Meinung

Europas überfällige Antwort auf das Leid in Gaza

Die EU wagt, was lange überfällig war: Sanktionen gegen Israel. Ein spätes, aber unübersehbares Signal an eine Regierung, die offensichtlich jedes Maß verloren hat, schreibt Sven Christian Schulz.

Nach dem Willen der Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen sollten unter anderem Freihandelsvorteile gestrichen und Strafmaßnahmen gegen extremistische israelische Minister und Siedler veranlasst werden. | © Pascal Bastien/AP/dpa

Sven Christian Schulz
17.09.2025 | 17.09.2025, 18:00

Erst massiver öffentlicher und politischer Druck brachte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu, Sanktionen gegen Israel wegen der Eskalation im Gazastreifen vorzuschlagen. Und auch wenn sie genau weiß, dass ein Großteil der Sanktionen nicht die nötigen Stimmen der Mitgliedstaaten finden wird, darf man die Wirkung nicht kleinreden. Dieser Schritt ist ein Wendepunkt. Von den Sanktionen geht das lange erwartete, längst überfällige Signal aus: Europa ist nicht länger bereit, tatenlos in Gaza zuzuschauen.

Die Botschaft ist unmissverständlich: Israel muss seine Angriffe stoppen, das Leid im Gazastreifen beenden, einen Exit-Plan für den Krieg vorlegen und endlich eine Perspektive für die Menschen in Gaza eröffnen. Humanitäre Hilfe darf nicht länger behindert, sondern muss gefördert werden. Das alles sind Worte, die seit Monaten in der Netanjahu-Regierung ungehört verhallen. Daher ist es nur folgerichtig, dass es Brüssel nicht bei Worten belässt.

Es wäre naiv zu glauben, dass alle vorgeschlagenen Sanktionen auch beschlossen werden. Die EU-Staaten sind in der Israel-Frage tief gespalten. Doch genau darin liegt der politische Wert des Vorstoßes: Nun müssen die Regierungen vor den eigenen Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum sie Sanktionen gegen einen Partner ablehnen, der internationales Recht mit Füßen tritt.

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Die Bundesregierung steht vor einer Entscheidung

Vor allem die Bundesregierung steht nun vor einer Entscheidung: Wie weit reicht ihre Bereitschaft, das Völkerrecht zu verteidigen, wenn es nicht gegen Putin, sondern gegen einen historisch engen Partner wie Israel geht? Was tun, wenn diese Regierung ganz offensichtlich die Kontrolle über den Krieg verloren hat, jedes Maß vermissen lässt und keinen Ratschlag mehr annehmen will?

Natürlich ist die Kritik berechtigt: Sanktionen werden Israel kaum zum Einlenken bewegen. Aber sie sind das einzige scharfe Schwert, das die EU besitzt. Und wann, wenn nicht angesichts des zum Himmel schreienden Leids im Gazastreifen, sollte dieses Schwert gezogen werden? Dass parallel auch Hamas-Mitglieder sanktioniert werden, unterstreicht die Balance, die Brüssel versucht, und die klare Botschaft an Israel, dass Europa nicht vergessen hat, wer diesen Krieg ausgelöst hat.

Die EU ist Israels größter Handelspartner. Ihre Wirtschaftssanktionen haben Gewicht, auch wenn der Fall Russland gezeigt hat, dass radikale Regierungen ihre Vorhaben nicht durch Druck der Europäer aufgeben, die als vielleicht letzte Verfechter die regelbasierte Ordnung und das Völkerrecht aufrechterhalten wollen. Europa mag angesichts von Netanjahu, Putin oder Trump belächelt werden. Aber Sanktionen wie diese sprechen eine klare Sprache: Die Europäer sind nicht bereit, schweigend zuzusehen, wie Israel das Recht des Stärkeren durchsetzt. Wer Partner sein will, muss sich an Recht und Gesetz halten – und das ist auch gut so.