
Detmold/Paderborn. Jedes Jahr ertrinken in Deutschland Menschen. 2023 waren es allein in Nordrhein-Westfalen 46. Damit ist die Zahl der tödlichen Badeunfälle im bevölkerungsreichsten Bundesland entgegen dem Bundestrend rückläufig, wie die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) am Donnerstag mitteilte. Sie hatte im Jahr 2022 noch 56 Todesfälle bei Badeunfällen in Gewässern und Schwimmbädern von NRW verzeichnet.
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Dass Experten immer wieder eindringlich davor warnen, in unbewachten Gewässern zu schwimmen, hat unter anderem auch mit dem geschulten Blick der Lebensretter zu tun, die wissen, wie Menschen ertrinken. Denn der Überlebenskampf im Wasser sieht oft anders aus, als man es aus Filmen kennt. Kein Winken, kein Rufen. „Das verläuft meist ruhig“, sagt Michael Fleischer, Oberarzt im Bereich Kinder- und Jugendmagazin am Klinikum Lippe.
Der Ertrinkungsprozess beginnt, wenn ein Mensch den Kopf nicht mehr aus dem Wasser heben kann. „Dann setzt ein starker Reiz ein, einzuatmen und die Lungen füllen sich mit Wasser“, erklärt Fleischer. „Oder der Kehlkopf verschließt sich so stark, dass man nicht mehr einatmen kann“, sagt der Mediziner. Dann sei die Person meist aber schon bewusstlos.
Ursachen für Ertrinken sehr unterschiedlich
Die Zahl der Badetoten, die die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) jährlich veröffentlicht, schwanken auch wetterbedingt. Die Ursachen für die vielen Ertrinkungsfälle aber sind sehr unterschiedlich, vor allem mit Blick auf die Altersgruppen.
Bei Erwachsenen kann bei steigendem Alter die kalte Wassertemperatur eine wesentliche Rolle spielen, sagt Fleischer. Diese könne den Herzschlag verlangsamen und zur Bewusstlosigkeit führen. Das betreffe zum Beispiel auch Menschen, die vom eigenen erhöhten Herzinfarktrisiko nichts wissen. Sie werden erst bewusstlos und, werden sie nicht schnell entdeckt, ertrinken.
Bei Kindern dagegen ist die Schwimmfähigkeit ein großes Problem. So blickte die DLRG-Präsidentin Ute Vogt bereits im Februar mit Sorge auf die kommende Badesaison: Einer Forsa-Studie zufolge habe sich die Zahl der Grundschulkinder, die nicht schwimmen können, seit 2017 verdoppelt. Dominik Lossen ist seit mehr als 20 Jahren bei der Paderborner Ortsgruppe der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DRLG), war im Einsatz an der Küste und am Lippesee. Vielfach können Kinder nicht sicher schwimmen, sagt er. Das sei auch eine Folge der Bäderschließungen.
Große Gefahr für Babys und Kleinkinder
Dazu kommt in einigen Fällen eine Selbstüberschätzung – und gleichzeitig eine Unterschätzung des Badegewässers, erklärt Lossen. „Es gibt auch am Lippesee Stellen, wo Kinder sicher stehen können und es ein Stück weiter plötzlich sieben Meter runtergeht“, sagt der Rettungsschwimmer. Bei Kindern sehe die Not im Wasser manchmal spielerisch aus, obwohl sie in Wahrheit darum kämpfen, festen Stand zu bekommen.
Besonders gefährlich ist unbewachtes Baden für Babys und Kleinkinder, sagt Lossen. Da reichen wenige Zentimeter Wasser aus, weil sie den Kopf nicht aus dem Wasser heben können. Und dann wird es sehr schnell brenzlig. Die Sauerstoffkapazitäten sind wegen der kleineren Lungen geringer als bei Erwachsenen, sagt Fleischer. Unterschätzt werde von einigen Eltern auch, wie gefährlich Schwimmhilfen werden können, so Lossen. Eine Welle könne das Kind samt Schwimmreifen umwerfen, so könne es schnell zum Ertrinkungsfall kommen.
Aber auch Erwachsene schätzen Badegewässer falsch ein. An Meer und Flüssen gibt es am Rand in der Regel ruhige Zonen, sagt Lossen. „Aber je weiter man rausschwimmt, desto stärker ist die Strömung. Möglicherweise sind da plötzlich Strömungsverläufe, die nicht sichtbar sind, mit denen aber auch trainierte Schwimmer überfordert sind.“ Es könne auch passieren, dass beim Schwimmen plötzlich doch die Kraft fehlt für die Strecke zur nächsten Boje. Baden unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen könne ebenfalls zu Unfällen führen.
Lossen empfiehlt, immer zu prüfen, ob Schwimmen an der gewünschten Badestelle überhaupt erlaubt ist. „Am besten geht man nur an bewachten Stellen baden.“
Was mache ich, wenn ich Zeuge eines Ertrinkungsunfalls bin?
Je früher es gelingt, die ertrinkende Person aus dem Wasser zu holen, desto besser stehen die Chancen, dass sie überlebt und keine langfristigen Schäden davonträgt. Also gilt: „Sobald man das Gefühl hat, dass etwas nicht in Ordnung ist, sollte man nicht zögern, den Notruf 112 zu wählen“, sagt Benjamin Taitsch, stellvertretender Vorsitzender der Bayerischen Wasserwacht.
Wichtig dabei: Beschreiben, wo man sich befindet, und sich gut merken, wo die Person untergegangen ist. Gibt es eine Wachstation, die besetzt ist, sollte man die Rettungsschwimmerinnen und -schwimmer informieren.
Sind (noch) keine professionellen Retter vor Ort, muss man nun einschätzen: Welche Maßnahmen traue ich mir zu? Vielleicht gibt es einen Rettungsring. Oder kann man mit einem SUP zur Unglücksstelle paddeln, damit die eintreffenden Rettungskräfte direkt Bescheid wissen, wo sie ist. Vielleicht ist man im Schwimmen aber auch so sicher, dass man versuchen möchte, die Person ans Ufer zu holen.
„Wichtig: Man sollte nur tun, was man sich selbst zutraut“, sagt Taitsch. Denn: Schnell passiert es, dass man bei einem Rettungsversuch selbst in Lebensgefahr gerät. Denn wer als Ertrinkender in Panik ist, klammert sich mit Kraft an allem fest, was Rettung verspricht.
Was ist wichtig, wenn ich einen Rettungsversuch wage?
„Ist derjenige noch ansprechbar, dann kann ich ihm schon beim Anschwimmen sagen: Ich bin gleich bei Ihnen, ich kann Ihnen helfen“, sagt Philipp Pijl, Teamleiter Einsatz von der Bundesgeschäftsstelle der DLRG. Das beruhigt.
Ein klassischer Rat lautet: Ertrinkende von hinten anschwimmen, damit man von ihnen nicht in die Tiefe gezogen werden kann. Philipp Pijl hat allerdings einen Einwand: „Wer noch bei Bewusstsein ist, bekommt dann noch mehr Panik, wenn er von hinten einfach gegriffen wird.“ Er rät daher: Mit Abstand von vorn anschwimmen und erklären, dass sich gleich von hinten nähert und unter den Arm greift.
Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, dem Ertrinkenden etwas Sicherheit zu verschaffen – mit etwas Abstand. Wolf rät, Pullover, Jacken, Holzstöcke oder auch das Badehandtuch zu nehmen und es dem oder der Ertrinkenden zuzuwerfen. „Das Hilfsmittel muss den Ertrinkenden auch gar nicht tragen. Aber er hat es in der Hand und man hat bessere Chancen, ihn zur Not irgendwo hinzuziehen“, sagt Philipp Wolf, Landesarzt der Wasserwacht Bayern. „Und wenn es nur das seichte Gewässer ist, wo man selbst stehen kann.“
Die Person ist aus dem Wasser gezogen. Wie sieht nun Erste Hilfe aus?
Ist die Person bewusstlos, ist das Wissen aus Erste-Hilfe-Kursen gefragt. Genauer gesagt: die Herzdruckmassage, die dafür sorgt, dass der restliche Sauerstoff im Blut durch den Körper zirkulieren kann.
Die Herzdruckmassage sollte im besten Fall mit einer Mund-zu-Nase- oder Mund-zu-Mund-Beatmung kombiniert werden. Philipp Wolf rät, die Person zunächst fünfmal zu beatmen. Hintergrund: „In den Lungen ist kein Sauerstoff mehr, da reicht das Drücken dann alleine nicht. Es muss irgendwie Sauerstoff in die Lunge rein.“ Die Reanimation führt man so lange durch, bis die eintreffenden Profis übernehmen.
Mit Material der dpa.