Nahost

Gaza-Krieg: ESC steht vor einer Zerreißprobe

Immer mehr Länder erwägen wegen Israel ein Fernbleiben vom Wettbewerb. (Archivfoto) | © Hans Klaus Techt/APA/dpa

16.09.2025 | 16.09.2025, 14:58

Im Streit um die Teilnahme Israels steht der Eurovision Song Contest (ESC) vor der wohl größten Zerreißprobe seiner bald 70-jährigen Geschichte. Seit Monaten brodelt es unter den Teilnehmern des Wettbewerbs. Nun hat Spaniens Sender als einer der fünf wichtigsten Geldgeber mit Absage gedroht, sollte Israel einen Beitrag zum ESC 2026 entsenden. Zuvor hatte es Boykott-Ankündigungen aus Irland, den Niederlanden und Slowenien gegeben.

Worum geht es?

Seit längerem kursieren in mehreren Teilnehmerländern Forderungen nach einem Ausschluss Israels. Hintergrund ist der Krieg im Gazastreifen. Auslöser des Krieges war der Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt worden waren, darunter auch Kinder.

Seither sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mindestens 64.900 Palästinenser im Küstengebiet getötet worden, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Deswegen gab es bei den ESC-Wettbewerben in Malmö 2024 und Basel 2025 Demonstrationen. Das Gesundheitsministerium differenziert nicht zwischen Bewaffneten und Zivilisten. Die UN haben diese Angaben als glaubhaft eingestuft.

Wie argumentieren die Kritiker Israels?

Ein immer wieder vorgebrachtes Argument ist der Vergleich zu Russland. Nach dem Einmarsch in die Ukraine ist das Land von den Eurovision Song Contest in Turin 2022 ausgeschlossen und seither nicht mehr zurück in den Kreis der Teilnehmerländer aufgenommen worden. «Wir dürfen keine doppelten Standards in der Kultur zulassen», sagte zum Beispiel Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez mit Blick auf Israel und Russland.

Warum wollen die Veranstalter Israel nicht ausschließen?

Die Veranstalter, die Europäische Rundfunk-Union (EBU) in Genf, betrachten den ESC als unpolitisches künstlerisches Ereignis. Entscheidender noch ist aber nach Erläuterung von EBU-Generaldirektor Noel Curran, dass der ESC «kein Wettbewerb zwischen Regierungen» sei. Die EBU beurteilt also nicht die politischen Handlungen der Teilnehmerländer, sondern die Unabhängigkeit ihrer Rundfunkanstalten, die dann die Künstlerinnen und Künstler entsenden. Der israelische Kan-Sender werde diesen Anforderungen gerecht. Das russische Fernsehen hingegen stehe dem kriegführenden russischen Staat zu nahe.

Warum wiegt Spaniens Absage so schwer?

Die Zahl der Teilnehmerländer variiert beim ESC jedes Jahr. Die EBU könnte also theoretisch gelassen reagieren, solange es bei einzelnen Absagen bleibt. Allerdings tobt die Debatte in mehreren Ländern. Zudem hat sich der Eurovision Song Contest seit den Anfängen 1956 zu einem der kostspieligsten Live-Events Europas entwickelt. Neben den Ausrichtern vor Ort übernehmen die ESC-Nationen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien einen Löwenanteil der Kosten. Sie bilden die «Big Five», deren Sängerinnen und Sänger seit vielen Jahren jedes Mal automatisch für das Finale gesetzt sind.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wie der Konflikt beizulegen ist, zeichnet sich bisher nicht ab. Immer wieder ist von den Verhandlungen die Rede, die die EBU noch bis Dezember mit Israel-kritischen Teilnehmerländern führen will, zu denen etwa auch Island und Belgien gehören. Anfang dieser Woche ließ ein Bericht des israelischen Portals «ynet» die ESC-Gemeinde aufhorchen. Angeblich habe man inoffiziell den Israelis zwei Szenarien vorgeschlagen: Ein Jahr aussetzen, in der Hoffnung, dass der Krieg 2027 vorbei ist. Oder ein Auftritt in Wien mit einer neutralen Flagge. Es folgte ein scharfes Dementi aus Genf: «Die EBU hat (dem israelischen Sender) Kan keinerlei Vorschläge mit Blick auf ihre Teilnahme beim nächsten ESC gemacht. Die Beratungen im großen Kreis unserer Mitglieder laufen weiterhin. Bevor dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, wird keine Entscheidung fallen», so die EBU.

Wo steht Deutschland?

Für die ARD übernimmt der Südwestrundfunk (SWR) die Federführung. Der SWR betont auf Anfrage die Werte Vielfalt, Respekt und Offenheit, unabhängig von Herkunft, Religion oder Weltanschauung. «Es handelt sich um einen Wettbewerb, der von EBU-Sendern, nicht von Regierungen organisiert wird.» Man unterstütze aber den Konsultationsprozess. «Ziel ist es, eine fundierte, nachhaltige Einigung zu finden, die mit den Werten der EBU im Einklang steht.»