Meinung

NRW und die Windkraft: Gut gemeint, schlecht gemacht?

Im Land drohen 1.500 Anlagen auf Flächen zu entstehen, die als tabu galten. Das ist irre, meint unser Autor – und wundert sich, wie das passieren kann.

Robert Habeck ist Bundeswirtschaftsminister; seine Parteifreundin Mona Neubaur führt das Ministerium seit Sommer 2022 in NRW. | © dpa

Ingo Kalischek
20.01.2025 | 21.01.2025, 17:06

Erinnern Sie sich an den einen Musterschüler in Ihrer damaligen Klasse? Der oder die bei jeder Frage eiligst mit dem Finger schnippte – und immer eine Antwort parat hatte? Ein bisschen so verhält sich die NRW-Regierung gerade beim Thema Windkraft.

Die schwarz-grüne Koalition betont in Sonntagsreden verlässlich, dass NRW beim Ausbau der Windkraft nun bundesweit Maßstäbe setzt. Das Land genehmigt inzwischen so viele Windräder wie kein anderes. Fleißpunkte sammelt es eifrig auch an weiterer Stelle: NRW will die Vorgaben des Bundes, 1,8 Prozent der Landesfläche bis Ende 2032 für Windkraft auszuweisen, nämlich schon sieben Jahre früher erfüllen. Vorbildlich – könnte man auch hier meinen.

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Doch jetzt zeichnet sich ab, dass die CDU, vor allem aber die Grünen, es mit ihrem vorauseilenden Gehorsam vielleicht ein bisschen übertrieben haben. NRW wird gerade mit Anträgen für Windräder nur so überschüttet.

Bemerkenswert: Das finden selbst viele Grüne inzwischen problematisch. Und zwar deshalb, weil diese Windräder auf Flächen entstehen sollen, die die regionale und dafür zuständige Politik bewusst ausgeschlossen hat. Aus gutem Grund: Es handelt sich dabei zum Beispiel um Bereiche zum Schutz der Natur und um den Wald.

Die Windkraft-Investoren haben aktuell ein leichtes Spiel

Doch die Kommunen müssen den Anträgen wohl stattgeben. Ob sie wollen oder nicht. Und zwar so lange, bis ihre sogenannten Regionalpläne wieder in Kraft treten. Die steuern den Ausbau der Windkraft, werden aber gerade überarbeitet. Wahrscheinlich bis Frühjahr oder Sommer.

Bis dahin haben Investoren mit ihren umstrittenen Anträgen recht leichtes Spiel. Naturschützer sind auf dem Baum. Lokale Politiker auch. Sie warnen vor einem „Wildwuchs“ und werfen Investoren vor, in Goldgräberstimmung keine Rücksicht auf die Belange der Menschen, Tiere und Pflanzen vor Ort zu nehmen.

Die Landesregierung wirkt ein Stück weit ratlos und geschockt – und blickt jetzt sorgen- und hoffnungsvoll zugleich auf den Bund. Der solle kurzfristig ein Gesetz liefern, damit die Städte und Gemeinden den Windkraftausbau wieder steuern können, so der Appell aus Düsseldorf. Ansonsten könnten in NRW mehr als 1.000 Windräder auf Flächen entstehen, die eigentlich als tabu galten. Und die dort kaum einer will – außer die Investoren. Das ist eine irre Zahl. Und eine irre Situation.

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Da muss schon die Frage erlaubt sein, was dazu geführt hat. Im Detail ist das zwar gerade nur schwer zu erkennen. Denn keiner will’s gewesen sein. Es scheint aber so, dass auch handwerkliche Fehler eine Rolle spielen. Und dass die Akteure die Entwicklung schlichtweg unterschätzt haben

Dabei hat man die Geister, die man jetzt nicht loswird, selbst gerufen: Seit 2023 kommt der Windkraft per Gesetz nämlich bundesweit ein „überragendes öffentliches Interesse“ zu. Das führt konkret dazu, dass viele Hindernisse für den Bau von Windrädern abgeräumt wurden. Blöd nur, dass die bisherigen Pläne der Kommunen dafür gar nicht ausgelegt sind. Genau in diese Lücke stoßen jetzt die Investoren mit ihren Hunderten Anträgen.

Den Grünen kommt eine entscheidende Rolle zu

Den Grünen kommt eine entscheidende Rolle zu. Sie führen in Düsseldorf und in Berlin die mächtigen Klima- und Wirtschaftsministerien. Dass die Gesetze auf Bundes- und Landesebene jetzt offensichtlich nicht ausreichen und nicht gut genug aufeinander abgestimmt sind, um eine klare Steuerung der Windkraft vor Ort zu ermöglichen, wirft kein gutes Licht auf die interne Arbeit.

Nahezu tragisch ist, dass das Problem jetzt ausgerechnet im Bundestagswahlkampf kurzfristig gelöst werden soll. Dass das nicht so wirklich klappt, ist bitter, aber wenig verwunderlich, weil in Berlin in dieser heißen Phase gerade noch mehr gefeilscht wird als ohnehin schon. Da kommt so ein wichtiges Thema im Koalitionsgeschacher schnell unter die Räder. Anders ist nicht zu erklären, warum sich eine Lösung schon so lange hinzieht.

In der Schule merkte man mitunter, dass der Musterschüler doch nicht immer alles wusste. Sondern manchmal einfach nur so tat. Oder es mit seinem Ehrgeiz ein bisschen übertrieben hat. Die Entscheidungsträger in Düsseldorf und Berlin müssen jetzt den Nachweis erbringen, dass das auf sie nicht zutrifft.