Mannheim (dpa). Einmal mehr rast ein Auto in einer deutschen Stadt in eine Menschenmenge. Einmal mehr gibt es Tote zu beklagen. Und einmal mehr steht Mannheim unter Schock – nachdem es dort im vergangenen Jahr bereits zu einem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten gekommen war. Entsetzen und Trauer dürften auch den Tag nach der Bluttat beherrschen. Die wichtigsten Erkenntnisse über die Todesfahrt durch die Fußgängerzone:
Der Tatort
Die Tat ereignete sich mitten im Herzen Mannheims, der mit rund 320.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs – auf den Planken, der Haupteinkaufsstraße. Die Straße war laut Polizei nicht mit Pollern oder Absperrungen gesichert, weil es dafür keinen Anlass gegeben habe.
Dort fahre die Straßenbahn entlang, zudem habe der Lieferverkehr Zugang zur Straße, sagt Mannheims Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer. „Es war ein ganz normaler Tag im Stadtleben von Mannheim.“
Der Ablauf
Am Rosenmontag sind viele Menschen auf den Planken unterwegs, die Sonne scheint, Passanten besuchen den Fastnachtsmarkt mit Dutzenden Imbissbuden und Fahrgeschäften. Um 12.15 Uhr rast ein Wagen mit hoher Geschwindigkeit durch die Fußgängerzone, Hunderte Meter weit. Auf Höhe des Paradeplatzes rammt das Auto mehrere Passanten. Der Fahrer steuert nach Überzeugung der Ermittler bewusst auf seine Opfer zu. Die Polizei nimmt ihn kurze Zeit später fest. Am Ende ist der Tatort übersät mit Trümmern. Auch der schwarze Kleinwagen des Fahrers bleibt völlig demoliert zurück.
Der Täter
Es handelt sich um einen 40-jährigen Deutschen aus Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz). Der Mann war Landschaftsgärtner. Ob er zum Tatzeitpunkt eine Arbeit hatte, wisse man nicht, sagt Staatsanwalt Romeo Schüssler. Er sei ledig, habe nach ersten Erkenntnissen der Ermittler keine Kinder und auch nicht in einer Partnerschaft gelebt. Man gehe davon aus, dass er alleinstehend war, so Schüssler.
Der Mann ist mehrfach vorbestraft. Das teilte die Polizei mit. Es gebe ein paar Vorstrafen, die lange zurücklägen, sagte Staatsanwalt Romeo Schüssler. Dabei gehe es um eine Körperverletzung, für die der 40-jährige Alexander S. vor über zehn Jahren eine kurze Freiheitsstrafe verbüßt habe, und um einen Fall von Trunkenheit im Verkehr. Zudem sei der Tatverdächtige 2018 mit Hate Speech aufgefallen. Er habe einen entsprechenden Kommentar auf Facebook abgesetzt und sei deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Nach einem Bericht des „Spiegel“ hatte S. auch in dem aus Russland stammenden Netzwerk VK ein Profil.
Nun wird gegen ihn wegen zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes ermittelt. Bei seiner Festnahme soll sich der Mann mit einer Schreckschusspistole in den Mund geschossen haben. Der in Ludwigshafen wohnende Mann hat die Klinik am Dienstag verlassen. Er befindet sich nun in Polizeigewahrsam und sollte dort vernommen werden.
Gegen den Mann ist Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes erlassen worden. Das teilten die Staatsanwaltschaft Mannheim und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg am Dienstagabend mit.

Das Motiv
Die Todesfahrt hatte nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler keinen extremistischen oder religiösen Hintergrund. Die Motivation könne eher in der Person des Täters begründet sein, erklärte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). Laut Polizei handelte es sich um eine gezielte Fahrt, bei der bewusst mehrere Personen erfasst wurden. Die Staatsanwaltschaft verwies auf Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Täters, weshalb sich die Ermittler auf diesen Aspekt konzentrieren.
Ein im Auto des Todesfahrers von Mannheim entdeckter Zettel beschäftigt die Ermittler. Notiert sind in etwas krakeliger Schrift unter anderem mathematische Formeln zu Geschwindigkeit und Fahrt. Die Ermittler müssen jetzt prüfen, inwieweit diese Aufzeichnungen relevant für die Aufklärung der Tat sind.
Die Opfer
Bei der Todesfahrt starben eine 83-jährige Frau und ein 54-jähriger Mann. Es gebe keine Erkenntnisse, dass Kinder betroffen sind, sagte der Präsident des Landeskriminalamts, Andreas Stenger. Elf Menschen wurden der Polizei zufolge verletzt, mehrere von ihnen schwer. Alle Verletzten wurden ins Krankenhaus gebracht.
Die Folgen
Nach der Todesfahrt steht Mannheim unter Schock. Drei große Kaufhäuser in der Innenstadt bleiben am Dienstag geschlossen. Die Sängerin Maite Kelly sagte aus Respekt vor den Opfern ein für Mittwoch geplantes Konzert in Mannheim ab. Außerdem wurden mehrere für Dienstag geplante Fastnachtsumzüge in Baden-Württemberg abgesagt – nicht nur direkt in Mannheim, sondern unter anderem auch in Heidelberg und in Schwetzingen im Rhein-Neckar-Kreis. Am frühen Dienstagabend fand eine ökumenische Andacht in der CityKirche Konkordien in Mannheim statt.

Die Reaktionen
Zahlreiche Politiker wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz bekundeten ihre Anteilnahme. Strobl räumte bei einem Ortsbesuch ein, dass es vollkommene Sicherheit nie geben werde. „Wir können auch nicht unsere Innenstädte zu umzäunten Festungen machen“, sagte er.
Der aus Baden-Württemberg stammende Bundesbildungsminister Cem Özdemir rief dazu auf, sich an derartige Gewalttaten nicht zu gewöhnen. „Es ist nicht normal, dass wir darüber nachdenken, ob wir noch mit unseren Kindern zum Faschingsumzug gehen sollen. Es ist nicht normal, dass wir uns zuerst nach Absperrungen umschauen, wenn wir am Wochenende auf den Markt gehen. Es ist auch nicht normal, dass Straßenfeste, Synagogen, Bahnhöfe bewaffnet gesichert werden müssen. Wir dürfen uns daran nicht gewöhnen.“ Dabei helfe es wenig, auf die offiziellen Zahlen zu verweisen, „dass unsere Gesellschaft insgesamt über die letzten Jahre sicherer geworden ist. Denn sie kommen gegen die Erfahrungen, die viele machen, nicht an“, betonte Özdemir. Nötig sei, den öffentlichen Raum besser zu schützen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) versicherte den Bürgerinnen und Bürgern, dass der Staat alles in seiner Macht Stehende tue, um sie zu schützen – und betonte dennoch: „Das ist nun wirklich schwer zu ertragen und auszuhalten.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser dankte der Polizei und den Rettungskräften. „Die Polizei hat einen herausragenden Job geleistet“, sagte die SPD-Politikerin am Montagabend, nachdem sie sich vor Ort ein Bild gemacht hatte.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückte den Angehörigen der Opfer von Mannheim sein tiefes Mitgefühl aus. „Es ist furchtbar, was sie durchmachen müssen“, erklärte Steinmeier über seine Sprecherin auf der Plattform X. „Den Verletzten wünsche ich rasche Genesung.“ Der Bundespräsident dankte Polizei und Rettungsdiensten.
Auch aus dem Ausland kamen Solidaritätsbekundungen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versicherte den Beistand seines Landes. „An alle Menschen in Mannheim, insbesondere an die Angehörigen der Opfer dieser Gewalttat, an das deutsche Volk. Frankreich steht an Ihrer Seite“, schrieb er auf X.
Anschläge der vergangenen Wochen
Der Fall weckt Erinnerungen an mehrere Anschläge, bei denen in den vergangenen Wochen Fahrzeuge in eine Menschenmenge gefahren waren. Im Dezember kamen in Magdeburg sechs Menschen ums Leben, als ein inzwischen 50 Jahre alter Arzt über den Weihnachtsmarkt gerast war. Mitte Februar war ein Mann mit seinem Fahrzeug in eine Gruppe von Demonstranten in München gefahren. Dabei kamen eine junge Frau und ein Kind ums Leben.
Ende Mai vergangenen Jahres hatte zudem auf dem Mannheimer Marktplatz der mutmaßliche Islamist Sulaiman A. fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) sowie einen Polizisten mit einem Messer verletzt. Der 29 Jahre alte Polizist Rouven Laur erlag später seinen Verletzungen. Ein anderer Beamte schoss den Angreifer nieder.
Die Bundesanwaltschaft geht nach eigenen Angaben davon aus, dass der Angeklagte Sympathien für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hegt. Der mutmaßliche Täter steht derzeit in Stuttgart vor Gericht.