11 Jahre nach Katastrophe

Im Schlaf überrascht: Tote und viele Verletzte bei Erdbeben in Fukushima

Wieder gilt zeitweise eine Tsunami-Warnung in Fukushima. Fast genau elf Jahre nach der Atomkatastrophe im Nordosten Japans wird die Region erneut von starken Beben heimgesucht. Wieder wird den Japanern bewusst: Sie leben auf einem Pulverfass.

Das von einem Hubschrauber aufgenommene Foto zeigt das durch ein Erdbeben am 11.03.2011 beschädigte Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. | © dpa

16.03.2022 | 17.03.2022, 05:47

Fukushima (dpa). Bei dem starken Erdbeben im japanischen Fukushima sind mindestens drei Menschen ums Leben gekommen und fast 200 weitere verletzt worden. Das berichtete der Fernsehsender NHK am Donnerstag. Eine zunächst ausgegebene Tsunami-Warnung wurde am frühen Morgen (Ortszeit) aufgehoben. In der Atomruine in Fukushima gab es nach Angaben der zuständigen Aufsichtsbehörde keine Unregelmäßigkeiten. Auch der zwischenzeitliche Stromausfall in Millionen Haushalten wurde nach Angaben des Betreibers behoben.

In der Atomruine in Fukushima war infolge des Bebens in der Nacht zum Donnerstag Feueralarm ausgelöst worden. Einen Brand habe es aber nicht gegeben, versicherte die Atomaufsichtsbehörde. Ein ausgefallenes Kühlsystem in einem Abklingbecken für gebrauchte Brennstäbe des zweiten Atomkraftwerks Fukushima Daini zwölf Kilometer südlich der Atomruine konnte wieder aktiviert werden.

Die schweren Erschütterungen hatten viele Menschen im Nordosten sowie weiteren Regionen des Inselreiches einschließlich Tokios aus dem Schlaf gerissen. Im Ort Soma in der Präfektur Fukushima kam ein Mann in seinen 60ern ums Leben, wie örtliche Medien berichteten. Auch in der Nachbarprovinz Miyagi starben zwei ältere Männer, als sie in Folge des lang andauernden Bebens ohnmächtig wurden und stürzten. Auch im 250 Kilometer entfernten Großraum Tokio gerieten Gebäude beängstigend lang anhaltend ins Schwanken.

Viele Japaner waren bereits schlafen gegangen

Der japanische Fernsehsender NHK zeigte am Donnerstag Bilder von teils schwer beschädigten Häusern, Schreinen und aufgerissenen Straßen. In Geschäften fielen die Waren aus den Regalen, auch in Wohnhäusern und Büros stürzten Einrichtungen um. „Ich habe zwei starke Erschütterungen gespürt und sah, wie geparkte Autos auf und ab hüpften, weil der Boden bebte“, sagte ein Wachmann im Rathaus von Soma der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo. Aus dem Küstenort wurden viele Verletzte gemeldet. Auch in weit entfernten Regionen des Landes wie der Tokioter Nachbarpräfektur Kanagawa sowie in den Präfekturen Ibaraki, Akita und Yamagata im Norden gab es Verletzte.

Durch das Beben entgleiste auch ein Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug - die rund 100 Passagiere an Bord des Shinkansen blieben laut Medienberichten jedoch unverletzt. Am Donnerstag war zunächst nicht abzusehen, wie lange die Instandsetzungsarbeiten an der Bahnstrecke dauern würden.

Das Beben der Stärke 7,3 ereignete sich fast auf den Tag genau elf Jahre nach der Dreifachkatastrophe im Nordosten des asiatischen Inselreiches. Damals war die Region von einem verheerenden Erdbeben der Stärke 9 und einem dadurch ausgelösten gewaltigen Tsunami verwüstet worden - im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi kam es zu Kernschmelzen. Eine solche Katastrophe blieb den Inselbewohnern diesmal zum Glück erspart.

Viele Japaner waren bereits schlafen gegangen, als kurz vor Mitternacht plötzlich die Wände schwankten. Kurz darauf erfolgte die Warnung vor einem bis zu einem Meter hohen Tsunami. Bald darauf wurde in der Hafenstadt Ishinomaki in der Präfektur Miyagi eine 20 Zentimeter hohe Flutwelle registriert. Die Regierung in Tokio richtete sofort einen Notfallstab ein. Dass ein Shinkansen entgleiste, zeigt, wie stark die Erschütterungen waren. Der Shinkansen ist weltweit berühmt für seine extrem hohe Sicherheit.

Beben vor der Küste von Fukushima

Entsprechend fassungslos waren die Japaner, als im Oktober 2004 nach einem Erdbeben ein Shinkansen zum ersten Mal aus der Spur gesprungen war - obgleich auch dabei niemand zu Schaden kam. Noch tagelang war der entgleiste Zug damals im staatlichen Fernsehen zu sehen, so sehr nagte der Fall am Stolz der Nation.

Nach Angaben der Meteorologischen Behörde ereignete sich das Beben vom Mittwoch vor der Küste von Fukushima in einer Tiefe von rund 60 Kilometern. „Für japanische Verhältnisse ist es mittelgroß“, sagte der Seismologe Marco Bohnhoff vom Potsdamer Geoforschungszentrum (GfZ) am Mittwoch auf Anfrage.

Die Erschütterungen zeigten den Japanern erneut, welche Gefahren auf sie lauern. Starke Erdbeben können jederzeit kommen. Irgendwann, das fürchten viele, wird ein schweres Erdbeben auch Tokio treffen. Japan ist eines der am stärksten von Erdbeben bedrohten Länder der Welt.

Darum bebt es in Japan so häufig

Es sei kein unerwartetes Ereignis, betonte Bohnhoff. Die pazifisch-ozeanische Erdplatte schiebe sich unter Japan, dieser Prozess werde aufgehalten, wenn sich die Platten verhakten. Dann sammele sich im Laufe von Jahren bis zu Jahrhunderten Energie, die sich schlagartig entlade. Es sei nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich, dass jetzt unmittelbar noch ein größeres Beben folge. Japans Meteorologische Behörde warnte für die nächsten sieben Tage vor einem möglichen weiteren Beben einer ähnlichen Stärke.

Am 11. März 2011 hatte sich in Folge eines Seebebens eine gigantische Flutwelle an der Pazifikküste aufgebäumt und alles niedergewalzt: Städte, Dörfer und riesige Anbauflächen versanken in den Wasser- und Schlammmassen. Rund 20 000 Menschen riss die Flut damals in den Tod.

In Fukushima kam es damals in der Folge des Bebens und Tsunamis im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zu einem Super-GAU. Er wurde in aller Welt zum Sinnbild der „3/11“ genannten Dreifachkatastrophe - auch wenn keiner der Todesfälle auf die Strahlung zurückgeführt wird.

Panik kam unter der Bevölkerung auch diesmal nicht auf. Was im Westen gelegentlich als Gleichmut missverstanden wird, ist tatsächlich Gefasstheit und Durchhaltewillen, mit der Japaner Naturgewalten wie dieser begegnen. Die Erkenntnis, dass man sich letztlich nur damit abfinden kann, auf einem Pulverfass zu leben, hat bei den Inselbewohnern zu außergewöhnlicher Ausdauer in Krisen geführt.