Im Alter von 76 Jahren

Von Mordverdacht freigesprochener Ex-Footballer O.J. Simpson gestorben

O.J. Simpson war umjubelter Footballstar, doch dann wurde er des Mordes an seiner Ex-Frau angeklagt - und spektakulär freigesprochen. Jetzt ist Simpson im Alter von 76 Jahren gestorben.

O. J. Simpson bei seinem Gerichtsprozess. | © AFP or licensors

Dirk Hautkapp
11.04.2024 | 11.04.2024, 18:43

Washington. Er war in Amerika so bekannt wie Bill Clinton und Michael Jackson und so beliebt wie hierzulande Franz Beckenbauer und Gerd Müller zusammen. O. J. Simpson, der ehemalige Football-Superstar und sagenumwobene Straftäter, ist tot. Er starb am Mittwoch im Alter von 76 Jahren nach langem Krebsleiden, wie seine Familie mitteilen ließ.

Simpson war 2008 wegen eines bizarren Raubüberfalls und einer Entführung in Las Vegas zu bis zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann, den viele Amerikaner wegen seiner Antrittsschnelligkeit „The Juice” (der Saft) nannten, hatte gemeinsam mit Komplizen zwei Trophäenhändler überfallen. Seine Begründung: Sie waren im Besitz von Football-Andenken, Erinnerungsstücken und privaten Fotos, von denen Simpson behauptete, sie seien ihm gestohlen worden.

Für seine Tat wanderte der Afro-Amerikaner ins Lovelock Correctional Center des Bundesstaates Nevada. Dort genoss der durch regelmäßiges Training physisch stark gebliebene Ex-Spitzensportler einen Promi-Status sondergleichen, der auf einen noch spektakuläreren Fall zurückging, der Mitte der 90er Jahre weltweit Mediengeschichte schreiben sollte.

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Als die Polizei im Sommer 1994 im noblen Brentwood, einem Villenvorort von Los Angeles, nach dem Mord an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson (35) und deren Liebhaber Ronald Goldman (26) aufkreuzte, um den dringend tatverdächtigen Simpson abzuholen, lieferte das damalige Football-Idol den Fahndern ein bis heute unerreichtes Katz-und-Maus-Spiel.

Stundenlang kurvte der damals 46-Jährige in einem auffälligen weißen Ford Bronco durch Los Angeles, im Schlepptau eine Kolonne von Polizeiwagen. Raubvögeln ähnlich kreisten Hubschrauber verschiedener Fernsehstationen über dem Highway 5 und lieferten die Sensation in die amerikanischen Wohnzimmer. Kein Mensch scherte sich um das gleichzeitig stattfindende Eröffnungsmatch der Fußball-Weltmeisterschaft. Sogar der TV-Riese NBC unterbrach sein Programm. Und das hieß „New York Knicks gegen Houston Rockets“, NBA-Finalspiel fünf im US-Basketball.

„Das war das meistgesehene TV-Ereignis aller Zeiten“, schwärmte der damalige CNN-Boss Ted Turner über „The Chase“ (Die Jagd). Weil sich jeder große TV-Sender in die Verfolgungsjagd einklinkte, gab es keine gesicherten Einschaltquoten; die geschätzte Reichweite lag bei 75 Prozent.

Football-Star, Hollywood-Schauspieler, Werbe-Ikone

Nach zehn Stunden ergab sich der frühere Running Back der Buffalo Bills, der nach seiner Football-Karriere (1979) Star-Interviewer im Fernsehen, Hollywood-Schauspieler („Die nackte Kanone“) und millionenschwere Werbe-Ikone („Mister Hertz“) wurde, im Vorgarten seiner Villa.

Der folgende Indizien-Prozess hielt die USA monatelang in Atem. Erstmals waren TV-Kameras im Gerichtssaal zugelassen. Insgesamt gab es zwischen dem 24. Januar und dem 3. Oktober 1995 134 Verhandlungstage. Der Prozess war d a s gesellschaftliche Gesprächsthema Nummer eins. Sogar der russische Präsident Boris Jelzin soll 1995 den amerikanischen Staatschef Bill Clinton gefragt haben: „Denken Sie, dass O. J. es getan hat?“

Schnell wurde der Fall Simpson zum Gradmesser für Rassismus und Voreingenommenheit der Justiz. Sollte hier etwa ein Nationalheld in Verruf gebracht werden? Hintergrund: Drei Jahre zuvor hatten Polizisten in Los Angeles den Afro-Amerikaner Rodney King vor laufender Kamera misshandelt. Für die Staatsanwaltschaft um die wackere Vermittlerin Marcia Clark stellte sich ein unüberwindbares Problem: Es gab keine Augenzeugen, keine Tatwaffe, nur massenweise Indizien. Aber auch die reichten nicht.

Handschuhe zu klein für O. J. Simpson

Legendär die Szene mit denen Handschuhen, die am Tatort neben der Leiche Goldmans gefunden wurden - und die im Prozess am 15. Juni 1995 die Wende brachten: Staatsanwalt Christopher Darden (67) forderte den Angeklagten auf, die Fäustlinge anzuziehen. Ein fataler Fehler. O. J. Simpson kam nicht rein! Zu eng! Star-Anwalt Johnnie Cochran reimte triumphierend im Plädoyer: „If it doesn’t fit, you must acquit.“ Übersetzt: Wenn sie (die Handschuhe) nicht passen, müssen sie ihn freisprechen!

O.J. Simpson zeigt der Jury ein neues Paar extragroße Aris-Handschuhe, ähnlich den Handschuhen, die am 21. Juni 1995 während seines Doppelmordprozesses in Los Angeles, Kalifornien, am Tatort Bundy und Rockingham gefunden wurden. - © VINCE BUCCI / POOL / AFP
O.J. Simpson zeigt der Jury ein neues Paar extragroße Aris-Handschuhe, ähnlich den Handschuhen, die am 21. Juni 1995 während seines Doppelmordprozesses in Los Angeles, Kalifornien, am Tatort Bundy und Rockingham gefunden wurden. | © VINCE BUCCI / POOL / AFP

Als der Prozess in der Tat mit einem spektakulären Freispruch endete, jubelte das schwarze Amerika, während viele Weiße die Faust in der Tasche ballten. Denn Simpson nährte immer wieder den Verdacht, dass er doch schuldig war. In seinem Skandalbuch „If I Did It“ (Wenn ich es getan hätte) schildert er später das bestialische Verbrechen so, als sei er damals der Mörder gewesen. Zu dieser Zeit war bekannt, dass Simpson bis zur Scheidung 1992 seine Ehefrau regelmäßig verprügelt hatte und ständig vor Eifersucht platzte.

Die Koketterie mit dem grausamen Doppelmord, der Fahnder am Tatort zusammenbrechen ließ, hatte sich Simpson während der Haft in Nevada abtrainiert. Er wurde gläubig, arbeitete als Trainer und machte einen Computerkurs. „Ich bin wohl der vorbildlichste Häftling, den sie je hatten“, sagte Simpson damals mit seinem Markenzeichen: einem schelmisch breiten Lächeln.

Simpsons Wirkung auf seine Außenwelt war immer magnetisch. Für viele Landsleute blieb er der „All American Guy“, ein Pfundskerl, den man sich als Taufpate seiner Tochter wünscht und dem man jederzeit einen Gebrauchtwagen abkaufen würde.

Live-Übertragung seiner Entlassung

Selbst seine vorzeitige Entlassung - wegen guter Führung - aus dem Gefängnis im Jahr 2017 wurde live im Fernsehen übertragen und wurde abermals von Millionen verfolgt. In sozialen Netzwerken setzten sogar Jubelstürme ein. „O.J. endlich frei - wir lieben Dich!“.