
Je nach politischer Haltung gibt es ganz unterschiedliche Ansichten darüber, was der Staat für seine Bürger leisten muss. Ein vernünftiges Auskommen für alle, sagen die einen. Oder nur einen Rahmen, in dessen Grenzen jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, meinen die anderen. In einem Punkt aber herrscht Einigkeit: Eine in der Fläche funktionierende Infrastruktur – das ist eine Kernaufgabe des Staates, für die es sich lohnt, Steuern zu zahlen.
Umso größer ist der Ärger über eine jetzt öffentlich gewordene Liste aus Behördenkreisen. In ihr wird aufgeschlüsselt, welche bis 2029 geplanten Aus- und Neubauprojekte von Autobahnen und Bundesstraßen nach jetzigem Stand nicht finanziert werden können. Dutzende sind es bundesweit, allein 29 Autobahnprojekte in NRW sind betroffen sowie Baumaßnahmen an mehreren wichtigen Bundesstraßen durch Ostwestfalen-Lippe.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – und in vielen Fällen droht durch eine Verzögerung nicht automatisch der Verkehrskollaps. Doch wer so argumentiert, denkt zu kurz. Es geht eben nicht nur um ein paar Schlaglöcher, marode Brücken und Stunden im Stau.
Ein Schlag ins Gesicht der Unternehmen
Die Infrastruktur dieses Landes weiterhin verfallen zu lassen, bedeutet auch, die Lebensadern der Wirtschaft ausbluten zu lassen. Es bedeutet verzögerte Warenströme, Unwägbarkeiten und damit höhere Kosten für Unternehmen, die am Standort Deutschland gleichzeitig mit vielen anderen Herausforderungen kämpfen. Dazu zählen zum Beispiel hohe Energiekosten oder ein in vielen Bereichen bereits eklatanter Fachkräftemangel. Und weil die Sanierung des Schienennetzes ebenfalls stockt, gibt es oftmals kaum Alternativen zum Transport auf der Straße. Das ist in Summe ein Armutszeugnis.
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Schaden nimmt gleichermaßen aber auch das Vertrauen vieler Bürger, dass ihre Steuergelder sinnvoll verwendet werden. Es drängt sich der Eindruck auf: Dort, wo der Staat für seine Bürger sorgen müsste, versagt er. Infrastruktur, Bildung und Verteidigung sind nur drei Beispiele dafür. Wenn Hunderte Milliarden Euro an Sondervermögen nicht reichen, um nur die drängendsten Straßenbauprojekte dieses Landes zu finanzieren, dann hat dieser Staat möglicherweise ein Problem mit der Priorisierung seiner Ausgaben.
Was bringen die Sondervermögen wirklich?
Tatsächlich wirkt es mehr und mehr so, als dienten die Sondervermögen in einigen Bereichen eher einer Umschichtung als zusätzlichen Investitionen. Einer Berechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge fließen im kommenden Jahr zwar 2,5 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in Fernstraßen. Im regulären Haushalt sind die Mittel dafür aber gleichzeitig um 1,7 Milliarden Euro gekürzt worden. Rechtlich ist das wohl zulässig, der große Aufschwung wird so aber nicht gelingen.
Und nun? Die Bundesregierung hatte einen klaren Kurs auf Reformen und Investitionen in Infrastruktur versprochen. Eine 18 Seiten lange Liste von wichtigen Infrastrukturprojekten, die plötzlich nicht mehr gesichert sind, sollte besser nicht das Ergebnis sein.