Anschlag auf Stadtfest

Prozess um Solingen-Anschlag: Angeklagter gesteht, sah sich aber selbst als Opfer

Er habe auf dem „Festival der Vielfalt“ drei Menschen getötet, erklärt der Syrer. Ermittler sehen in ihm einen Anhänger der Terrorgruppe Islamischer Staat. Ein psychiatrisches Gutachten wirft Fragen auf.

Der Syrer Issa Al H. (27) gestand vor Gericht den Messerangriff, bei dem drei Menschen starben. | © Federico Gambarini/dpa

27.05.2025 | 27.05.2025, 15:40

Düsseldorf (dpa). Im Strafprozess um den mutmaßlich islamistischen Terroranschlag von Solingen mit drei Toten hat der Angeklagte die Tat gestanden. In einer Erklärung, die seine Verteidiger zu Prozessbeginn an diesem Dienstag für ihn abgaben, räumte der Syrer Issa al H. den Messerangriff ein, bei dem drei Menschen starben. „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen. Ich bin bereit, das Urteil entgegenzunehmen“, hieß es in der Erklärung. Weiter ließ er verlesen: „Ich habe Unschuldige getötet, keine Ungläubigen.“ Lediglich zum Tatvorwurf der IS-Mitgliedschaft schweige ihr Mandant, erklärten die Verteidiger.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord vor. Außerdem soll er IS-Terrorist sein und wenige Stunden vor der Tat am Abend des 23. August 2024 dem sogenannten Islamischen Staat in Videos die Treue geschworen haben. Videos davon habe er zum Teil wenige Minuten vor der Tat seinem IS-Kontaktmann geschickt.

Angeklagter habe Kontakt zum IS gesucht

Er habe in islamistisch-dschihadistischen Foren gezielt Kontakt zum IS gesucht, so die Bundesanwaltschaft. Bereits seit 2019 habe sich Issa al H. mit der Ideologie des Salafismus beschäftigt und die freiheitliche Lebensweise abgelehnt. Im Messengerdienst Telegram habe er den Kontakt zu führenden Mitgliedern des IS gesucht. Ideologische Operateure des IS hätten ihn dann – auch bei der Auswahl der Tatwaffe – angeleitet.

Seine völlig überraschten Opfer habe er mit einem Messer meist von hinten attackiert und mit einem gezielten Stich in den Hals verletzt. Mehrfach habe er dabei „Allahu akbar“ gerufen. Erst das letzte Opfer habe Widerstand geleistet, ihn getreten und abgewehrt. Der Angeklagte betrat den Gerichtssaal bekleidet mit einem blauen T-Shirt und hielt den Kopf auf der Anklagebank überwiegend gesenkt.

Der Prozess findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt. - © Federico Gambarini/dpa
Der Prozess findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt. | © Federico Gambarini/dpa

Psychiater: Angeklagter bezeichnete sich nicht als streng religiös

Der psychiatrische Gutachter berichtete, ihm habe der Syrer erzählt, dass ihn Bilder des Gaza-Konflikts von getöteten palästinensischen Kindern sehr bewegt hätten. Er habe diese Bilder auf seinem Telegram-Kanal weiterverbreitet und sei daraufhin von einem Unbekannten angeschrieben worden, der ihn aufgefordert habe, einen Anschlag in Deutschland zu begehen. Die Deutschen seien mitverantwortlich. Dieser Mann habe ihm das Gehirn gewaschen, er sei hereingelegt worden und letztlich selbst ein Opfer.

Im Gegensatz zur Anklage führte der Psychiater aus, Issa al H. habe sich selbst nicht als streng religiös oder salafistisch bezeichnet. Er rauche, ziehe Actionfilme der Koranlektüre vor und habe schon manches Freitagsgebet verschlafen. Deutschland sei für ihn ein schönes Land. „Hier kann man ein Leben führen, wie man es möchte“, habe er gesagt. Er wäre nicht nach Deutschland geflüchtet, wenn er die Menschen hier als Ungläubige abgelehnt hätte. Nur Freunde habe er hier nicht gefunden.

Bei der Tat habe er erstmals in seinem Leben unter einer Wahrnehmungsstörung gestanden und auf der Bühne die Leichen palästinensischer Kinder gesehen, sagte der Psychiater weiter. In der Vorstellung des Angeklagten habe ein israelischer Polizist dazu gelacht – diesen habe er attackiert und sei dann in einen Wald geflüchtet. Am nächsten Tag habe er sich einer Polizeistreife gestellt.

Der Vorsitzende Richter Winfried van der Grinten steht im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts. - © Federico Gambarini/dpa
Der Vorsitzende Richter Winfried van der Grinten steht im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts. | © Federico Gambarini/dpa

Vom Bürgerkrieg in Syrien geprägt

Wenn es die Kinder nicht gegeben hätte und die religiöse Indoktrinierung, hätte er es nicht getan, habe der Angeklagte dem Psychiater gesagt. An weitere Tote und Verletzte könne er sich nicht erinnern. Der Angeklagte habe die Tat ihm gegenüber als Dummheit bagatellisiert, die er begangen habe, er sei hereingelegt worden.

Seine Videos, die im Prozess vorgeführt wurden, sprechen eine andere Sprache: «Ich werde Euch in Stücke reißen», sagt er dort. Er werde «Rache nehmen für unsere Familien in Palästina. (...) Deswegen werde ich sie zerstückeln - aus Rache für ihre Massaker (...)». In einem Chat äußerte er sich stark abfällig über Deutschland und Homosexuelle.

Der Psychiater sagte weiter, die Zeit des Angeklagten in Syrien mit sieben Geschwistern sei vom Bürgerkrieg geprägt gewesen. Er sei mit seiner Familie vertrieben worden, habe die Schule nur bis zur sechsten oder siebten Klasse besucht. Der Angeklagte habe angegeben, ein schwacher Schüler gewesen zu sein, er habe lieber Fußball gespielt. Über die Türkei und Bulgarien sei er für 6.800 Euro, die er an Schlepper gezahlt habe, nach Deutschland gekommen, sagte der Psychiater.

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Prozess im Hochsicherheitstrakt

Der Hochsicherheitstrakt für Terrorprozesse in Düsseldorf. Mit bombenfestem Beton, Panzerglas, verborgenen Zufahrten und einem Hubschrauber-Landeplatz auf dem Dach. - © Franz-Peter Tschauner/dpa
Der Hochsicherheitstrakt für Terrorprozesse in Düsseldorf. Mit bombenfestem Beton, Panzerglas, verborgenen Zufahrten und einem Hubschrauber-Landeplatz auf dem Dach. | © Franz-Peter Tschauner/dpa

Der Prozess findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt. Sowohl Verletzte als auch Angehörige von Todesopfern des Anschlags treten in dem Prozess als Nebenkläger auf. Insgesamt sind es zwölf Nebenkläger.

Bei den Todesopfern handelt es sich um zwei Männer (56 und 67 Jahre alt) und eine Frau (56). Acht Menschen wurden verletzt. Zwei Besucher soll der Angreifer knapp verfehlt, aber ihre Kleidung zerfetzt haben. Auch diese Attacken wertet die Bundesanwaltschaft als Mordversuche.

Einen Tag später reklamierte der IS den Anschlag für sich. Es war das erste Bekenntnis dieser Art seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016.

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Mögliches Urteil im September

Nach Angaben einer Gerichtssprecherin gilt der Angeklagte bislang als voll schuldfähig. Das Oberlandesgericht hat bis 24. September 22 Verhandlungstage angesetzt. Es sollen fast 50 Zeugen und mehrere Sachverständige gehört werden.

„Die Tat ist für uns als Solinger unbegreiflich und an Sinnlosigkeit nicht zu überbieten“, sagte Rechtsanwalt Simon Rampp, der acht Nebenkläger vertritt. „Die Bundesanwaltschaft hat aus unserer Sicht die Tat vollumfänglich aufgeklärt. Es gibt viele Zeugen und Videoaufnahmen.“ Als Strafe müsse „alles her, was das Gesetz zu bieten hat“.

Hunderte Kerzen, Blumen und Trauerschreiben befinden sich am Gedenkort unweit des Tatorts. Bei einer Attacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen hatte es am Abend des 23.08.2024 Tote und Verletzte gegeben. - © Thomas Banneyer/dpa
Hunderte Kerzen, Blumen und Trauerschreiben befinden sich am Gedenkort unweit des Tatorts. Bei einer Attacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen hatte es am Abend des 23.08.2024 Tote und Verletzte gegeben. | © Thomas Banneyer/dpa

Angeklagter lebte zeitweise in OWL

Issa al H. war Ende 2022 nach Deutschland gekommen und hatte eine Zeit lang in Bielefeld, dann in Paderborn gelebt, bevor er nach Solingen zog. In Befragungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte er widersprüchliche Aussagen gemacht. Das geht aus der BAMF-Ausländerakte des Syrers hervor.

Im Sommer 2023 sollte er aus einer Unterkunft in Paderborn abgeschoben werden, doch die Beamten konnten ihn vor Ort nicht antreffen. Aufgrund der geltenden Regelungen konnte kein weiterer Versuch unternommen werden und er blieb in Deutschland.

Der Anschlag hatte die politische Diskussion um Abschiebungen, das Dublin-System und die innere Sicherheit in Deutschland befeuert. Sicherheitspakete wurden geschnürt und verabschiedet. EinUntersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag befasst sich derzeit unter anderem mit der Frage, warum die Abschiebung des späteren mutmaßlichen Attentäters scheiterte.

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