Eines kann man sicher sagen: Schneller als der mutmaßliche neue Bundeskanzler Friedrich Merz hat noch nie ein designierter Regierungschef eine mögliche 180-Grad-Wende für seine Politik angemeldet. Das mag zulässig sein, wenn man die besondere historische Lage mit dem russischen Krieg in der Ukraine sowie dem Macht- und Kurswechsel der Trump-Administration bedenkt und Einblick in daraus resultierende Herausforderungen erhält vom Vorgänger Olaf Scholz.
Dass aber der neue Mann fürs Kanzleramt gleich in seiner ersten Grundsatzfrage andeutet, dass er es bei einer Reform der Schuldenbremse in der Verfassung mit der alten Mehrheit des abgewählten Bundestages versuchen könnte, ist ein Offenbarungseid. Ein größeres Glück vermag sich die rechtsextreme Opposition der AfD kaum vorzustellen, als dass ein möglicher Regierungschef ihr, also der Partei, deren Verfassungstreue durchaus angezweifelt werden muss, diese Vorlage eines nachlässigen bis gleichgültigen Umgangs mit dem Grundgesetz liefert.
Selbstverständlich ist der alte Bundestag mit seinen Mehrheiten noch bis zum 24. März ganz offiziell im Amt und kann Gesetze beschließen. Dieses allerdings hätte er aus Einsicht in die Notwendigkeit vor der Wahl tun müssen. Dafür hätte der damalige Oppositionsführer Merz staatspolitische Verantwortung zeigen müssen.
Merz wird einen hohen Preis zahlen müssen
Das tat er aber nicht. Nun braucht er für seine Regierung, so sie denn zustande kommt, eine Mehrheit im Parlament. Wenn darüber hinaus für bestimmte Dinge verfassungsändernde Mehrheiten nötig sind, wie es das bei der Schuldenbremse der Fall ist, dann wird er auch mit anderen Parteien sprechen müssen. Wenn er sein Wort hält und eine Kooperation mit der AfD ausschließt, dann bleiben dafür nur Grüne und Linke. Der Preis, mindestens der Linken, wird hoch sein. So sind die Spielregeln in der Bundesliga der Politik.
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Zwei Dinge sind zusätzlich bedenkenswert: In den eigenen Reihen löst Merz Widerspruch aus. Das gilt für den bislang sehr hart auftretenden Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei ebenso wie für NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verbirgt Führungsanspruch und Solidarität mit Merz aktuell hinter einem entschiedenen Einerseits/Andererseits. Zweitens: Verteidigungsminister Boris Pistorius hat mit der Forderung nach einem Stopp der Schuldenbremse fürs Militär einen Offensivpunkt gegen Merz gesetzt.
Es ist sicher erst noch der Anfang eines schwierigen Beratungsprozesses. Aber zwei Erkenntnisse sollten sie dem unerfahrenen Merz gebracht haben: Regieren ist schwieriger als gedacht. Und Regieren mit alten Mehrheiten denunziert ein Wahlergebnis. Er sollte früh einen Neustart versuchen.
Anmerkung der Redaktion: Friedrich Merz hat einer schnellen Reform der Schuldenbremse nach Erscheinen dieses Kommentars eine Absage erteilt. „Es ist in der naheliegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren“, sagt er vor einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Das ist, wenn es überhaupt stattfindet, eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit, die da zu leisten ist.“