Vilnius (AFP/dpa/nw). Beim Absturz eines Frachtflugzeugs des deutschen Paketdienstleisters DHL in Litauen ist mindestens ein Mensch ums Leben gekommen. Nach Angaben von DHL stürzte die aus Leipzig kommende Maschine am frühen Montagmorgen bei einer Notlandung rund einen Kilometer vor dem Flughafen der Hauptstadt Vilnius ab. Die litauischen Behörden schlossen einen terroristischen Hintergrund nicht aus.
Vor einem Monat hatte der deutsche Verfassungsschutz berichtet, dass Deutschland bei einem womöglich von Russland initiierten Brand eines Luftfrachtpakets nur knapp einem Flugzeugabsturz entgangen sei. „Wir können die Möglichkeit eines Terrorakts nicht ausschließen“, sagte Litauens Geheimdienstchef Darius Jauniskis mit Blick auf den Absturz am Stadtrand von Vilnius: „Wir haben davor gewarnt, dass so etwas passieren könnte. Wir sehen uns einem immer aggressiveren Russland gegenüber.“ Noch sei es jedoch zu früh, eindeutige Schlüsse zu ziehen.
Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas betonte, derzeit gebe es „keine Hinweise oder Beweise, die nahelegen, dass es Sabotage oder ein Terrorakt war“. Untersuchungen der Flugschreiber sollten Hinweise dazu geben, ob es sich um einen „technischen Fehler, einen Pilotenfehler oder etwas anderes handelt“, sagte Kasciunas. Die Ermittlungen zur Absturzursache werden nach seinen Worten „etwa eine Woche“ dauern.
Pilot der DHL-Maschine hat keine Probleme gemeldet
Die Auswertung der Kommunikation zwischen dem Piloten und dem Tower deutet einem Bericht des litauischen Rundfunks zufolge nicht auf einen Notfall oder andere Unregelmäßigkeiten beim Landeanflug hin. In dem veröffentlichten Mitschnitt ist ein völlig ruhig und routinemäßig verlaufendes Gespräch zu vernehmen, wie ein vom Rundfunk befragter litauischer Luftfahrtexperte sagte.
„Ohne auf Details einzugehen, kann man sagen, dass die Piloten keine Gefahr und keine Probleme gemeldet haben. Es war eine routinemäßige Kommunikation, ein einfacher Sinkflug“, sagte Vidas Kaupelis von der Universität Vilnius nach dem Anhören der Aufzeichnung, die nach seinen Angaben im Internet verfügbar und nicht vertraulich sei.
Warnung vor russischen Sabotageakten
Anfang November waren nach Paketbränden in Post-Depots in Europa mehrere Verdächtige in Litauen festgenommen worden. Laut Staatsanwaltschaft werden sie verdächtigt, am Versand von Paketen mit Brandsätzen in mehrere westliche Länder beteiligt gewesen zu sein. Der nationale Sicherheitsberater des baltischen Landes machte Russland für die Vorfälle verantwortlich.
Im Juli war im DHL-Logistikzentrum in Leipzig ein Paket in Brand geraten. Drei Monate später berichtete Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, Deutschland sei bei dem möglicherweise von Russland initiierten Brand nur knapp einer Katastrophe entgangen. Ihm zufolge war es reiner Zufall, dass das Paket am Boden und nicht während des Fluges in Brand geraten war – sonst wäre ein Absturz wohl unvermeidlich gewesen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt in dem Fall.
Auch in Großbritannien brannte im Juli ein Paket in einem DHL-Warenlager. In Polen setzte ein Paket laut Medienberichten einen DHL-Lkw in Brand. Der britische Geheimdienstchef Ken McCallum warnte Anfang Oktober vor russischen Sabotageakten und Brandstiftungen. Moskau wolle in den Unterstützerländern der Ukraine „Chaos“ stiften, sagte McCallum.
Trümmer der Maschine trafen ein Wohnhaus
Nach Angaben der litauischen Polizei rutschte die am Montag abgestürzte Maschine mehrere Hundert Meter weit über den Boden. Der Leiter des litauischen Rettungsdienstes, Renatas Pozela, sagte, dass das Frachtflugzeug mehrere hundert Meter weit schlitterte. Einige Trümmerteile trafen auch ein Wohnhaus, in dem drei Familien lebten. Alle zwölf Bewohner sind nach Angaben des Rettungsdienstes in Sicherheit. Auf Bildern war zu sehen, wie Rauch an einem Wohnhaus zwischen Bäumen aufsteigt.
Eine Frau, die in der Nähe des betroffenen Hauses wohnt, berichtete im litauischen Rundfunk, dass sie am frühen Morgen durch ein Geräusch geweckt worden sei: „Ich habe im Schlaf ein Geräusch gehört, ich schaue aus dem Fenster – alles war rot und voller Funken“. Sie sei sofort losgerannt, um zu sehen, ob jemand Hilfe brauche. Sie stehe unter Schock: „Schrecklich, schrecklich“ sei das Ganze.
Ein Nachbar erzählte, dass er am frühen Morgen einen Lichtblitz im Hof gesehen habe: „Es gab einen Blitz. Den Aufprall selbst habe ich nicht gesehen, aber der Blitz war sehr hell, er erleuchtete den ganzen Hof, und er war etwa einen Kilometer von mir entfernt. Und dann erschien das Feuer und es gab eine Menge Rauch.“
Viele Teile des Flugzeugs seien herumgeschleudert worden, berichtete ein Journalist des litauischen Rundfunks vom Unfallort im Stadtteil Liepkalnis. Das Gebiet ist seinen Angaben zufolge nicht dicht besiedelt – es gibt nur einzelne Häuser.
Spanisches Besatzungsmitglied ist tot
Laut Polizei kam das bei dem Absturz getötete Besatzungsmitglied aus Spanien, die drei übrigen kamen demnach aus Deutschland, Spanien und Litauen. Laut Polizeichef Arunas Paulauskas sollten die verletzten Besatzungsmitglieder der Maschine im Krankenhaus befragt werden. Zum gesundheitlichen Zustand der Verletzten machten die Behörden zunächst keine weiteren Angaben. Zum Alter der Insassen gebe es noch keine gesicherten Informationen, erklärte die Polizei.
DHL erklärte, das abgestürzte Flugzeug sei im Auftrag von DHL von ihrem Servicepartner Swift Air betrieben worden. Etwa einen Kilometer vor dem Flughafen der litauischen Hauptstadt habe das Flugzeug „eine Notlandung durchgeführt“. Die Ursache des Unglücks sei noch unklar. Das Flugzeug transportierte Post für verschiedene Kunden.
Der Vize-Vorsitzende des Geheimdienste-Kontrollgremiums des Bundestages, Roderich Kiesewetter (CDU), sieht Russland als möglichen Urheber für den Absturz. „Auch wenn es aktuell noch nicht aufgeklärt ist, es ist zumindest wahrscheinlich, dass es sich um eine russische Sabotage und somit Terror handeln könnte, da Nachrichtendienste und Partner eindringlich davor gewarnt haben“, sagte er dem „Handelsblatt“. Es habe „wiederholt relevante und sehr ernstzunehmende Hinweise auf Sabotageversuche gegen den Luftfrachtbereich der DHL gerade in Bezug auf den Flughafen Leipzig“ gegeben, sagte der Grünen-Sicherheitsexperte Konstantin von Notz den Funke-Medien. Er forderte, den Absturz in Litauen „ebenso entschlossen wie umgehend“ aufzuklären.
Luftfahrtexperte hält Unfall für wahrscheinlich
Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt hält einen Unfall im aktuellen Fall unterdessen für wahrscheinlich. „Ein Szenario könnte sein, dass die Besatzung den Flughafen zu tief angeflogen hat“, sagte er dieser Redatkion und fuhr fort. „Wenn da tatsächlich ein unkonventioneller Brandsatz an Bord gewesen wäre, hätte es sofort Alarm im Cockpit gegeben.“ Auch wäre eine Feuerlöscheinrichtung zum Einsatz gekommen, am Flughafen hätte die Feuerwehr gewartet. „Das alles ist aber nicht passiert.“
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung werde die Ermittlungen vor Ort in Litauen unterstützen, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums vor Journalisten in Berlin. Ab dem Abend würden Kollegen dort im Einsatz sein.
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