
Wenn die These stimmt, dass das Programm einer Koalition umso erfolgversprechender ist, je größer das Zeter und Mordio der Opposition dazu ist, dann haben Union und SPD nicht schlecht geliefert. Ganz gleich ob man – in der Reihenfolge ihrer Wahlergebnisse – AfD, Grünen, Linkspartei oder BSW und FDP außerhalb des Parlaments zuhört: Die Kritiker wanken – in der gleichen Reihenfolge – zwischen alternativlosem Geschwätz, Verbitterung über den Gang in die Opposition, weitgehend unbegründeter Kritik am angeblichen „Weiter-so“ und der Enttäuschung über den Verlust eigener Parlamentssitze. Substanz haben sie nicht.
Dabei gibt es durchaus Anlass zu kritischer Distanz. Beide Groß-Koalitionäre scheinen vor allem einig darin, dass man für ihre jeweilige Klientel liefern muss. Da kann die Union vorweisen, dass sie bei Migration, Familiennachzug für Flüchtlinge sowie doppelter Staatsbürgerschaft für Straftäter geliefert hat. Allerdings sind Relativierungen mit dem Hinweis auf eine Abstimmung mit Nachbarn möglich. Die SPD kann für sich reklamieren, 15 Euro Mindestlohn sowie Tarifbindung und Rentenniveau verankert zu haben. Aber auch dort werden konkrete Details darüber entscheiden, ob ihre Wähler sich damit zurückgewinnen lassen.
Klassische Kompromisse einer – wenn auch kleinen – Großen Koalition also. Darauf deuten auch die Reaktionen in beiden Parteien, vor allem in der Union. Sie hat mit Friedrich Merz an der Spitze mehr von ihren Wahlkampfparolen abräumen müssen als die SPD, auch wenn der Vorhalt des Wahlbetrugs des Ex-CSU-Chefs Horst Seehofer fehlgeht.
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Stabilität wäre ein gutes Markenzeichen bis 2029
Entscheidend für das Urteil über die Einigung von Union und SPD ist zunächst aber etwas ganz anderes als das zockende Ringen um Details von Frieden, Energieversorgung und sozialer Sicherheit. In nur gut einer Woche ist eine substanzielle Verständigung über Antworten gelungen. Die Koalitionsgespräche ab Donnerstag sollen in nur zehn Tagen fertig sein. Allein das ist im Vergleich zum zeternden Gehampel der gescheiterten Ampel ein Gewinn. Stabilität wäre ein gutes Markenzeichen bis 2029.
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Das reicht natürlich nicht. Ebenso wenig wie die ersten insgesamt eher wohlwollenden Reaktionen aus Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft und Sozialverbänden. Ob der Versuch gelingt, hängt davon ab, ob die Koalition es schafft, mit ihren Beschlüssen zu Bundeswehr, zu Schuldenpaket inklusive Infrastruktur-Investitionen mehr zu bewegen als das Füllen von Haushaltslücken aus der Vergangenheit. Man muss ihr wünschen, dass dieser Aufbruch in die Zukunft gelingt. Das wäre eine Antwort, die auch einen US-Präsidenten Trump disziplinieren könnte. Erster Messpunkt dafür kann schon die Reform der Schuldenbremse in diesem Jahr werden.
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