
Schön ist gut, hässlich ist böse: Das ist nicht nur in Märchen so, offenbar denken wir tatsächlich so. Ulrich Rosar ist Attraktivitätsforscher und sagt: "Wir gehen davon aus, dass attraktive Menschen die besseren Menschen sind." Und es bleibt offenbar nicht bei diesem Vorurteil. Rosar zufolge geben wir attraktiven Menschen bessere Schulnoten, bessere Jobs, mehr Geld – und haben obendrein sogar mehr Nachsehen mit ihnen. Nicht einmal Mutterliebe scheint davor geschützt: Attraktivität wirkt.
"Wir haben viele Hinweise, nach denen evolutionäre Prämissen es uns schwer machen, nicht entlang von Attraktivität zu diskriminieren", sagt er. Also alles eine Sache der Biologie? Nicht ganz, es sind auch die Umstände: Im Mittelalter etwa, als Stände vorgaben, wer welche Chancen hat, und Ehen Zweckgemeinschaften waren, habe Attraktivität eine geringere Rolle gespielt.
Mit der Wahlfreiheit aber kam die Diskriminierung nach Schönheit, sagt Rosar. Der zweite Grundstein: "Unsere Kultur hebt das Schöne auf einen Sockel, auch sprachlich." So würde mit den Worten "wie schön von dir!" etwas Positives beschrieben, während negative Merkmale oft als "hässlich" gelten – etwa beim hässlichen Charakter.
Aufmerksamkeitseffekt
Die größte Entdeckung der Attraktivitätsforschung sei die Wirkmacht physischer Attraktivität: "Je nach Kontext, kann Attraktivität einen größeren diskriminierenden Effekt als andere Merkmale haben, die in der Diskussion mehr Aufmerksamkeit bekommen", sagt Rosar. "Attraktivität wirkt von der Wiege bis zur Bahre".
Doch wie genau wirkt sie? Zunächst bekommen attraktive Gesichter schlicht mehr Aufmerksamkeit: Das wiesen jüngst Psychologen der Universität Wien nach. Betrachter bleiben bei schönen Gesichtern länger hängen.
"Attractiveness Treatment Advantage"
Im Alltag herrsche eine Tendenz, attraktive Menschen besser zu behandeln, sagt Rosar. Der Attractiveness Treatment Advantage beschreibt, dass wir schöne Menschen mehr respektieren, ihnen mehr vertrauen und eher Hilfe anbieten.
Die Bevorzugung der Schönen beginne schon im Säuglingsalter: Selbst Mütter kümmern sich um schöne Babys anders als um weniger attraktive Neugeborene. "Je attraktiver das Baby, desto mehr Zeit investieren Mütter ins Spielen und Knuddeln. Weniger attraktive Babys werden eher versorgt", sagt Rosar, bei hübschen Säuglingen sei der Umgang dagegen liebevoller. Später fördern Eltern ihre attraktiven Kinder intensiver und gehen stärker auf ihre Bedürfnisse ein.
Attraktive Kinder hätten bessere, stabilere Netzwerke. "Sie stehen im Zentrum ihrer Gang", sagt Rosar. In der Schule würden sie besser benotet und nachsichtiger behandelt.
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Halo-Effekt
Der sogenannte Halo-Effekt besagt, dass eine Eigenschaft wie gutes Aussehen dazu führen kann, dass davon unabhängige Eigenschaften wie Kompetenz oder Intelligenz einfach mitgedacht werden – ein Gesamtpaket quasi. Die Folge: Wer gut aussieht, muss weniger leisten, um Eindruck zu hinterlassen. Rosar zeigte in seinen Forschungen, dass als unattraktiv bewertete Fußballprofis bessere Leistungen bringen und dass Attraktivität den Wahlerfolg beeinflusst.
Attraktive Menschen werden eher eingestellt, zeigte eine Studie der University of Buffalo. Die Ökonomin Eva Sierminska schrieb in einem Artikel für das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), dass eine "Schönheitsprämie" vor allem in Tätigkeiten gezahlt wird, in denen Attraktivität mit höherer Produktivität assoziiert wird. Schönheit beeinflusse, welche Jobs wir wählen: Weniger attraktive Menschen schlügen andere Karrierewege ein und müssten für den gleichen Lohn produktiver sein. Bei Männern sei der „Schönheitseffekt“ ausgeprägter.
"Attractiveness-Glamour"-Effekt
Schönen Menschen wird nicht nur mehr zugetraut, ihnen wird auch eher verziehen. Der Glamour-Effekt sorge dafür, dass äußere Umstände einbezogen werden: Bei attraktiven Menschen würde das Schlechte relativiert, das Gute aktiv gesucht, erklärt Rosar. In einer schlechten Klassenarbeit etwa würden Lehrende eher nach Inhalten suchen, die sie gut bewerten können, wenn das Kind hübsch ist. Das geht so weit, dass schöne Menschen seltener angezeigt und angeklagt werden und Richter sogar mildere Strafen verhängen - wenn überhaupt.
"Beauty-is-Beastly"-Effekt
In bestimmten Kontexten werden Frauen für ihre Attraktivität jedoch bestraft: Während Männer von ihrer Attraktivität profitierten, täten Frauen das nur, wenn sie nicht-leitende Positionen anstrebten, beschreibt Psychologie-Professorin Madeline E. Heilman. Sehr gut aussehenden Frauen würden "typische weibliche" Eigenschaften stärker zugeschrieben – in Führungspositionen seien jedoch "typisch männliche" Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen gefragt. Dass besonders attraktive Frauen schlechtere Chancen in Führungspositionen haben, wird auch "Beauty-is-Beastly"-Effekt genannt.
Hyperattraktivität
Extrem gut aussehende Menschen verlieren ihr "Pretty Privilege": Stattdessen wird ihnen Ich-Bezogenheit und Oberflächlichkeit unterstellt, sagt Rosar. "Auch Body-Builder gelten als dumm - was sie nicht sind." Frauen wird zudem ein geringer Intellekt zugeschrieben und unterstellt, sie instrumentalisierten bewusst ihren Körper. Hyperattraktivität beträfe laut Rosar nur rund ein Prozent der Bevölkerung.
Wer ist schön?
"Grundsätzlich gilt bei Frauen, dass alles als attraktiv bewertet wird, das auf Jugendlichkeit und Fitness – auch im reproduktiven Sinn – hinweist", so der Attraktivitätsforscher. Bei Männern würden Merkmale bevorzugt, die auf Stärke, Dominanz und Fitness hinweisen.

Als Beispiele nennt Rosar die junge Jamie Lee Curtis, die junge Julia Roberts und den jungen Brad Pitt. Gleichzeitig sei eine gewisse Unverwechselbarkeit wichtig, zu perfekt dürfe es nicht werden: Julia Roberts Mund sei eigentlich zu breit, mache ihr Gesicht aber individuell. Curtis bleibe als Individuum "eher unauffällig", da ihr Gesicht "statistisch einfach nur der perfekte Durchschnitt ist".
"Diese Merkmale sind historisch und kulturell weitgehend invariant und dominieren unsere Vorstellung, was attraktiv ist und was nicht", sagt Rosar. Zeitgeistabhängig sei dann beispielsweise, ob schlanke oder kurvige Frauenkörper bevorzugt werden und ob Männer drahtig oder muskulös sein sollen – je nachdem, ob wir uns in einer Mangel- oder einer Überflussgesellschaft befinden. "Das sind aber eher Nuancen", sagt Rosar.
Das hilft gegen "Pretty Privilege"
Menschen neigen immer dazu, zu diskriminieren, sagt Rosar. Daher heißt der erste Schritt: Sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden. "Unsere gesamte Kultur arbeitet dem entgegen", sagt der Forscher. "Wir werden dazu verleitet, das Schöne mit dem Guten gleichzusetzen."
In Bewerbungsverfahren etwa sollte auf Fotos verzichtet werden, schlägt der Soziologe vor. Auch andere Diskriminierungsfaktoren wie Alter und Ethnie könnten in diesem ersten Schritt ausgeblendet werden. Doch wie soll das im Bewerbungsgespräch funktionieren? Da sitzen wir uns schließlich gegenüber – denn es geht auch darum, den Menschen hinter dem Lebenslauf kennenzulernen.
Rosar empfiehlt standardisierte Fragebögen und detaillierte Protokolle. "Attraktive Menschen bleiben uns stärker in Erinnerung mit dem, was sie sagen und tun", sagt der Soziologe. Entsprechend machen attraktive Bewerber einen besseren, bleibenden Eindruck – selbst dann, wenn sie inhaltlich weniger überzeugend waren als ihre unattraktiven Konkurrenten. Auch das Vier-Augen-Prinzip könne dazu beitragen, die Bewertungen objektiver zu gestalten. In Schulen empfiehlt Rosar anonymisierte Klausuren und stichprobenartige externe Bewertungen.