Das Erschrecken war groß. Als Tobias R. am 19. Februar 2020 im hessischen Hanau neun junge Menschen aus rassistischen Motiven erschoss sowie anschließend seine Mutter und sich selbst tötete. Da schien die Republik für ein paar Stunden still zu stehen. Dies galt umso mehr, als sich ein Jahr zuvor der Anschlag auf die Synagoge in Halle mit zwei Todesopfern und das Attentat auf Kassels Regierungspräsidenten Walter Lübcke ereignet hatten. Der Rechtsextremismus zeigte, wozu er fähig ist.
Fünf Jahre nach Hanau scheint es so, als sei das Thema erledigt. Denn heute stehen die Angriffe von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und Solingen im Mittelpunkt und die Frage, ob sie das Ergebnis einer falschen Migrationspolitik sind. Tatsächlich hat sich die rechtsextremistische Bedrohung aber keineswegs erledigt.
Das zeigt sich nach wie vor in Hanau. Dort terrorisiert der Vater des Hanau-Attentäters, Hans Gerd R., seit Jahren die Hinterbliebenen der Opfer. Erst Ende Oktober wurde der seinerzeit 77-Jährige zu einer Geldstrafe von 21.600 Euro verurteilt. Der Rentner sei „zweifelsohne rassistisch“, hieß es bei Gericht, und habe die Menschenwürde von Migranten „böswillig verächtlich gemacht“. Das Gericht lehnte es jedoch ab, den Mann zu inhaftieren, und fand, sein Handeln sei „etwas, was die Gesellschaft ertragen muss“. Das wiederum ist schwer zu ertragen.
Zwischen Anschlägen gibt es ein verbindendes Element
Dass sich Taten wie jene in Hanau wieder ereignen können, bewies zuletzt die Tat eines 35-Jährigen im schwedischen Örebro, der in einem Bildungszentrum sieben Frauen und drei Männer umbrachte – darunter Menschen mit Wurzeln in Syrien, Eritrea und Bosnien-Herzegowina. Ähnliches geschah 2016 im Münchner Olympia-Einkaufszentrum.
Überhaupt gibt es zwischen all den Anschlägen von Rechtsextremisten, Islamisten oder psychisch labilen Amokläufern mit oder ohne Migrationshintergrund ein verbindendes Element. Die Täter sind immer Männer. Nur spielt das in der öffentlichen Debatte fatalerweise keine Rolle - weil die Hälfte der Bevölkerung aus Männern besteht. Gewalttaten sind dabei oft Folge gesellschaftlicher Isolation und psychischer Not und werden von den Tätern politisch aufgeladen. Sonst müssten sie ja ihre Isolation und ihre Not bekennen und um Hilfe bitten.
Hanau ist und bleibt aktuell. Auch wenn in den vergangenen Monaten die Gewalttaten von Islamisten und psychisch auffälligen Migranten die Republik erschüttert haben: Gewalt und Terror durch Rechtsradikale ist statistisch gesehen die größte Gefahr im Spektrum der politischen Gewaltkriminalität. Das darf man auch in einer aufgeheizten Debatte um Konsequenzen aus den aktuellen Anschlägen nicht vergessen.
Diese Debatte setzt auch die Gemeinschaft der Migrantinnen und Migranten unter Druck. Auch deshalb ist es wichtig, der Opfer zu gedenken.