Am Gardasee und Co.: Mafia nistet sich in Tourismusgebiet ein

Das Einfamilienhaus ist unscheinbar. In der Garageneinfahrt liegen ein paar Fahrräder unbenutzt herum. Fünf Stufen führen auf eine Terrasse mit dem Eingang hinauf. Neben der Haustür lädt ein Tisch mit fünf Stühlen zum Verweilen ein. Das zweistöckige Gebäude ist in rötlichem Ton gestrichen, renoviert. Dunkle Holzbalken ragen aus der Dachstruktur. &bdquo;Hier wohnten einst die Brüder Ciccimarra“, sagt Jennifer Riboli, die in das Haus führt. Die Männer wurden 2005 verhaftet, sie gehörten zur Ndrangheta, der mächtigsten Mafia-Organisation Italiens. Von jenem Haus in Manerba del Garda aus betrieben Michele und Graziantonio Ciccimarra Drogenhandel in großem Stil, zusammen mit mexikanischen Kartellen. Urlaubsparadies hat dunkle Seite Der Garda-See gilt als Ferienparadies, vor allem Urlauber aus Deutschland und Österreich mögen die Blicke, das Klima und den scheinbar leichten Lebensstil. Doch es gibt auch eine finstere Seite des Sees. Reichtum und Schönheit ziehen auch die Unterwelt an. Italienische Mafia-Organisationen haben sich hier seit Jahren niedergelassen. Die Bosse besitzen Immobilien am See, waschen das aus dem Drogenhandel erworbene Geld und machen andere Geschäfte. Freiwillige wie Jennifer Riboli, die für die Antimafia-Organisation Libera arbeitet, wollen Licht in diesen dunklen Kosmos bringen. Das Haus in der Via dei Colli wurde bereits 2005 konfisziert und stand dann Jahre lang leer. 2018 präsentierte das Konsortium Garda Sociale ein Projekt zur Nutzung konfiszierter Immobilien am Gardasee. Seither betreibt die Organisation sechs Projekte in konfiszierten Mafia-Häusern. Begegnungsstätte der Antimafia-Begegnung Das Haus der Ciccimarra-Bosse ist nun eine Begegnungsstätte mit dem Namen &bdquo;Casa della legalità“ (Haus der Legalität). Hier können Jugendliche über die Antimafia-Bewegung lernen oder Kurse belegen und beispielsweise mit 3-D-Druckern arbeiten. Es gibt Spieleabende. &bdquo;Hier in der Gegend gibt es viele Angebote für Touristen, aber wenig für Kinder und Jugendliche“, erklärt Riboli. Das Haus dient auch als Begegnungsstätte für Kinder aus Familien in sozialen Schwierigkeiten mit ihren Eltern. Auch in konfiszierten Immobilien in Desenzano und Padenghe ermöglicht das Konsortium Garda Sociale im Auftrag der Mailänder Sparkassen-Stiftung Cariplo Zusammenkünfte für Kinder und Erwachsene in Schwierigkeiten. In Toscolano Maderno und Puegnago del Garda wurden sogar Ferienwohnungen eingerichtet für &bdquo;bewussten und ethischen Tourismus“. Touristen konnten sich hier über die Aktivitäten der Mafia am Gardasee und über die Geschichte des Kampfes gegen die Organisierte Kriminalität in Italien informieren. Mafia nicht nur in Süditalien aktiv &bdquo;Leider mussten wir nach zwei Jahren vorübergehend schließen“, sagt Elena Rocca von Garda Sociale. Als Gründe nennt sie die Pandemie und fehlende Finanzierung. &bdquo;Wir hoffen das Projekt bald fortführen zu können.“ Es gibt bereits die Idee, den Gebäudekomplex &bdquo;Le Farfalle“ in Manerba del Garda mit 24 Apartments für touristische Zwecke zu nutzen. Auch diese Immobilie wurde beschlagnahmt, die Gemeindeverwaltung soll über ihre Nutzung entscheiden. Dass die Mafiaorganisationen nicht nur in Süditalien aktiv sind, ist längst bekannt. Sie bewegen sich dorthin, wo das Geld ist – und das gibt es am Gardasee in Hülle und Fülle. Alleine in der Provinz Brescia am Westufer Sees werden 39 konfiszierte Immobilien gezählt, davon elf in Desenzano, zehn in Lonato und vier in Sirmione. Sowohl Männer der Ndrangheta, als auch der Camorra und Cosa Nostra residierten hier. Die Immobilienkäufe dienen in erster Linie der Geldwäsche. &bdquo;Es gibt hier so viele Ferien- und Zweithäuser“, sagt Jennifer Riboli. &bdquo;Niemand weiß genau, wer in den Häusern wohnt und wer dort was macht.“ Mafia nutzt Tourismusgebiete als Tarnung So besaßen Mitglieder des Ndrangheta-Clans Bellocco aus Rosarno eine Villa in der Via Galilei in Padenghe. Ermittlern zufolge waren die Belloccos der Bezugspunkt der kalabrischen Mafia am Gardasee und schlossen Deals mit der Sacra Corona Unita in Apulien. Von der Villa aus disponierten die Mafiosi, wohin die aus Südamerika im Hafen von Gioia Tauro gelandeten Drogenladungen weitertransportiert werden sollten. Auch die Flucht des Bosses Giuseppe Pesca aus Rosarno wurde von hier aus orchestriert. &bdquo;Generell kann man sagen, dass die Westküste des Sees als ein ständig wachsendes Tourismusgebiet den Mitgliedern der Mafiaorganisationen nach und nach eine bessere Tarnung im sozialen Gefüge des Gardasees ermöglicht hat“, heißt es in einem Bericht des Observatoriums für die Organisierte Kriminalität der Universität Mailand (Cross). Wenig bekannt ist auch, dass am Gardasee mehrere Kronzeugen von Camorra und Cosa Nostra in Zeugenschutzprogrammen versteckt werden. Aussagen von Kronzeugen verrieten Mafia-Mitglieder Dass die Mafia es auch direkt auf den Tourismus abgesehen hat, förderte eine Anti-Ndrangheta-Operation der Antimafia-Ermittler aus Catanzaro zu Tage. Der auf Glücksspiel und Geldwäsche spezialisierte Clan Megna aus Crotone machte sich die Dienste eines lokalen Unternehmers aus Peschiera del Garda zu Nutze. Mauro P., bekannter Unternehmer der Gegend und seit vergangenen November im Hausarrest, führte in der bekannten Camping-Anlage Garda Village in Sirmione einen kleinen Supermarkt. Die Megnas wollten diesen offenbar zu einer Spielhölle umbauen und so Zugriff auf die Ferienanlage bekommen. Dank der Aussagen von Kronzeugen kamen die Ermittler den Kriminellen auf die Schliche. Der Shop im Campingplatz wurde geschlossen. Aus abgehörten Telefonaten ging zudem hervor, dass es der Megna-Clan auch auf ein Hotel in unmittelbarer Nähe des Vergnügungsparks Gardaland am Ostufer abgesehen hatte. Die Mafiaorganisationen versuchen sich auch dort. &bdquo;Besonders gefährdet sind touristische Gebiete wie die in den Provinzen Verona und Trento mit zahlreichen Hotels“, sagt der Kriminologe Andrea Di Nicola von der Universität Trento. Jennifer Riboli und ihre Mitstreiterinnen bemühen sich weiter, den konfiszierten Immobilien neues Leben einzuhauchen. Auch am Gardasee sei die Welt nicht so heil, wie man als Feriengast vermuten möchte. &bdquo;Es gibt auch unter Jugendlichen immer mehr Kleinkriminalität, da wollen wir mit unseren Hilfsangeboten und Jugendwerkstätten ansetzen“, sagt die 34-Jährige. Wahrscheinlich hätten die Touristen aus dem Norden keine rechte Vorstellung von dem, was hier im Gange ist. &bdquo;Viele meinen wohl, die Mafia ist im Norden Italiens nicht aktiv, aber sie ist es“, sagt Riboli. In der Casa della legalità in Manerba del Garda steht ein Satz an der Wand, der das Engagement der Ehrenamtlichen am Gardasee gut zusammenfasst. Er stammt vom 1978 ermordeten sizilianischen Antimafia-Aktivisten Peppino Impastato und lautet: &bdquo;Die Mafia tötet, aber das Schweigen auch.“

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