In der Regierungskrise in Frankreich gerät Präsident Emmanuel Macron immer stärker unter Druck. Während der zurückgetretene Premier Sébastien Lecornu mit den Parteispitzen Beratungen über einen Ausweg aus der Krise aufnahm, gehen bisherige Vertraute vom Präsidenten klar auf Distanz zu ihm. So rief Macrons früherer Premierminister Édouard Philippe (2017-2020) den Präsidenten zum Rücktritt auf. Die seit sechs Monaten andauernde Krise dürfe nicht bis zur Präsidentschaftswahl in eineinhalb Jahren verlängert werden, sagte Philippe, der selbst bei der Wahl 2027 antreten will, dem Sender RTL.
Auch der ehemalige Premierminister Gabriel Attal (Januar-September 2024) kritisiert Macron offen. «Ich verstehe die Entscheidungen des Präsidenten nicht mehr», sagte Attal am Montagabend dem Sender TF1. Erst habe Macron im Sommer 2024 die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen, «und seitdem gibt es Entscheidungen, die den Eindruck erwecken, dass er mit aller Kraft an der Macht festhalten will», sagte Attal, der ebenfalls Ambitionen hegt, für das höchste Staatsamt zu kandidieren.
Macron hat Rücktritt bislang ausgeschlossen

Rücktrittsforderungen hatte Macron nach dem Rückzug des Premiers bereits von Frankreichs Linkspartei und den Rechtsnationalen von Marine Le Pen erhalten. Einen Rücktritt hatte Macron aber auch jüngst noch kategorisch ausgeschlossen und betont, er sei direkt vom Volk gewählt und werde sein Amt bis zum regulären Ende im Frühjahr 2027 ausüben.

Allerdings hatte er am Montag angekündigt, dass er «seine Verantwortung übernehmen» werde, falls die Bemühungen von Lecornu zur Lösung der Politikkrise scheiterten. Es wird davon ausgegangen, dass Macron dann die Nationalversammlung auflöst und Neuwahlen ausruft. Denn ein weiterer Regierungschef könnte schnell in die Lage seiner Vorgänger geraten. Keines der politischen Lager hat in der französischen Nationalversammlung eine Mehrheit.
Ein Datum für mögliche Neuwahlen scheint es bereits zu geben: Die Präfekten hätten bereits die inoffizielle Anweisung erhalten, sich darauf vorzubereiten, am 16. und 23. November Parlamentswahlen zu organisieren, berichtete das Enthüllungsblatt «Le Canard enchaîné».
Erst mal verschaffte sich Macron aber nach dem überraschenden Rücktritt von Lecornu am Montag Luft und beauftragte ihn, bis Mittwochabend letzte Gespräche mit den politischen Kräften zur Stabilisierung des Landes zu führen und einen Ausweg aus der Krise zu finden.
Lecornu traf sich am Morgen mit den Parteivorsitzenden von Macrons Mitte-Bündnis sowie den Vorsitzenden der beiden Kammern des Parlaments. Am Nachmittag und Mittwochfrüh werde er sich mit Verantwortlichen der übrigen Parteien beraten, erklärte Lecornu. Le Pens rechtes Rassemblement National (RN) und die Linkspartei La France Insoumise (LFI) schlugen die Einladung aus.
Haushalt im Mittelpunkt der Krisengespräche
Lecornu schlug den Parteispitzen nach eigenen Angaben vor, die Diskussionen auf den Haushaltsplan für das kommende Jahr und die Zukunft des französischen Überseegebiets Neukaledonien zu konzentrieren. «Alle Anwesenden waren sich über diese beiden dringenden Probleme einig und bekundeten den Willen, eine schnelle Lösung zu finden.» Das hoch verschuldete Frankreich muss dringend einen Sparhaushalt auf den Weg bringen und nach Unruhen soll das für Paris geopolitisch wichtige Neukaledonien einen eigenständigen Status erhalten.
Lecornu war erst vor vier Wochen als Regierungschef gestartet, davor war er Verteidigungsminister. Die Zusammensetzung seines am Sonntagabend vorgestellten Kabinetts stieß bei den Konservativen jedoch auf Kritik. Der Vorsitzende der Républicains, der im Amt bestätigte Innenminister Bruno Retailleau, hatte mit einem Rückzug seiner Partei aus der neuen Regierung gedroht, weil er diese dort nur unzureichend vertreten sah. Noch vor einer Krisensitzung der Konservativen warf Lecornu hin und hielt den Parteien danach eine politische Blockadehaltung vor. Inzwischen schließen die Konservativen nicht aus, dass Retailleau in eine künftige Regierung zurückkehren könnte, berichtete der Sender BFMTV.
Hohe Staatsverschuldung
Frankreich steckt bereits seit mehr als einem Jahr - seit der Neuwahl im Sommer 2024 - politisch in der Klemme. Dabei erfordert insbesondere die hohe Staatsverschuldung des Landes, dass die Parteien an einem Strang ziehen und sich über einen Sparkurs verständigen.
Ob es Lecornu binnen 48 Stunden gelingt, die zerstrittenen Parteien in Kernpunkten nun doch noch auf eine Linie zu bringen, die die Bildung einer Regierung ermöglicht, war zunächst offen - und ist äußerst fraglich. Zum Zwischenstand seiner Gespräche wurde nichts bekannt.
Die Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die bei der vorgezogenen Parlamentswahl 2024 stark abschnitten, riefen Präsident Macron auf, einen Premierminister aus dem linken Lager zu ernennen. «Wir sind bereit, gemeinsam zu regieren, um eine Politik des sozialen und ökologischen Fortschritts und der Steuergerechtigkeit zu betreiben, bei der wir dem Parlament wieder seinen rechtmäßigen Platz einräumen werden.» Die Linkspartei schloss sich dem Appell nicht an. Sie war zwar mit den übrigen linken Parteien im vergangenen Jahr als Bündnis zur Wahl angetreten, hat sich seitdem aber insbesondere mit den Sozialisten heillos zerstritten.