
Noch bevor die neue französische Regierung im Amt war, ist sie auch schon wieder Geschichte: Frankreichs neuer Premierminister Sébastien Lecornu hat überraschend seinen Rücktritt eingereicht. Der Élysée-Palast bestätigte trocken, was längst zum Ritual geworden ist: Wieder keine Regierung, wieder ein Machtvakuum. Zum dritten Mal in diesem Jahr sucht Präsident Emmanuel Macron einen neuen Premier oder muss Neuwahlen ausrufen – ein politisches Armutszeugnis.
Frankreich steckt in einer selbst verschuldeten Dauerkrise. Was als dringend notwendige Haushaltsdebatte begann, ist längst zu einem nationalen Drama geworden. Diesmal hatten die konservativen Républicains mit einem Rückzug aus der Regierung gedroht, weil sie mit der Verteilung der Ministerposten unzufrieden waren.
Ein Machtspiel zur Unzeit: Denn im Parlament sind Mehrheiten ohnehin kaum noch zu finden. Gerade dort aber müssten sich die Politikerinnen und Politiker zusammenraufen, um den überfälligen Sparhaushalt durchzubringen – ein Kraftakt, der massive Einschnitte bei öffentlichen Ausgaben vorsieht. Einschnitte, die maßgeblich auf den Druck der EU zurückgehen und dringend nötig sind.
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Frankreich hat sich in eine finanzielle Sackgasse manövriert
Frankreich hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, hat Wahlgeschenke verteilt, wo Reformen nötig gewesen wären, und sich so in eine finanzielle Sackgasse manövriert. Mit einer Staatsverschuldung von 3,3 Billionen Euro ist das Land der größte Schuldner in der EU. Die Kommission hat längst ein Defizitverfahren eröffnet, die Neuverschuldung liegt mit 5,6 Prozent fast doppelt so hoch wie erlaubt. Doch der mit Brüssel ausgehandelte Sparplan stößt im Land auf erbitterten Widerstand. Sparen gilt als Verrat an der Grande Nation, Reformen als politischer Selbstmord. Und so wird lieber gestritten als gehandelt – in der Hoffnung, dass sich die Schulden von selbst zurückzahlen.
Frankreich, einst Motor Europas, ist zum Problemfall geworden. Schon die Vorgängerregierung unter François Bayrou scheiterte an der Vertrauensfrage über genau diesen Sparkurs, nun hat auch Lecornu aufgegeben. Statt sich über Parteigrenzen hinweg zusammenzuraufen, bekämpfen sich die politischen Lager, als ginge es um persönliche Eitelkeiten statt um die Zukunft der Nation. Macron steht vor einem Scherbenhaufen: Sein Versuch, Frankreichs Staatsfinanzen zu sanieren, droht ihn politisch zu zerstören.
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Frankreich ist eine zentrale Säule der Europäischen Union
Doch die Krise ist längst nicht mehr nur französisch. Während Paris mit sich selbst beschäftigt ist, fehlen Pariser Impulse in Brüssel. Statt europäischem Aufbruch droht nun Stillstand. Frankreich ist eine zentrale Säule der Union. Ob bei der Ukraine-Hilfe, im Handel oder in Fragen der Wettbewerbsfähigkeit: Wenn das zweitgrößte Land der EU blockiert ist, lähmt das ganz Europa. Europa kann sich kein instabiles Frankreich leisten, das im innenpolitischen Chaos versinkt und als Taktgeber ausfällt. Macron wollte der Architekt eines souveränen Europas sein, jetzt ist er nur noch der Hausmeister einer Republik im Dauerbrand.
Jede neue, mühsam zusammengepuzzelte Regierung schwächt Macrons Autorität ein Stück mehr, jede Vertrauenskrise macht das Land weniger regierbar. Dabei tickt die Uhr unerbittlich: 2027 stehen Präsidentschaftswahlen an. Sollte Marine Le Pens Rassemblement National dann an die Macht kommen, wäre ein Europa, wie wir es kennen, endgültig in Gefahr.
Zu einem euroskeptischen Frankreich könnte sich im selben Jahr eine wiedererstarkte rechte Regierung in Polen gesellen, sollte die PiS dort erneut gewinnen. Zwei große EU-Länder, die nach rechts kippen und mit Viktor Orbán und Robert Fico gemeinsame Sache machen. Es wäre das Ende eines starken, handlungsfähigen Europas, von dem Macron einst träumte.
Macron steht jetzt vor seiner womöglich letzten Bewährungsprobe. Schafft er es nicht, seine zerrissene Republik schnell wieder auf Kurs zu bringen, droht Frankreich zur Dauerkrise zu werden.