Kommentar zu Angriffen

Silvester ist nicht die Ursache – und härtere Bestrafung nicht die Lösung

Die Gewalt gegen Rettungs- und Einsatzkräfte nimmt zu – vor allem gegen Polizisten. Dahinter steckt mehr als ein entgleister Partymob, warnt unser Autor.

Ein Mann wirft mit einer Flasche in Richtung von Polizisten. | © Sebastian Willnow/dpa

Steven Geyer
29.12.2024 | 29.12.2024, 10:00

Silvester naht – und damit die Nacht, in der sich Polizei-, Rettungs- und Einsatzkräfte auf Großeinsätze und Dauerstress einstellen müssen. Und obendrauf, wie jedes Jahr, auch auf geballte Angriffe gegen ihre Beamten und Diensthabenden.

Besonders nach Jahreswechseln, an denen es in den Großstädten wieder zu Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter gekommen ist, wird immer wieder über Ursachen und Konsequenzen diskutiert. Wie neue Zahlen nun zeigen, leider ohne Erfolg.

Demnach ist auch in diesem Jahr die Zahl der gemeldeten Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte weiter gestiegen. Im Herbst hatte das Bundeskriminalamt bereits einen neuen Höchststand bei Gewalttaten gegen die Polizei verkündet.

Jenseits der reinen Empörung

Es ist verständlich, dass nun – erneut – nach höheren Strafen gerufen wird. Und es ist kein Wunder, dass die Einsatzdienste schon jetzt an die Bevölkerung appellieren, ihren Mitarbeitern zu Silvester mit Respekt zu begegnen und sich an die Regeln zu halten – übrigens auch im Umgang mit Feuerwerk und Alkohol. Gerade diese Requisiten für einen gelungenen Jahreswechsel nach deutscher Tradition tragen ebenso viel zum Stress der Helfer und zur Gefahr für Feiernde bei.

Lesen Sie auch: „Das sind erschütternde Zahlen“: Mehr Angriffe auf Einsatzkräfte in NRW

Überhaupt lohnt sich ein Blick in die Statistik, wenn man über reine Empörungsreflexe hinauskommen will. Laut BKA sind die häufigsten Opfer mit weitem Abstand Polizeibeamte. Die häufigsten Delikte sind Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und tätliche Angriffe, gefolgt von Bedrohungen. Gewalt erfahren täglich fast 300 Polizisten und Polizistinnen – wohlgemerkt: 300 Tag für Tag. Dass die Zahl weiter steigt, zeigt, dass die jüngsten Gesetzesverschärfungen kein Allheilmittel waren.

Die wichtigsten Schlüsse lassen sich aus dem ziehen, was über die Tatverdächtigen bekannt ist. Denn während die Meldungen von Übergriffen auf die Großstadtpolizei bei vielen Bilder marodierender Halbstarker hervorrufen, oft mit ausländischen Wurzeln, ist das nur ein Teil der Wahrheit. Zwar beträgt der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger inzwischen tatsächlich ein Drittel und liegt damit über dem Bevölkerungsanteil. Das heißt aber auch, dass die klare Mehrheit von zwei Dritteln der Täter Deutsche sind.

Silvester naht – und damit die Nacht, in der sich Polizei-, Rettungs- und Einsatzkräfte auf Großeinsätze und Dauerstress einstellen müssen. - © Clemens Heidrich/dpa
Silvester naht – und damit die Nacht, in der sich Polizei-, Rettungs- und Einsatzkräfte auf Großeinsätze und Dauerstress einstellen müssen. | © Clemens Heidrich/dpa

Fast alle Beschuldigten sind männlich

Was die Beschuldigten viel stärker eint: Fast alle waren männlich, älter als 25 und handelten allein – also eben nicht als Jugendbande. Und mehr als jeder Zweite war betrunken. Das gilt auch für die Zeit von Januar bis September – also ohne Silvestereffekt. Immerhin vergeht auch in Ämtern und Dienststellen längst kein Tag mehr, an dem nicht gepöbelt, gespuckt, beleidigt und geschlagen wird.

Mehr zum Thema: Sicherheitsvorkehrungen in OWL: Polizei rüstet sich für Silvester

Wir lernen daraus also auch: Fehlender Respekt gegenüber der Polizei zeigt sich nicht nur in Silvester- und anderen Straßenkrawallen, sondern das ganze Jahr über. Der typische Täter ist der einzelne, oft angetrunkene, volljährige deutsche Mann.

Schon das spricht dafür, dass hinter dem Phänomen grundsätzlichere Probleme stecken als allein ein Mangel an Angst vor Polizeibeamten oder vor schnellen, harten Strafen - die angesichts der unterfinanzierten Behörden und Justiz ohnehin niemand versprechen kann.

Rückgang des respektvollen Miteinanders

In Wahrheit spiegelt sich in der schwindenden Autorität der Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten ein allgemeiner Rückgang des respektvollen Miteinanders, seit der eigene Vorteil, die eigene Freiheit von allen Zwängen, das eigene Fortkommen als Ideal des wahrhaft Cleveren gilt.

Lesen Sie auch: „Schlagen dir den Schädel ein“: Drei Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst berichten

Eine Folge dessen ist zugleich die zweite grundlegende Ursache der zunehmenden Verwahrlosung, Staatsablehnung und Gewalt, auch gegen die Polizei: Wie die Zahl der Übergriffe steigt seit Jahren auch die soziale Spaltung in Deutschland.