Sankt Martin und Weihnachten im Kreise der Familie gegessen wird», heißt es vom Geflügelwirtschaft-Zentralverband.

Wer sind diese Familien? Es dürfte ein gut situiertes Milieu sein, das sich - wenn auch nicht immer in vollem Bewusstsein - an christlichen Traditionen orientiert.

Wie die Tradition der Martinsgans entstanden sein soll

Was zu der Frage führt: Warum gibt es diese Tradition des Gänseessens am Jahresende überhaupt? Dass viele Deutsche am 11. November Gans essen - die Martinsgans - geht auf Bräuche und eine Legende zurück.

Martin von Tours (lebte im vierten Jahrhundert) ist in der katholischen Kirche einer der bekanntesten Heiligen. Er soll sich einst in einem Federviehstall versteckt haben, um seiner Wahl zum Bischof zu entgehen. Die Gänse dort schnatterten aber so laut, dass man ihn fand.

Dass man zum Martinstag Gans isst, kann aber auch daher kommen, dass der 11. November früher das Ende der Erntezeit markierte. Man feierte dies oft mit einem Braten. Nach getaner Arbeit ließ man es sich gut gehen - zumal danach manche Christen eine Fastenzeit bis Weihnachten begannen.

Vielleicht ist es auch profaner. Anfang November wurde früher das Vieh geschlachtet, das man nicht über den Winter durchfüttern konnte. So wurde oftmals in dem Zeitraum - und vor der Adventsfastenzeit - Gans gegessen.

Heute ist der 11. November vielen Menschen in Deutschland gar nicht mehr in erster Linie als Martinstag präsent. In Karnevalsgegenden denkt man in erster Linie an den Start in die fünfte Jahreszeit.

Und viele Jüngere frönen der Selbstliebe - denn: Der 11.11. wurde wegen der vielen Einsen im Datum zum Single-Tag erklärt. Der wurde zunächst in China begangen, inzwischen ist er weltbekannt und kommerzialisiert.

In Frankreich ist der 11. November ein Feiertag - jedoch aus keinem der bisher genannten Gründe. Hier gedenkt man des Waffenstillstands von Compiègne (Armistice), der die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs beendete.

Festtagsgans kommt meist aus dem Ausland

Zurück zur deutschen Gänsezeit. Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands bei Gänsefleisch ist vergleichsweise gering: Rund 80 Prozent kommen aus dem Ausland (meist Polen und Ungarn). Deshalb verdirbt eine Vogelgrippewelle hierzulande auch nicht den Ganspreis.

In einigen Ländern werden Schnellmastgänse innerhalb von zehn Wochen mit konzentriertem Kraftfutter auf Schlachtgewicht gebracht. In Ländern wie Frankreich, Belgien, Spanien, Ungarn ist zudem die Zwangsmast über ein Rohr in den Hals erlaubt (bis zum Fünffachen der eigentlichen Nahrungsmenge).

Die so erzeugte Stopfleber, die buttrig-nussig schmeckt, ist bei Gourmets beliebt - auch in Deutschland. Ihr Verkauf ist hierzulande erlaubt, ihre Produktion aber nicht. Im frankophonen Sprachraum wird Foie gras zwar ganzjährig gegessen, gilt aber - und da sind wir wieder bei den Feiertagsbräuchen - auch als besondere Delikatesse zum Fest.