Kommentar

Trotz Schuldenpaket: Auch einer schwarz-roten Regierung könnte das Geld ausgehen

Das Verfassungsgericht urteilt am kommenden Mittwoch über den Solidaritätszuschlag. Doch die Koalitionäre sollten nicht nur das Steuerrecht überdenken, kommentiert unser Autor.

Auch Friedrich Merz (CDU) und seinen Koalitionären könnten bald über 60 Milliarden Euro fehlen. | © Sebastian Gollnow/dpa

Tim Szent-Ivanyi
23.03.2025 | 23.03.2025, 16:30

Der Anfang vom Ende der Ampel-Koalition lässt sich zeitlich sehr genau eingrenzen: Am 15. November 2023 kurz nach 10 Uhr verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die von SPD, Grünen und FDP geplante Umbuchung von Corona-Schulden in den Klimafonds grundgesetzwidrig war. Auf einen Schlag fehlte der selbsternannten Fortschrittskoalition das Schmiermittel in Form von 60 Milliarden Euro. Danach kam nur noch Krampf und Gewürge.

Union und SPD könnte Ähnliches passieren. Zwar haben die Koalitionäre in spe gerade das größte Schuldenpaket in der Geschichte der Bundesrepublik für Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung beschlossen, doch im „Kernhaushalt“ des Bundes ist das Geld weiter knapp. Und an diesem Mittwoch, ebenfalls gegen 10 Uhr, könnte sich die Lage weiter verschlechtern.

Dann entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags, der seit 2020 nur noch von den obersten 10 Prozent der Steuerzahlenden entrichtet werden muss. Sollten die Karlsruher Richter die Steuer für grundgesetzwidrig erklären – was mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht unwahrscheinlich ist – fehlen im Haushalt pro Jahr fast 13 Milliarden Euro. Muss der Soli sogar rückwirkend abgeschafft werden, entsteht ein Loch von rund 65 Milliarden Euro.

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Entlastung der breiten Mittelschicht

Die im Sondierungspapier zugesagten Steuergeschenke für Gastronomen oder Landwirte kann Schwarz-Rot dann erst recht vergessen – das wäre aber kein Verlust. Jedoch auch sinnvolle Dinge wie eine Entlastung der breiteren Mittelschicht bei der Einkommensteuer, die Förderung von Forschung und Innovationen oder auch die dringend nötige Stützung der gesetzlichen Pflegeversicherung aus Steuermitteln sind unter diesen Umständen nicht mehr finanzierbar. Das gilt allerdings nicht, wenn sich die Union endlich von ihrem Dogma lösen würde, dass es generell keine Steuererhöhungen geben darf.

Insbesondere der Einkommensteuertarif ist extrem ungerecht. War 1965 der Spitzensteuersatz beim 15-fachen des Durchschnittslohnes fällig, liegt die Grenze heute nur noch beim 1,5-Fachen. Ein gut verdienender Facharbeiter zahlt in der Spitze also genauso viel an den Fiskus wie ein Manager mit einem Jahreseinkommen von 250.000 Euro. Außerdem ist der Tarifverlauf inzwischen sehr steil. Das führt dazu, dass die Belastung gerade im unteren und mittleren Einkommensbereich besonders stark mit dem Einkommen ansteigt. Mit dem Grundsatz einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hat das nichts mehr zu tun.

Höherer Steuersatz ist denkbar

Die Spitzenbelastung muss deutlich später einsetzen, der Steuersatz darf dann aber im Gegenzug auch höher liegen als die vergleichsweise niedrigen 42 Prozent von heute. Andernfalls ließe sich eine derartige Reform auch gar nicht finanzieren. Nur zur Erinnerung: Jahrzehntelang lag der Spitzensatz in der alten Bundesrepublik bei 53 Prozent, zeitweise sogar bei 56 Prozent. Auch unter unionsgeführten Bundesregierungen wurde das als gerecht empfunden.

Wird der Soli tatsächlich für verfassungswidrig erklärt, ist diese Operation geradezu zwingend, denn die ersatzlose Abschaffung würde das Ungleichgewicht bei der Steuerbelastung noch verschärfen - schließlich wird der Zuschlag heute nur noch von Spitzenverdienern gezahlt. Kann der Soli bleiben, wäre es dennoch sinnvoll, ihn in den Einkommensteuertarif zu integrieren, auch um endlich die leidigen Debatten um diese Steuer zu beenden und die Akzeptanz des Steuersystems insgesamt zu erhöhen. Das Urteil - egal wie es ausfällt – bietet die Chance, endlich eine große Steuerreform auf den Weg zu bringen. Union und SPD müssen sie nur nutzen.