
Es gibt keine Gerechtigkeit im Krieg. Über Tod und Zerstörung entscheidet nicht das Recht, sondern der Stärkere. Die Stärke wiederum hängt ab von den Möglichkeiten und der Entschlossenheit der Beteiligten.
Es gibt viele Länder, in denen Not und Gewalt herrschen, wo Grenzen willkürlich verschoben oder missachtet wurden, weil der Stärkere sich das Recht unterworfen hat. Ist das gerecht? Natürlich nicht. Es ist so ungerecht und so grausam wie der Überfall Russlands auf die Ukraine. Deshalb unterstützen wir die Ukraine: Weil wir an das Recht glauben und weil wir um unsere eigene Sicherheit fürchten, wenn ein Aggressor in Europa gewaltsam Grenzen verschiebt. Deutschland hat viel Geld bereitgestellt und 1,2 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Und wir haben Waffen geliefert, zuletzt den „Leopard 2“, der eine ukrainische Offensive mitentscheiden sollte. Heute sind die meisten dieser Wunderwaffen zerstört.
Die russischen Truppen sind an fast allen Frontabschnitten auf dem Vormarsch. Putin hat Russland auf eine Kriegswirtschaft umgestellt, die unablässig Munition ausspuckt, der Iran und womöglich China liefern Nachschub, Nordkorea liefert Truppen. Der Ukraine gehen die Soldaten aus.
Niemand will einen Atomkrieg mit Russland riskieren
Kann die Ukraine militärisch gewinnen? Nein. Ihr fehlen die Möglichkeiten, und dem Westen, der sie unterstützt, fehlt die Entschlossenheit. Nicht, weil wir feige wären oder blind. Sondern weil – vernünftigerweise – niemand bereit ist, einen Atomkrieg zu riskieren, indem wir uns Russland direkt entgegenstellen.
Ukraine-Krieg: Bidens Raketen-Erlaubnis wirft neue Fragen auf
Auch „Taurus“-Raketen würden dieses Dilemma nicht auflösen. 50 Raketen ändern nichts grundlegend an den Kräfteverhältnissen. Aber der Einschlag einer aus Deutschland gelieferten Rakete in Moskau würde die russische Bevölkerung in noch höherem Maße für Putin mobilisieren, als dies ohnehin schon der Fall ist. Noch verheerendere, noch brutalere Angriffe auf die Ukraine wären die Folge.
Es ist richtig, wenn der Bundeskanzler die Taurus-Lieferung verweigert. Es gibt viele, die nach immer weiteren Waffen rufen. Aber auch nach 1.000 Tagen verzweifeltem Kampf kann niemand plausibel erklären, wie die Ukraine diesen Krieg gewinnen könnte.
Auf dem Schlachtfeld wird Putin gewinnen
Die Ukraine wird absehbar ein gespaltenes Land sein, mit einem freien und einem besetzten Teil. Es geht jetzt darum, den schnellsten Weg zu diesem traurigen und ungerechten Zustand zu finden. Man darf darüber wütend sein. Aber besonnene Politik muss sich an der Realität orientieren, und sie muss Menschenleben retten.
Putin wird seine Mordlust teuer bezahlen müssen. Politisch und wirtschaftlich. Auf dem Schlachtfeld, so bitter das ist, wird er gewinnen. Wie viele Menschen müssen noch sterben, bevor wir uns das eingestehen?