
Ärzte, die hinter dem Rücken des Patienten Diagnosen manipulieren oder sogar erfinden. Krankenkassen, die als Überwacher für ein solches Fehlverhalten im Gesundheitswesen fungieren, selbst aber eine tragende Rolle beim Abrechnungsbetrug innehaben. Und ein Gesetzgeber, der immense Lücken beim Patientenschutz lässt und die Patientenrechte nicht vernünftig regelt. Es ist ein System, das seine Opfer in die völlige Ohnmacht zwingt. Dabei haben sie alles zu verlieren, wenn sie sich nicht zur Wehr setzen können. Schon die Verweigerung einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist langfristig existenzbedrohend. Vor dem konkreten Ruin stehen dagegen Menschen, denen im Schadensfall die Zahlungen verwehrt werden, weil sich in ihrer Akte Diagnosen finden, von deren Existenz sie keine Ahnung hatten. Und die sie dementsprechend bei Versicherungsabschluss auch nicht angaben.
Am schlimmsten aber ist der Vertrauensverlust. Er ist irreparabel – und die Folgen absolut schädlich. Auch wenn bislang vollkommen unklar ist, wie viele Menschen von diesem Vorgehen betroffen sind, stellt sich die Frage: Wer mag sich angesichts dieser Zustände seinem Hausarzt, Gynäkologen oder Kinderarzt denn noch rückhaltlos anvertrauen?
Denn ständig fährt das Misstrauen mit: Was, wenn aus einer Niedergeschlagenheit in der Menopause eine unlöschbare und hochproblematische F-Diagnose, eine psychische oder Verhaltensstörung werden könnte. Was, wenn der dritte normale Atemwegsinfekt innerhalb eines Jahres auf dem Papier als chronische Bronchitis steht? Oder die Routine-OP einer Fehlstellung des großen Zehs eine unheilbare Blutgerinnungsstörung in der Akte nach sich zieht? All das sind Beispiele, die Experten bei der Recherche dieser Artikel anführten.
Hintergrund: Fatale Folgen: Viele Patientenakten enthalten erfundene oder übertriebene Diagnosen
Patienten und Anwälten sind die Hände gebunden
Bevor jetzt Patienten reihenweise das Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin infrage stellen, sollten sie vor allem eins tun: Ins Gespräch mit dem Mediziner gehen. Denn noch ist unklar, ob hier einzelne schwarze Schafe am Werk sind oder ein ganzer Berufsstand die Möglichkeiten eines Systems ausreizt.
Offenbaren wird das der Zugriff von Verbrauchern auf die elektronische Patientenakte. Andererseits kritisieren Patientenschützer, dass längst nicht alle Daten aus der ärztlichen Patientenakte auch in der elektronischen Patientenakte zu finden sind. Von echter Transparenz kann hier also kaum die Rede sein. Das größte Problem ist aber: Selbst wenn Patienten Ungereimtheiten, übertriebene oder erfundene Diagnosen in ihrer Akte aufspüren, sind ihnen und auch Anwälten in den meisten Fällen die Hände gebunden, weil die ärztliche Diagnose kaum anfechtbar ist. Natürlich ist in dieser Debatte der Einwand zu berücksichtigen, dass nicht einfach jeder den Arzt belangen kann, wenn er eine unerwünschte Diagnose in seiner Patientenakte hat. Ein guter und dringend nötiger Kompromiss aber wäre ein ins Gesetz gegossener Vorgang, bei dem bei berechtigten Zweifeln an Diagnosen zwingend ein zweites ärztliches Gutachten Relevanz haben muss.
Gut zu wissen: Patientenakte des Arztes: Das sind Ihre Rechte auf Einsicht und Datenlöschung