Kommentar

Die elektronische Patientenakte taumelt zwischen Revolution und Risiko

Seit fast 25 Jahren wird in Deutschland an einer elektronischen Patientenakte gearbeitet. Die Geschichte zeigt, was bei der Digitalisierung falsch läuft.

Europas größte Hackervereinigung, der Chaos Computer Club, warnt kurz vor dem Start der Elektronischen Patientenakte vor Hackerangriffen. | © dpa

Tim Szent-Ivanyi
02.01.2025 | 02.01.2025, 16:25

Der 15. Januar 2025 könnte in die Geschichte des deutschen Gesundheitswesens eingehen. An diesem Tag soll offiziell die Einführung der elektronischen Patientenakte beginnen – wenn auch zunächst nur in einigen Modellregionen. Doch schon wieder ist offen, ob die „ePA“ nun wirklich kommt, schließlich gibt es nicht nur Probleme bei der technischen Umsetzung in den Praxen, sondern nach Recherchen der IT-Experten vom Chaos Computer Club (CCC) auch noch Lücken bei der Sicherheit der sensiblen Gesundheitsdaten.

Es wäre wahrlich nicht die erste Verzögerung. Inzwischen wird seit fast 24 Jahren an der Akte gebastelt, deren Geschichte beispielgebend für das blamable Versagen Deutschlands bei der Digitalisierung ist. Statt klein anzufangen und das System mit dem technischen Fortschritt schrittweise auszubauen, wurde von Anfang an auf eine vermeintlich allumfassende, perfekte Lösung gesetzt. Krankenkassen, Ärzte, Kliniken und Apotheken blockierten sich dabei gegenseitig, die viel beschworene Selbstverwaltung im Gesundheitswesen versagte. Die Politik schaute dem Trauerspiel jahrelang zu, hob an und ab warnend den Zeigefinger, griff aber nicht durch.

Lesen Sie auch: Besser widersprechen? Die elektronische Patientenakte hat Sicherheitslücken

Newsletter
Update zum Mittag
Top-News, täglich aus der Chefredaktion zusammengestellt.

Dabei liegt der Vorteil einer elektronischen Patientenakte klar auf der Hand: Wenn alle Gesundheitsdaten digital zusammengeführt sind, liegt jedem Arzt stets die komplette Krankengeschichte eines Patienten vor. Damit werden Anamnese, Diagnostik und Wahl der Therapie erheblich erleichtert, auch weil zeitaufwendige, häufig belastende und oft auch teure Doppeluntersuchungen vermieden werden. Wer schon einmal in der misslichen Lage war, nach einem Umzug Befunde besorgen zu müssen, weiß, wie vorteilhaft eine digitale Akte wäre.

Verdienst von Karl Lauterbach

Es ist der Verdienst von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, das Projekt endlich auf die Zielgeraden geführt zu haben. Den Rückhalt der Bevölkerung hat er dabei: Die Kassen berichten von Widersprüchen nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Dass der Chaos Computer Club Sicherheitslücken gefunden hat, muss ernst genommen werden, darf aber die Versicherten keinesfalls dazu verleiten, die Akte nun doch noch überhastet abzuwählen.

Erstens hat der CCC nicht die finale Version getestet, bei der die entdeckten Lücken noch geschlossen werden können. Zweitens dürfte das Sicherheitsniveau der ePA selbst mit einigen Datenschutzproblemen immer noch höher sein als das von Aktenordnern, die in Arztpraxen oder zu Hause liegen. Und drittens muss daran erinnert werden, dass Google, Apple & Co bereits heute einen ungehinderten Zugriff auf sensible Gesundheitsinformationen haben, weil Millionen Nutzer von smarten Uhren oder Fitness-Trackern sehr freizügig ihre Daten mit den Konzernen teilen – ohne übrigens selbst etwas davon zu haben. Wenn Menschen Sorge vor einem Missbrauch ihrer Gesundheitsdaten haben, dann sollten sie zunächst hier die Reißleine ziehen, nicht aber bei der elektronischen Patientenakte.