Meinung

Nicht mehr im Frieden? Deutschlands Regierung spielt mit den Sorgen der Bürger

Friedrich Merz schockt mit dem Satz, dass wir „nicht mehr im Frieden“ sind. Es ist gut, wenn ein Kanzler den Menschen reinen Wein einschenkt. Aber er sollte keine Ängste schüren, sagt unsere Autorin Kristina Dunz.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) . | © picture alliance/dpa

Kristina Dunz
30.09.2025 | 30.09.2025, 17:28

Boris Pistorius hat damit angefangen. „Kriegstüchtig“ müsse Deutschland werden, fordert der Verteidigungsminister schon lange. Seit geraumer Zeit sagt er: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im kompletten Frieden.“ Der Sozialdemokrat ist trotzdem weiterhin der beliebteste Politiker. Vielleicht, weil Bürgerinnen und Bürger von dem für die Bundeswehr zuständigen Minister nicht viel anderes als Klartext erwarten. Er muss erklären, warum er Hunderte Milliarden Euro für das Militär braucht und wie das Land gesichert werden soll.

Eine andere Dimension nimmt es an, wenn der Bundeskanzler diese Botschaft zu seiner eigenen macht und sie noch verschärft, wonach wir „nicht mehr im Frieden“ seien. Friedrich Merz bekennt, das sei „ein bisschen schockierend“. Das „bisschen” kann er streichen, wenn man seine Worte ernst nimmt. Und das sollen wir ja. Er meine das „genau so“, betont er.

Das Problem: Nun tun sich viele Fragen auf, auf die es erst einmal keine Antwort gibt. Vor allem diese: Was bedeutet das denn jetzt – für die Welt, für das Land, für uns, für mich persönlich? Ohne Klarheit wachsen Verunsicherung und diffuse Angst, dass etwas Schlimmes passieren wird.

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Die Schwere droht sich auszubreiten

Zuversicht schwindet, die Sorge um die Kinder, die Enkelkinder und mitunter den hart erarbeiteten kleinen Wohlstand wird größer. Die Schwere, die ohnehin über dem Land liegt, weil manches der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht mehr so gut wie früher funktioniert und das über die Jahrzehnte gewohnte Wirtschaftswachstum stagniert, droht sich damit auszubreiten.

Dazu kommt noch die für viele Menschen verstörende Rechtslage in Deutschland, dass die Bundeswehr die von Merz und Pistorius angeführten bedenklichen Drohnen-Überflüge gar nicht bekämpfen darf, weil ihr Einsatz im Inland weitgehend untersagt ist. So kommen auch noch Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit des Landes in einer Phase auf, in der sich die Vorfälle häufen. Nach dem Motto: Russland schickt Drohnen und Deutschland muss erst einmal beraten, ob die eigene Armee der Polizei helfen darf, deren Luftabwehr nicht an die der Bundeswehr heranreicht.

Die Bundesregierung will das bald ändern, aber wir sind ja schon „nicht mehr im Frieden“, wie der Kanzler sagt. Was also machen wir jetzt?

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Mit dem Rätselraten über die Bedeutung alleingelassen

Grundsätzlich ist es gut, dass ein Bundeskanzler den Menschen reinen Wein einschenkt. Aber er sollte ihnen nicht „ein bisschen schockierende“ Sätze hinwerfen und sie mit dem Rätselraten, was das nun genau zu bedeuten hat, dann alleine lassen.

Die unheilvolle Gemengelage aus Russlands Krieg gegen die Ukraine, einem unberechenbaren, anti-transatlantischen US-Präsidenten, feindlichen Drohnen-Überflügen, Cyberattacken und Desinformationskampagnen belastet die Menschen ohnehin jeden Tag. Viele mögen keine Nachrichten mehr hören, weil sie ihnen die Motivation nehmen, sich ins Zeug zu legen für den Job, für das Land, oder die Freude an persönlichen Errungenschaften.

Wenn wir zwar nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden leben, sind wir irgendwo dazwischen, die Einschläge kommen näher. Und die große einstige Schutzmacht Europas und Deutschlands – die USA – stehen nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges unverbrüchlich an unserer Seite. Vielleicht wollte Merz aufrütteln, um den Kurs der Regierung zu legitimieren, unendlich hohe Schulden für die Verteidigung aufnehmen zu können und Gesetze zu verschärfen. Was fehlt, ist, der Bevölkerung trotzdem das Gefühl von Sicherheit zu geben. Dass wir unseren Frieden verteidigen und gemeinsam um ihn kämpfen müssen. Und dass wir das auch können.